Kommentar: Ruf nach Homeoffice-Pflicht ist Akt der Ratlosigkeit
Die Corona-Neuinfektionen bleiben in Deutschland auf einem hohen Niveau. Noch mehr Unternehmen sollten ihren Angestellten ermöglichen, von zu Hause zu arbeiten, sagt das RKI. SPD und Grüne wollen sogar einen Rechtsanspruch durchsetzen.
Nun aber mal "'Marsch nach Hause!" Die Zahl der Corona-Infektionen geht nicht runter, die der Todesfälle nimmt sogar weiter zu - da macht sich zunehmend Ratlosigkeit breit. Und weil sogar das Verbot privater Kontakte nicht weiterhilft, wird nun über neue Verschärfungen räsoniert: Impfpflicht, vorgeschriebene FFP2-Masken - und jetzt also das verbindliche Homeoffice für alle, deren Anwesenheit am Arbeitsplatz nicht absolut zwingend erforderlich ist.

Damit wir uns richtig verstehen: nichts gegen ein ausgelagertes oder zusätzliches Büro in den eigenen vier Wänden - wenn es im beruflichen Arbeitsablauf Sinn macht und vor allem - wenn es freiwillig ist. Aber den Job per staatlicher Verordnung in die Wohnungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verlegen: Das geht doch wohl deutlich zu weit! Ist nicht längst sichtbar geworden, wie gewaltig die Kollateralschäden dieser Politik von Versuch und Irrtum sind - ohne dass dabei ein erfolgversprechender Weg zur Eindämmung der Pandemie erkennbar wird? Sollten wir nicht endlich aufhören, jeden Tag über neue Einschränkungen zu diskutieren, von denen wir nicht wissen, welche Wirkung sie tatsächlich erreichen?
Die Homeoffice-Auswirkungen sind eine reine Vermutung
Dass das verordnete Homeoffice tatsächlich viele weitere Infektionsfälle verhindern könnte, ist nämlich eine reine Vermutung. Die Schutzvorkehrungen der meisten Verwaltungen und Unternehmen sind meist strikter als in Supermärkten oder öffentlichen Verkehrsmitteln - auch wenn es, vor allem in Kleinbetrieben, womöglich bedenkliche Ausnahmen gibt.
Und auch in anderer Hinsicht hat der betriebliche Arbeitsplatz in der Regel deutliche Vorteile: Diensträume und Werkstätten müssen zwingend den Maßgaben des Arbeitsschutzes entsprechen, während das improvisierte Homeoffice oft nicht einmal über einen geeigneten Bürostuhl verfügt. Unerwünschte Ablenkungen lassen sich im Betrieb viel leichter vermeiden, auch die Arbeitszeiten damit sauberer eingrenzen. Und nur dort ist ein direkter, persönlicher Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen möglich - in diesen Tagen natürlich nur mit dem nötigen Abstand. Was sowohl die Qualität von Arbeitsergebnissen als auch das subjektive Wohlbefinden der meisten berufstätigen Menschen erheblich steigern dürfte.
Sorgfältige Abwägung der Maßnahme nötig
"Auf all das könne man doch angesichts der Gefahren durch die Pandemie mal eine Zeitlang verzichten!" höre ich die Zweifler sagen. Könnte man - genauso wie man derzeit auf Präsenzunterricht, Kulturveranstaltungen und Breitensport verzichten muss. Was die Verfechter dieser Einschränkungen dabei aber aus den Augen verlieren ist, dass wir der Corona-Ausbreitung damit zwar kurzfristig etwas entgegensetzen.
Unser Lebensumfeld, das Zusammenleben in Familie und Gesellschaft aber werden langfristig geschädigt - von den Folgen für Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Staatshaushalt ganz zu schweigen. Wer den Lockdown-Katalog mit der Pflicht zum Homeoffice noch um eine weitere Vorschrift ergänzen will, sollte daher sorgfältig abwägen, ob sein Vorschlag die Lage wirklich verbessert - oder ob er damit nur eine zunehmend populistisch geführte Debatte zusätzlich befeuert.
Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.
