Zu wenig Hilfe für traumatisierte Bundeswehr-Soldaten?
Wenn man sich so manche Geschichten von Leuten anhört, die in der Anfangszeit dabei waren, kann man nur den Kopf schütteln. Karl-Heinz Biesold, Vorstandsmitglied der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie, erzählt, bei der Bundeswehr musste zunächst erst einmal bewiesen werden, dass es überhaupt Traumatisierungen gibt. Es habe anfänglich viele Vorbehalte gegeben und "viele Argumente, dass Traumatisierungen bei Soldaten gar nicht vorkommen würden, weil die ja militärisch gut vorbereitet seien".
Karl-Heinz Biesold gehörte damals zu den führenden Experten der Bundeswehr und hatte engen Kontakt zum neugegründeten Berliner Psychotraumazentrum. Der Oberstarzt a.D. hat früher die Psychiatrie des Hamburger Bundeswehrkrankenhauses geleitet und war für die Behandlung vieler traumatisierter Soldatinnen und Soldaten verantwortlich. "Man hat früher geglaubt, der Soldat muss besonders hart sein, der muss alles abkönnen, der muss alles aushalten können", sagt der frühere Bundeswehrmediziner.
Erkenntnisse anderer Streitkräfte
Dieses unmenschliche Soldatenbild einiger politischer und militärischer Führungskräfte erklärt, warum die Forschenden des Psychotraumazentrums zu Beginn ihrer Arbeit regelmäßig die Erkenntnisse von Studien anderer Streitkräfte oder ziviler Forschungseinrichtungen bekräftigt haben. Es habe Grundlagenforschung zur Hirnphysiologie und zu Stresshormonen gegeben, "um zu belegen, dass das bei Soldaten genauso ist wie bei anderen Menschen. Das klingt zwar jetzt vielleicht ein bisschen komisch, aber häufig muss man das auch nochmal zeigen, dass das keine besondere Klientel ist, die irgendwie schutzgeimpft ist gegen psychische Störungen", sagt Biesold.
Dass das Psychotraumazentrum sich anfangs vornehmlich damit beschäftigt hat, bereits vorhandene Studien mit Bundeswehrangehörigen zu wiederholen, sieht dessen Leiter Oberstarzt Peter Zimmermann nicht kritisch. Denn die Daten anderer Streitkräfte seien nicht ohne Weiteres übertragbar, da etwa die USA oder Großbritannien ein anderes Einsatzspektrum und einen anderen kulturellen Hintergrund hätten.
Mehr Erkrankungen als erwartet
Die wichtigste Arbeit seines Instituts war in der Anfangszeit eine groß angelegte Dunkelzifferstudie. Denn erst seit sieben Jahren weiß die Bundeswehr, mit wie vielen psychisch verwundeten Soldatinnen und Soldaten eigentlich zu rechnen ist. Festgestellt wurde damals, dass es deutlich mehr psychische Erkrankungen gibt, als zunächst angenommen.
Ausgegangen waren die Forschenden davon, dass fünf bis acht Prozent der Einsatzveteranen mit einer psychischen Erkrankung zurückkommen. In Wahrheit sind es bis zu 25 Prozent - von denen wiederum nur wenige Hilfe bekommen, beklagt Zimmermann. Nur die Hälfte der Betroffenen erfahren eine Beratung und "ein Jahr nach Einsatzende waren es nur 10 bis 20 Prozent der Betroffenen".
Nach Angaben der Bundesregierung wurde in der Zeit von 2016 bis 2019 bei rund 1.200 Soldatinnen und Soldaten eine psychische Erkrankung neu diagnostiziert. Der Leiter des Psychotraumazentrums ist angesichts dieser Zahlen beunruhigt, denn sie "müssten im Grunde genommen eher noch höher sein, was darauf hinweist, dass wir in Sachen Aufklärung und Entstigmatisierung noch einiges zu tun haben. Denn selbst wenn Vorgesetzte inzwischen professioneller mit dem Thema umgehen, heißt das ja noch nicht, dass das der Betroffene dann auch glaubt." Denn viele Bundeswehrangehörige haben offenbar Angst, dass sich die Diagnose "psychisch krank" negativ auf ihre Karriere auswirkt.
