Stand: 10.06.2022 15:56 Uhr

Kommentar: Teure Watte für den Behaglichkeits-Kokon

Im Bund wird gerade über eine sogenannte Übergewinnsteuer debattiert, nachdem der Tankrabatt offenbar eher den Mineralöl-Konzernen als den Bürgern Gutes tut. Und das Neun-Euro-Ticket bringt die Bahn an ihre Grenzen. Was sind die Lehren daraus?

Ein Kommentar von Christoph Schwennicke, Freier Autor

Christoph Schwennicke © dpa Foto: Sven Simon
Christoph Schwennicke meint, dass es in der Krise auf den Verzicht jedes Einzelnen ankommt.

Begonnen hatte alles mit Angst - mit Angst vor der eigenen Bevölkerung. Aufstände ähnlich jener der Gelbwesten in Frankreich wegen steigender Energiekosten infolge des Ukraine-Kriegs befürchtete schon kurz nach dem Angriff Russlands der grüne Grübler und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Und in diesem Panik-Modus wurde fortan Politik gemacht: Geschwind eine einmalige Energiepauschale von 300 Euro erfunden, eine Hopplahopp-Lösung, die einerseits alle Arbeitnehmer unabhängig von ihrer Bedürftigkeit umfasst, zugleich strukturell eher Bedürftige wie Rentner oder Arbeitslose ausblendet, weil die Abrechnung über das Gehalt eines Monats erfolgen soll.

Die verzweifelte Idee einer Übergewinnsteuer

Die selbst ernannte Autofahrer-Partei FDP überkam bald darauf die Angst, dass sie das treffen könnte, was die "Bild"-Zeitung einmal und für immer "Benzin-Wut" getauft hat. Parteichef Christian Lindner entfleuchte die Idee eines Tankrabatts, bevor so richtig über dessen Sinn und Praktikabilität nachgedacht wurde. 

Die Grünen wiederum, Partei des öffentlichen Nahverkehrs aus Überzeugung, wollten der liberalen Autofahrer-Beglückung nur zustimmen, wenn auch die Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs in den Genuss eines Schnäppchens kommen würden. Das war die geistige Geburtsstunde des Neun-Euro-Tickets, das wie der Tankrabatt ebenso umgehend ausgerufen wurde, ohne sich vorher mit der Deutschen Bahn über die Umsetzung abgestimmt zu haben. So gesellte sich Unsinn zu Unsinn. Und weil sich - wie zu erwarten - die Mineralölkonzerne Teile des Rabatts nun als zusätzliche Gewinne einverleiben, gebar der doppelte Unsinn noch einen dritten: die verzweifelte Idee einer so genannten Übergewinnsteuer. Eine unausgegorene Fantasterei, das Kassemachen der Multis oder anderer Krisengewinnler mit einer Strafsteuer zu belegen.

Nicht einfach nur gedankenlos konsumieren

Klar: Beinahe kostenlosen Nahverkehr und verbilligten Sprit nimmt natürlich jeder mit. Endlich mal wieder Bleifuß auf Kosten der Allgemeinheit und an den Wochenenden einen Freifahrschein an die Ostsee oder ins Allgäu. Ist doch klasse! Wer aber einen Moment länger nachdenkt und nicht einfach nur gedankenlos konsumiert, merkt aber schnell, dass der Sache damit überhaupt nicht gedient ist. Die Sache, das ist: massives Einsparen fossiler Energie im allgemeinen und insbesondere aus Russland. Und diesem Ziel kommt man nur mit Verzicht näher und nicht mit Subvention von Verbrauch.

Bei mir etwa begänne das Ganze mit ästhetischem Verzicht. Denn ich gebe zu: Seit Jahren tue ich mich schwer mit der Verschandelung der Landschaft durch die immer monströser werdenden Windräder. Sie sehen einfach scheußlich aus und sind eine Zumutung für jeden mit auch nur ein bisschen Sinn für die Schönheit einer Kulturlandschaft. Aber: Von diesen grässlichen Dingern müssen jetzt noch viel mehr her. Der Sonderabstand von zehnmal der Höhe des Windrades zur nächsten Siedlung muss in Bayern fallen. Die Windmühlen müssen sich in kurzer Zeit vervielfachen, zugunsten einer zunehmenden Energie-Autarkie Deutschlands. Andere wiederum sollten vorübergehenden Verzicht auf ihre Atomkraft-Skepsis üben und den verbleibenden Meilern eine längere Restlaufzeit gönnen. Und zumindest die Debatte darüber ergebnisoffen aushalten, ob man die drei zum Jahreswechsel stillgelegten Meiler nicht auch nochmal hochfahren könnte.

Gewöhnung an Rundum-Komfort

Verzicht wäre auch der richtige Weg bei der Mobilität. 1973 hat die Bundesregierung nicht mit einem Tankrabatt von 30 Pfennig je Liter Sprit auf die Ölkrise reagiert. Sondern für eine begrenzte Zeit mit einem generellen Tempolimit von 100 auf den Autobahnen und vier autofreien Sonntagen. Dieses Mal hat Verkehrsminister Volker Wissing schon die Forderung nach Tempo 130 mit dem abstrusen Hinweis platt gemacht, dafür gebe es nicht genug Schilder. Die gab es damals auch nicht. Die braucht man auch nicht, wenn generell Tempo 100 verfügt wird. An einen autofreien Sonntag tastet man sich heute nicht einmal mehr heran. Stattdessen wird der Behaglichkeits-Kokon, in dem es sich diese Gesellschaft über Jahrzehnte des Überflusses gemütlich gemacht hat, künstlich mit Subventionen aufrechterhalten. Mehr Verzicht hieße im übrigen auch, bei einem Gas-Engpass die privaten Haushalte nicht ganz außen vor zu lassen, wie es der Gas-Notfallplan im Moment vorsieht. Auch hier kann der Verzicht jedes Einzelnen auf zwei Grad Zimmertemperatur sowie ein paar Wollsocken mehr in den Filzpuschen dabei helfen, weite Teile der Wirtschaft nicht zum Erliegen zu bringen - zum Wohle aller am Ende.

1973, so viel steht jedenfalls fest, war man weiter als fast ein halbes Jahrhundert später. Weil die Politik damals den Mut hatte, der Bevölkerung etwas zuzumuten. Und die Erfahrung von Entbehrung und Mangel in Zeiten eines Krieges noch nicht so lange her war wie heute. Heute sorgt die Gewöhnung an Rundum-Komfort dafür, dass die Regierenden selbst in einer Zeit der Not mit künstlich verbilligtem Sprit und kostenlosem Nahverkehr die Bevölkerung davon abhalten, die Dimension der Lage zu erfassen und wirklichen Verzicht zu üben. Stattdessen werden Abermilliarden nicht vorhandenen Geldes dafür ausgegeben, eine wohlstandsverwöhnte Nation künstlich in Watte zu packen und auf Daunen zu betten.

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

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NDR Info | Kommentar | 12.06.2022 | 09:25 Uhr

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