Eine Frau mit Mund Nasenschutz Maske vom Typ FFP2. © picture alliance Foto: Frank May

Kommentar: Regeln nerven, aber Kampf gegen Corona nicht vernachlässigen

Stand: 28.08.2022 00:00 Uhr

Das neue Infektionsschutzgesetz, das Deutschland auf den befürchteten Corona-Herbst vorbereiten soll, ist umstritten. Viele Menschen wollen von Maskenpflicht und noch weiterreichenden Maßnahmen gegen das Virus nichts mehr hören. Die Bereitschaft der Bevölkerung und der Politik, sich vernünftig zu verhalten, um die Ausbreitung von Corona zu bremsen, sinkt. Was folgt daraus?

Der NDR Info Wochenkommentar "Die Meinung" von Markus Feldenkirchen ("Der Spiegel")

Gewiss, es gibt gerade drängendere Probleme als dieses elende Virus. Der brutale russische Angriffskrieg auf die Ukraine natürlich - und die drastischen Konsequenzen, die sich daraus ergeben: die enorm gestiegenen Energiepreise, die Inflation, die Angst vor Armut und Arbeitsplatzverlust, der Klimawandel. Im Vergleich wirkt die Bedrohung, die von der x-ten Corona-Variante ausgeht, in der Tat überschaubar klein. Zumal man sich an diese Gefahr vielerorts gewöhnt zu haben scheint.

Aber sollte man den Kampf gegen Corona deshalb vernachlässigen oder gar einstellen? Weil es größere, wichtigere Probleme gibt? Nein. Reife, aufgeklärte Gesellschaften sollten in der Lage sein, mehr als eine Herausforderung wahrzunehmen, anzunehmen und schließlich zu meistern. Denn auch wenn viele in diesem Herbst und Winter finanziell an die Belastungsgrenze kommen werden: Dem Virus ist das egal. Auch während einer Gasmangellage können sich Menschen mit Corona infizieren, daran sterben oder langfristige Schäden davontragen.

Das Motto: Vieles geht, wenig muss

Der deutsche Journalist und Schriftsteller Markus Feldenkirchen © Markus Feldenkirchen Foto: Markus Feldenkirchen
Markus Feldenkirchen meint, dass das neue Infektionsschutzgesetz besser als das alte ist.

Trotzdem sind viele der Auffassung, es brauche eigentlich keine Schutzmaßnahmen mehr - und deshalb auch kein neues Infektionsschutzgesetz, über das Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) wochenlang gestritten haben. Egal wie differenziert und abgestuft das Instrumentarium ist, das den Ländern nun ab Oktober für begrenzte Zeit zur Verfügung gestellt wird und von dem sie sich je nach Lage bedienen können, nach dem Motto: Vieles geht, wenig muss.

Masken bleiben wirksamster Schutz vor dem Virus

Die Liberalen erwecken selbst den Eindruck, als hätte man sich ein weiteres Infektionsschutzgesetz besser erspart. Wie sich die FDP gerade dafür feiert, in den Verhandlungen mit Lauterbach vermeintliche Lockdowns im Herbst verhindert zu haben, obwohl diese niemals zur Debatte gestanden hatten, zeugt nicht nur von einer gewissen Infantilität im Umgang mit dem Thema. Es zeigt auch, dass ihr parteipolitische Spielchen wichtiger sind als Kontrolle über das Virus-Geschehen.

Das neue Infektionsschutzgesetz ist jedenfalls besser als das alte. Bei dem war eine Maskenpflicht in Innenräumen beispielsweise gar keine Option. Das ist nun anders - und das ist gut so. Masken sind und bleiben der effektivste, billigste und wirksamste Schutz vor dem Virus.

Bundesregierung gibt ein schlechtes Vorbild ab

Umso verheerender ist es, wenn der Bundeskanzler, der Wirtschaftsminister, deren Delegationen, Deutschlands Wirtschaftselite und zahlreiche Hauptstadt-Korrespondenten ganz ohne Masken munter nach Kanada fliegen - und für sich Regeln festlegen, die für den Rest der Bevölkerung nicht gelten sollen. Ein schlechteres Vorbild kann man wirklich nicht abgeben. Jedenfalls sollten sich Scholz und Co. nicht wundern, wenn viele Bürgerinnen und Bürger spätestens jetzt sagen: "Wenn sich die da oben ihre eigenen Regeln basteln, dann mache ich mir auch meine eigenen."

Ich finde: Die Stimmung im Lande ist ohnehin volatil genug, da braucht es nicht noch Wut-Beschleuniger von der Regierungsspitze persönlich. Genügend Landsleute sind auch so genervt davon, dass es überhaupt noch Maßnahmen geben soll. Gerade jetzt, wo viele aus dem Urlaub im europäischen Ausland zurückkehren und dort den Eindruck gewonnen haben, Corona sei endgültig vorbei. Weil sich dort kaum noch jemand um Abstände oder Masken schert. Aber erstens ist noch Sommerzeit, die Menschen sind draußen und das Virus ist und bleibt im Freien ein ziemlich zahnloser Tiger. Und zweitens muss man den lieben Nachbarn ja auch nicht alles nachmachen.

Auch in Zukunft ein Mindestmaß an Achtsamkeit walten lassen

Hinzu kommt, dass sich viele nicht nur genervt fühlen, sondern auch schlicht keine persönliche Sorge mehr empfinden. Weil sie ausreichend geimpft sind. Weil sie Corona schon hatten und obendrein das Glück eines sehr milden Verlaufs - und deshalb glauben, es würde beim nächsten Mal wieder so, bei ihnen wie bei anderen. Aber "Corona nervt" oder "Corona soll endlich vorbei sein" ist eben auch eine ziemlich trotzige und leicht kindische Haltung. Denn natürlich kann das Virus nach wie vor viele Todesopfer fordern, erst recht, wenn es weitere, weniger harmlose Varianten geben sollte. Auch aktuell gibt es rund hundert Corona-Tote jeden Tag. Desweiteren kann es durch viele gleichzeitige Erkrankungen nach wie vor zu bedrohlichen Engpässen durch Ausfall kommen, nicht nur in Krankenhäusern, auch in anderen relevanten Bereichen wie Polizei, Feuerwehr und öffentlichem Nah- und Fernverkehr. Und die schweren Langzeitfolgen, die man auch nach mildem Verlauf haben kann, sollte auch niemand ignorieren.

Das alles sollte eigentlich Grund genug sein, auch in Zukunft ein Mindestmaß an Achtsamkeit walten zu lassen. Für sich selbst, aber auch für die Mitmenschen. Müdigkeit hin, Genervtsein her.

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

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NDR Info | Kommentar | 28.08.2022 | 09:25 Uhr