1 Jahr Corona und wir: Generationen! Wie sich das Virus auf die Jungen auswirkt
Kein Unterricht, keine Freizeit, keine Entwicklung: Die Pandemie fordert Kindern und Jugendlichen einiges ab. Viele leiden unter Einsamkeit und Zukunftsängsten, doch ihre Sorgen finden kaum Gehör. Für viele Ältere gelten sie gleichzeitig als Infektionstreiber, die sich nicht an die Regeln halten wollen. Kann die junge Generation den Verzicht ausgleichen?
Mit dem ersten Lockdown am 14. März 2020 steht fest: Schulen und Kitas in Mecklenburg-Vorpommern müssen schließen. Auf einen Schlag bekommen alle die Folgen der verschleppten Digitalisierung zu spüren: keine Laptops, kein WLAN zu Hause und damit auch kein Unterricht. Videokonferenzen sind Luxus, den nur wenige Schulen haben. Nach einem Jahr Pandemie nutzen zumindest rund 360 von 600 Schulen im Land die Lernplattform itslearning - die ist aber vor allem eine Aufgabenverteilung. Bis heute bekommen viele Schülerinnen und Schüler ihre Arbeitsblätter per Post.
Corona verstärkt Ungleichheiten
Die Unterschiede zwischen den Schularten sind groß. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt: Kinder, die auf ein Gymnasium gehen, nutzten schon während des ersten Lockdowns 11 Prozent häufiger Videokonferenzen als Schüler in Haupt-, Real- und Gesamtschulen. Nach dem Lockdown hat sich dieser Unterschied mit 37 Prozent noch verschärft. Und: Kinder auf Privatschulen bekommen ihr Lernmaterial sehr viel häufiger digital gestellt als an öffentlichen Schulen. Dazu kommt: In einer Umfrage des Landeseltern- und des Landesschülerrates MV gab etwa die Hälfte der Schülerinnen und Schüler an, dass ihre Eltern sie nicht ausreichend bei den Aufgaben unterstützen können. Das verstärkt die Ungleichheiten, die ohnehin schon bestehen, sagt Bildungsforscher Thomas Häcker von der Universität Rostock: "Bildung hing schon immer stark von den ökonomischen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen innerhalb der Familien ab. Pandemie bedeutet, das Lernen wird vor allem nach Hause verlagert und das verschärft die ohnehin ungleichen Bildungschancen."
Abschlüsse zweiter Klasse?
Damit bleibt viel Wissen auf der Strecke. Das Münchner ifo Institut fand heraus, dass die Schülerinnen und Schüler während der Corona-Pandemie nur noch halb so viel Zeit mit Büchern und Lernstoff verbracht haben. Bei lernschwachen Schülern war es sogar noch weniger. Besonders die Abschlussklassen gelten als besonders gebeutelt, da sie mit weniger Unterrichtszeit unter nahezu gleichen Bedingungen ihre Prüfungen schreiben müssen. Eine Generation mit minderwertigen Abschlüssen befürchtet Thomas Häcker jedoch nicht. Schülerinnen und Schüler müssten sich nun ähnlich stark verteidigen, wie schon seit Jahrzehnten bei der Diskussion um den Wert des Abiturs in verschiedenen Bundesländern. Außerdem sollten künftig andere Kompetenzen wie das Entwickeln eigener Lernstrategien wichtig ein, denn ein absolutes Weltwissen gebe es nicht mehr, so Häcker. Die Corona-Pandemie könne dabei eine Chance für ein neues Bildungssystem sein.
Kein Abi-Ball, keine Ersti-Woche, kein Auslandssemester
Zwar hat die Digitalisierung in der Pandemie einen ungeahnten Sprung gemacht, trotzdem wird das Lernen wohl noch eine ganze Weile allein passieren - nicht nur für Schülerinnen und Schüler, sondern auch für Studierende. Auch die meisten Freizeitaktivitäten liegen auf Eis, das soziale Leben verlagert sich in die digitale Welt. Viele wichtige Entwicklungsschritte der jungen Generation fallen weg. Laut einer Studie der TUI-Stiftung leiden 42 Prozent der Jugendlichen unter den fehlenden Kontakten zum Freundeskreis.
Bei den 7- bis 17-Jährigen sind die Folgen gravierend: Laut der Hamburger COPSY-Studie ist jedes dritte Kind dadurch psychisch belastet. Besonders anfällig für Probleme sind diejenigen, die aus ärmeren Haushalten kommen. Die Distanz zu den Freunden lässt sich hier schlechter ausgleichen. Je kleiner die Wohnung, desto schwieriger wird zum Beispiel das Skypen, ohne dass die ganze Familie zuhört, sagt der Münchner Soziologe Stephan Lessenich. "Gerade körperliche Nähe lässt sich nicht digital ausgleichen und das wird nicht ohne Folgen bleiben. Für diese Gruppe wird ein ganzer Lebensabschnitt zumindest in bestimmten Dimensionen verloren gehen."
Verzicht hat mit sozialer Ungleichheit zu tun
Trotzdem will Lessenich nicht von einer "Generation Corona" sprechen, denn dazu sei sie in sich zu unterschiedlich. Kinder und Jugendliche leiden nicht gleich stark unter der Krise, können sie verschieden gut ausgleichen. Der Verzicht auf Freunde, Freizeit und Bildung hängt mit sozialer Ungleichheit zusammen. Neue Hobbys sind oft eine Geldfrage, viele verpasste Chancen lassen sich nachholen, wenn die finanziellen Ressourcen da sind. Sie bestimmen, ob der Verzicht weh tut und wie lang man ihn durchhält. "Ein Auslandssemester kann man auch noch ein Jahr später machen, wenn die Eltern trotzdem unterstützen können. Wenn aber schon der Ausbildungsstart nicht möglich ist, dann driften die Chancen schon zum Beginn des Berufslebens weit auseinander und auch die Möglichkeiten das wieder auszugleichen", so Lessenich.
Verzicht provoziert Generationen-Konflikt
Für die Zukunft planen, die Welt entdecken, Erwachsenen werden - mit Corona steht all das auf der Bremse. Auch das Aufbegehren der Jugend wird durch die Pandemie unterbrochen, wie die Fridays for Future-Bewegung. Gleichzeitig gelten die 15- bis 25-Jährigen lange als Infektionsbeschleuniger, die sich nicht an Kontaktbeschränkungen halten wollen. Das wird in den nächsten Jahren zu einem Generationskonflikt führen, sagt Sozialpsychologe Harald Welzer. Die jungen Menschen seien die Einzigen, die wirklich Solidarität gezeigt hätten: "Alle Abschlussjahrgänge, die Studierenden, die Leute in Ausbildungen - deren Leben ist fundamental verändert worden und zwar zum Schlechteren. Trotzdem haben sie die Einschränkungen zugunsten der Älteren mitgemacht und als Quittung sind sie als Party-People verunglimpft worden." Diese Ungerechtigkeit zeige sich auch bei der Impfreihenfolge, so Welzer. Die Diskussion über Vorteile für Geimpfte wird bereits geführt, doch die 15- bis 25-Jährigen werden, wenn überhaupt, die letzten sein, die eine Impfung erhalten und sie werden damit wohl weiterhin verzichten müssen.
