Ein Mann geht an dem Schriftzug für die UN-Weltklimakonferenz COP27 in Ägypten vorbei. © dpa-Bildfunk/Xin Hua Foto: Sui Xiankai

Kommentar: Nicht jede Veränderung als Zumutung abtun

Stand: 13.11.2022 09:44 Uhr

Die UN-Klimakonferenz im ägyptischen Scharm-El-Scheich läuft noch bis zum 18. November. Große Fortschritte wurden bislang nicht vermeldet.

Der NDR Info Wochenkommentar "Die Meinung" von Hendrik Brandt, Chefredakteur in der Madsack-Mediengruppe Hannover

Es fehlt ja nicht an gutem Willen. Also: fast überall. Die Geschichte mit dem Klima und dessen Wandel zu unser aller Nachteil ist bekannt; das oft wiederholte Bekenntnis, nun aber wirklich etwas tun zu wollen, ist es auch. Im Grunde aber ist nicht viel erreicht - die Erwärmung des Planeten setzt sich fort. Das angepeilte Ziel, es bei einem Anstieg von maximal 2 - besser 1,5 Grad - im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu lassen, ist seit mehr als zehn Jahren verbindlich in der internationalen Gemeinschaft verabredet; in Deutschland gilt die Wegmarke schon weit länger. Gerade sitzen Vertreterinnen und Vertreter von mehr als 190 Ländern wieder in Ägypten zusammen, um herauszufinden, wie man dem Ziel wenigstens etwas näher kommt. Und parallel kleben sich gut meinende Aktivistinnen und Aktivisten hierzulande auf die Straße oder an Museumswände und glauben, dass damit irgendetwas zu gewinnen sei. Es ist schon seltsam: Das Problem ist bekannt, das, was zu tun ist, im Grunde auch - aber in der Substanz geschieht überraschend wenig.

Tempo machen beim Klimaschutz

Hendrik Brandt, Chefredakteur in der Madsack-Mediengruppe Hannover © Hagemann Foto: Hagemann
Man sollte nicht jede Veränderung Wohlstands-satt als Zumutung abtun, meint Hendrik Brandt.

Dabei ist klar: Die Erde kommt auch mit ganz anderen klimatischen Bedingungen zurecht. Es geht nicht um die "Rettung des Planeten", wie manche tönen - sondern es geht um das Leben auf ihm. Nach allem, was wir wissen, ist ein im Wortsinn menschenwürdiges Leben als Teil einer vielfältigen und eingeschwungenen Natur für sehr lange Zeit eben nicht mehr möglich, wenn es jetzt zu warm wird. Für die nationale und internationale Politik, für jeden einzelnen von uns, geht es darum, nun Tempo zu machen - also vorrangig unsere Energie-Nutzung in Industrie, Verkehr und Haushalten völlig neu zu organisieren.

Damit das wirklich gelingt, braucht es ein paar Voraussetzungen jenseits aller Technik. Ein zivilisierter Umgang untereinander ist wichtig, Verlässlichkeit im Handeln - und nicht zuletzt auch der Mut zu echten Veränderungen. Aktuell hapert es aber schon am Anfang, beim zivilisierten Umgang. Das gilt im Großen, wie der Blick nach Russland oder China zeigt. Das gilt aber auch im Kleinen, hier bei uns. In unserem Alltag herrscht eine Grundaggressivität, die das Vertrauen in Wissenschaft, Politik und sogar den Nachbarn immer deutlicher erschüttert. In so einem gesellschaftlichen Klima ist es schwer, sich gemeinsam und notfalls auch zähneknirschend auf einen Beitrag zur Lösung globaler Klimafragen zu verständigen.

Zivilisiert miteinander umgehen

Ein Beispiel? Weil es jetzt aus bekannten Gründen darum geht, weniger Gas zu verbrauchen, haben manche Schwimmbäder bei uns die Wassertemperatur um einige Grad reduziert. Das Ergebnis: Es kommen weit weniger Besucher; Eltern-Initiativen beklagen sogar allen Ernstes, dass es für Kinder unzumutbar sei, in kühlem Wasser schwimmen zu lernen. Am Beckenrand stehen gleichzeitig ein paar ältere Menschen, die darauf hinweisen, dass das Wasser bis vor wenigen Jahrzehnten überhaupt nie geheizt war. Der Streit ist da - der Klimaschutz aber weit weg. Dabei wäre es vielleicht nicht so kompliziert, sich zusammenzusetzen und zu überlegen, wie das Schwimmbad künftig erwärmt werden kann, ohne dass dafür Kohlendioxid in den Himmel geblasen wird. Oder wie warm es eigentlich wirklich sein muss. Wenn man eben zivilisiert miteinander umgeht, verlässlich handelt und nicht jede Veränderung Wohlstands-satt als Zumutung abtut, lassen sich da Wege finden. Bei den neuen Gas-Terminals an der Küste geht das ja auch.

Vielen Menschen steht das Wasser jetzt schon bis zum Hals

Insofern ist es gut, wenn die Konferenz in Ägypten jetzt einmal mehr den Blick weitet und klarmacht: Die Veränderungen in der Umwelt verursachen auf der Welt bereits derart gravierende Schäden, dass die Vorbeugung nicht mehr theoretisch ist. Während wir über die Temperatur im Schwimmbad streiten, steht den Menschen in Pakistan und anderswo das Wasser bereits bis zum Hals. Oder es fehlt - in manchen Teilen Afrikas hat es seit Jahren nicht mehr nennenswert geregnet, weil Wolken jetzt andere Wege nehmen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann diese Probleme auch bei uns ankommen. Ganz praktisch - oder mittelbar in Gestalt von Flüchtlingszügen, deren Größe wir uns noch kaum ausmalen können.

Hilfen an allen Ecken der Welt sind nötig

Ja, klar: Deutschlands CO2-Emissionen sind im Weltmaßstab kaum relevant - aber wenn jetzt hier ein nennenswerter Umstieg gelingt, zeigt immerhin das Land auf Platz sechs der weltweiten Emissions-Hitliste, dass es geht. Mit dem Einsatz von Wind, Sonne, Erdwärme, Energiepflanzen, notfalls auch einer klugen Beimischung von Atomkraft sowie dem Medium Wasserstoff lässt sich vielleicht sogar der europäische Lebensstandard so einigermaßen halten. Zugleich sind Hilfen an allen Ecken der Welt nötig, in denen das nicht so einfach geht. Ob unsere Gesellschaft darauf vorbereitet ist, ob sie das alles aushält, wird sich zeigen. "Unsicherheit und Angst sind keine guten Voraussetzungen, um Innovationen auszuprobieren und global neue Wege zu gehen", so hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier jüngst gesagt. Stimmt schon. Aber das kann es ja nicht gewesen sein - oder?

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

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NDR Info | Kommentar | 13.11.2022 | 09:25 Uhr