Abgebrannte Flüchtlingsunterkunft: Brandbeschleuniger am Dach

Stand: 17.11.2022 17:50 Uhr

Vier Wochen nach dem Brand einer Flüchtlingsunterkunft in Groß Strömkendorf bei Wismar sitzt ein Feuerwehrmann in Untersuchungshaft. Er soll das Feuer vorsätzlich gelegt haben, allerdings ohne politisches Motiv.

Ein 32-jähriger Feuerwehrmann gilt seit Mittwoch als Tatverdächtiger im Fall des abgebrannten Flüchtlingsheims in Groß Strömkendorf bei Wismar. Der Mann aus der Gemeinde Blowatz soll die Flüchtlingsunterkunft mit einem Brandbeschleuniger im Dachbereich über dem Eingang angezündet haben. Die Staatsanwaltschaft legt ihm noch vier weitere Brände zu Last. Der Feuerwehrmann bestreitet alle Vorwürfe. Dennoch wurde Haftbefehl wegen schwerer Brandstiftung erlassen. Der Mann sitzt inzwischen in Untersuchungshaft. Einen bislang vermuteten politischen Hintergrund der Tat schließt die Staatsanwaltschaft aus. "Wir gehen im Ergebnis der Ermittlungen davon aus, dass die Tat in Groß Strömkendorf Teil einer Brandserie ist", sagte Oberstaatsanwältin Claudia Lange.

Hotel brannte vollständig aus

Zum Zeitpunkt des Feuers in dem ehemaligen Hotel hielten sich 14 Geflüchtete aus der Ukraine und drei Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes in dem Gebäude auf. Alle konnten unverletzt das brennende Haus verlassen. Das Gebäude brannte komplett aus, es entstand ein Millionen-Schaden. Das ehemalige Hotel soll den Angaben zufolge abgerissen werden. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft soll der tatverdächtige Feuerwehrmann beim Löschen geholfen haben. Er ist nicht nur bei der Freiwilligen Feuerwehr in Blowatz aktiv, sondern auch noch bei einer Betriebsfeuerwehr in Wismar.

Einwohnerversammlung geplant

Die Nachricht über den tatverdächtigen Feuerwehrmann war laut Bürgermeister Tino Schmidt (SPD) für andere Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr ein Schock. Das hat einen ganz schlechten Beigeschmack, sagt er. Feuerwehr und Gemeinde überlegen nun, was sie machen können. So wurde den Mitgliedern zum Beispiel psychologische Hilfe angeboten. In der kommenden Woche soll es außerdem eine Versammlung für die Einwohner der Gemeinde geben, um erst einmal zu reden.

Ende einer 19-teiligen Brandserie?

Der Ermittlergruppe zufolge hat es seit April eine Reihe von 19 Bränden in der Region gegeben. Ein Einsatzleiter vor Ort wies schon kurz nach dem Brand in Groß Strömkendorf darauf hin, dass in der Region nach einem "Feuerteufel" gefahndet werde, der mehrere Brände gelegt haben soll. Dabei handelte es sich unter anderem um eine brennende Strohmieten, ein Waldstück und Carports. Das Team der Ermittler habe Hinweise, dass der 32-Jährige nicht nur beim Löschen der Brände eingesetzt, sondern jeweils bereits beim Ausbruch von vier Bränden sich in der Nähe aufgehalten hat. Die Ermittler haben nach eigenen Angaben mehr als 100 Zeugen vernommen sowie zahlreiche Daten ausgewertet.

Landes-SPD erleichtert über Ermittlungserfolg

Innenminister Christian Pegel (SPD) dankte den Ermittlern für den "zügigen Ermittlungserfolg". Er hoffe, dass "den vielfältigen Spekulationen, wie es zu dem Feuer in der Unterkunft" kommen konnte, "ein Ende gesetzt" werden könne. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) erklärte, es sei wichtig, dass sowohl für die Geflüchteten, die bislang in der Unterkunft gelebt hatten, als auch für die Bürgerinnen und Bürger in Groß Strömkendorf Klarheit geschaffen wird.

Linke: "Zu früh, politischen Hintergrund auszuschließen"

Der innenpolitische Sprecher der Landtagsfraktion der Linken, Michael Noetzel, sprach sich dafür aus, "die Hintergründe der Tat gründlich auszuleuchten". Seiner Ansicht nach sei es "zu früh, zum jetzigen Zeitpunkt einen politischen Hintergrund der Tat auszuschließen". Dass der Tatverdächtige bislang nicht durch staatsschutzrelevante Delikte in Erscheinung getreten sei, sage wenig aus. Vielmehr müsse "weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Hakenkreuzdrohung und dem Brand geprüft werden", so Noetzel. Der Landes-FDP-Vorsitzende René Domke sagte, "wenngleich laut Ermittlern ein politisches Motiv wohl nicht vorliegt, bleibt der Schock, dass Menschen in einem Gebäude, in dem sie Schutz suchen, vor einem Brandanschlag fliehen mussten". Diese Brandstiftung, aus welchem Motiv auch immer, sei in seinen Augen auf das Schärfste zu verurteilen.

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CDU und AfD fordern Entschuldigungen

Aus der CDU und der AfD kamen Forderungen nach Entschuldigungen. "Friedrich Merz in die Nähe von gewaltbereiten Rechtsextremisten zu rücken war empörend", erklärte Landes-CDU-Generalsekretär Daniel Peters und forderte eine Entschuldigung von der Bundes-SPD-Vorsitzenden Saskia Esken (SPD). Esken hatte Merz kurz nach dem Brand der Flüchtlingsunterkunft wegen früherer Äußerungen mitverantwortlich gemacht. Auch AfD-Landeschef Leif-Erik Holm forderte Entschuldigungen von Akteuren aus Politik und Medien, die seiner Ansicht nach dazu beigetragen haben, "ein Dorf und eine ganze Region deutschlandweit in die Ecke zu stellen."

Mehr Schutz für Flüchtlingsunterkünfte gefordert

Erst kürzlich hatten zwei Hilfsorganisationen nach den Bränden in ostdeutschen Flüchtlingsunterkünften in Groß Strömkendorf und Bautzen einen besseren Schutz der Einrichtungen gefordert. Nach Ansicht der Amadeu Antonio Stiftung müsse neben privaten Sicherheitsdiensten auch die Polizei für mehr Sicherheit sorgen. Timo Reinfrank, Vorstand der Stiftung, sagte, dies gelte besonders für Orte in Regionen mit einem erhöhten demokratiefeindlichen Potential und Gegenden, in denen die Rechtsextreme oder die AfD gegen Geflüchtete mobilisieren.


22.11.2022 10:37 Uhr

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, der Tatverdächtige sei Feuerwehrmann bei der Berufsfeuerwehr in Wismar. Er gehört aber einer Betriebsfeuerwehr an. Wir haben den Absatz korrigiert.

 

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Dieses Thema im Programm:

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