Schwierigkeiten beim Start
Forschungsaufträge erhält das Institut entweder aus dem Sanitätsdienst, dem psychologischen Dienst oder dem Sozialdienst der Bundeswehr oder es reicht selbst Forschungsanträge beim Verteidigungsministerium ein. Doch das war schon immer sehr umständlich, erinnert sich Oberstarzt a.D. Karl-Heinz Biesold von der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie. Und zunächst gab es auch noch andere Schwierigkeiten. Es habe lange gedauert, bis das Trauma-Institut den entsprechenden Personalschlüssel und die entsprechende Ausstattung bekommen habe. "Es gab keine Wissenschaftsprogramme, die mussten erst beschafft werden und es hat einige Jahre gedauert, bis es dann richtig lief.”
Zentrum weiterhin ohne eigenen Etat
Ein weiteres Problem: Das Institut hat kein eigenes Budget, sondern muss jedes Projekt vom Verteidigungsministerium genehmigen lassen. Und zwar bis heute. Das stört auch Oberstarzt Peter Zimmermann, der Projekte gerne schneller umsetzen möchte. "Ein eigenes Budget für psychosoziale Forschung in der Bundeswehr ist sinnvoll. Wir konkurrieren da mit anderen Bereichen wie dem ABC-Schutz um Forschungsmittel."
Skeptische Veteranen
Philipp Krüger ist Vorstandsmitglied des Verbands Deutscher Einsatzveteranen. Krüger macht sich dafür stark, dass die gewonnenen Erkenntnisse in den Alltag der Bundeswehr Eingang finden. “Man hat jetzt zehn Jahre Forschung hinter sich, man hat sehr gute und belastende Forschungsergebnisse aufgenommen.“ Jetzt müsse man handeln.
Die Arbeit des Psychotraumazentrums bewertet Krüger positiv. Deswegen empfiehlt er das Institut Soldaten mit psychischen Erkrankungen, die beim Verband Deutscher Einsatzveteranen Unterstützung suchen. Manche stehen ihrem Dienstherrn skeptisch gegenüber, sagt Philipp Krüger. Und auch die Bundeswehr halte Abstand zu seinem Verband. Dabei wünschten sich viele Mitglieder mehr Kooperation. Der Verband könne genesene Soldaten aus ihrem Mitgliederkreis als Therapiebegleiter für erkrankte aktive Bundeswehrsoldaten vermitteln.
Interessenkonflikte möglich
Der Verband Deutscher Einsatzveteranen setzt sich für weitgehende Umstrukturierungen ein. Eine konkrete Forderung ist: das Psychotraumazentrum solle nicht mehr von der Bundeswehr direkt betrieben, sondern ausgegliedert werden. Denn es drohten Interessenskonflikte. Krüger nennt ein Beispiel: Ein junger Bundeswehrarzt kommt bei seinen Forschungsarbeiten zu Ergebnissen, die dem Dienstherrn unangenehm sind. Im schlimmsten Fall seien es Ergebnisse, aus denen sich Regressansprüche gegenüber der Bundeswehr ableiten ließen. Der Bundeswehr-Mediziner stehe dann in einem Konflikt. Er möchte Karriere machen, auf der anderen Seite würde er seinem Arbeitgeber mit den neuen Forschungsergebnissen gegebenenfalls schaden.
Mehr Fürsorge gefordert

Institutsleiter Zimmermann schlägt vor, die Soldaten mit Werbekampagnen auf Krankheitssymptome und Hilfsangebote aufmerksam zu machen - auch um Suizide von ehemaligen Bundeswehrangehörigen zu verhindern, die nach dem Dienst ohne die gewohnte Struktur schnell in ein Loch fallen können. Diese fürsorgliche Idee dürfte bei den Personalern und Rekrutierungsbüros der Bundeswehr allerdings wenig Begeisterung auslösen. Denn 25 Prozent psychisch kranke Einsatzrückkehrer - solche Zahlen wirken auf den dringend benötigten Nachwuchs nicht besonders einladend.
