Ein Trecker auf einem Landwirtschaftlich genutzten Feld durchpflügt einen Acker. © NDR Foto: Julius Matuschik

Kommentar: Landwirte brauchen eine belastbare Zukunftsperspektive

Stand: 19.06.2022 00:00 Uhr

Lebensmittel werden derzeit immer teurer. Die Folgen des Ukraine-Kriegs sind ein Grund dafür. Günstiges Essen in großer Varianz ist nicht mehr selbstverständlich. Die Landwirte haben von den steigenden Preisen aber wenig, denn auch ihre Kosten gehen stark in die Höhe. Beim Bauerntag wurde die aktuelle Lage diskutiert.

Der NDR Info Wochenkommentar "Die Meinung" von Hendrik Brandt, Chefredakteur der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung"

Essen Sie gerne deutschen Spargel oder frische Erdbeeren vom Feld in der Nähe? Dann sollten Sie sich beeilen. In diesem Jahr endet die Spargelsaison auf manchem Hof schon deutlich vor dem Traditionstermin am 24. Juni. Und Erdbeeren verfaulen hier oder da sogar auf dem Feld. Niemand erntet sie, weil sie niemand kaufen würde. Wie beim Spargel ist der Preis vielerorts einfach zu hoch. Die Bauern stehen frustriert vor den nutzlosen Früchten monatelanger Arbeit - und ihre rumänischen Erntehelferinnen und -helfer sind in diesen Tagen ohne großen Lohn meist schon wieder nach Hause unterwegs.

Planungssicherheit für Bauernfamilien gibt es nicht

Hendrik Brandt, Chefredakteur in der Madsack-Mediengruppe Hannover © Hagemann Foto: Hagemann
Unsere Überfluss-Ernährung ist zu einem guten Teil auf Importe angewiesen, meint Hendrik Brandt.

Es ist schon verrückt: Während die Preise für Lebensmittel drastisch steigen, haben die Landwirtinnen und Landwirte am wenigsten davon. Sicher, wer noch Weizen aus dem vergangenen Jahr in der Scheune hat oder aktuell gute Milch liefert, könnte sich angesichts einer satten Verdopplung der Aufkäufer-Preise schon die Hände reiben. Wären da nicht zugleich die anstehenden Rechnungen für Import-Futter, Mineraldünger oder den guten alten Diesel. Und das sind nur die aktuellen Phänomene, die mehr oder minder auf Corona und den Krieg im Osten zurückzuführen sind.

Der Klimawandel ist damit jedoch ebenso wenig verschwunden wie die bohrenden Fragen von immer mehr Menschen nach Artenschutz oder Herkunft und Herstellungsqualität ihrer Lebensmittel. Nicht einmal mehr Biobauern haben darauf aktuell noch überall eine sinnvolle Antwort - wenn man darunter eben auch versteht, dass sie sich von ihrer Arbeit einigermaßen ernähren können. Von Planungssicherheit für die Familien ganz zu schweigen. Man braucht sehr gute Nerven, um derzeit auf einem Hof zweifelsfrei in die Zukunft zu blicken.

Özdemir versucht Bedenken zu zerstreuen

Und dann auch noch dieser grüne Minister. So mag es mancher Landwirt gedacht haben, als Cem Özdemir in dieser Woche zum Bauerntag nach Lübeck kam. Doch der Schwabe versuchte viel, um Bedenken hinsichtlich möglicher Öko-Umstürze in der Landwirtschaftspolitik zu zerstreuen. Er scherzte sogar über seinen eigenen Vegetarier-Status, und war sich auch nicht mehr so sicher, ob die im rot-grün-gelben Koalitionsvertrag angestrebte Quote von 30 Prozent Biolandbau ein belastbares Ziel bleiben kann. Das passte schon. Denn die Zeiten sind ein bisschen komplizierter - und wohl auch ernster.

Versorgungssicherheit steht auf Agenda ganz oben

Wer derzeit mit den Verantwortlichen in der Landwirtschaftspolitik spricht, erlebt eine deutliche Verschiebung der Perspektive. Selbstverständlich stehen der sorgsame Umgang mit der Natur und nicht zuletzt mit den Tieren, die wir essen wollen, immer noch weit oben. Auch dazu hat Özdemir neue Vorschläge gemacht. Natürlich geht es immer auch um die Zukunftssicherung für die bäuerliche Landwirtschaft, die Vertreterinnen und Vertreter aller Parteien gern im Munde führen. Auch wenn im Hintergrund die Aktienkurse der Agrarmultis gerade explodieren. Ganz oben auf der Agenda steht aber ein Wort, das seit Jahrzehnten im Grunde vergessen schien: die Versorgungssicherheit.

Da sind dann nicht Luxuswaren wie Spargel oder Erdbeeren gemeint, sondern schlicht die Grundnahrungsmittel. Der Krieg in der Ukraine und die Turbulenzen im Welthandel machen deutlich, dass unsere Überfluss-Ernährung zu einem guten Teil auf Importe angewiesen ist. Das gilt unmittelbar für bestimmte Produkte, die hier gar nicht wachsen oder in der Herstellung zu teuer wären - und mittelbar für alles was mit Dünger, Futtermitteln und eben Treibstoff zu tun hat. Zumal, wenn die Preise für Lebensmittel dort bleiben sollen, wo sie bei uns traditionell angesiedelt sind: auf dem denkbar niedrigsten Niveau. Das wird sich mit einer nur auf Deutschland oder auch das EU-Europa beschränkten Produktion eben nicht sichern lassen. Und vielleicht auch ohnehin nicht.

Grenze zwischen Ökolandbau und konventioneller Landwirtschaft wird zunehmend unwichtiger

Denn das ist ja das Vertrackte: Die Anstrengungen zum besseren Umgang mit Natur und Umwelt und damit dem Klima dürfen jetzt nicht nachlassen. Inmitten der akuten Probleme muss auch noch eine dauerhaft belastbare Zukunftsperspektive für die Agrarproduktion erarbeitet und durchgesetzt werden. Landwirtschaft und Politik sind da in den letzten Jahren einige Schritte aufeinander zugegangen; die beiderseitige Abrüstung hat der Debatte gut getan. Die ohnehin nie so ganz sauber zu ziehende Grenze zwischen Ökolandbau und konventioneller Landwirtschaft wird zunehmend unwichtiger. Auch die EU baut die teils absurde Milliarden-Subventionierung der Bauern nun langsam um. Das gemeinsame Ziel ist klar: Gutes Essen in möglichst naturverträglicher Herstellung zu allseits anständigen Preisen.

Schaffen wir das? Die Frage ist vermutlich falsch gestellt. Es geht auch hier nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wann. Vom "Zukunftsbauern" war dieser Tage beim Treffen in Lübeck oft die Rede. Hoffen wir gemeinsam, dass wir ihn - oder sie - bald kennenlernen. Womöglich ja sogar auf dem Spargelfeld.

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

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NDR Info | Kommentar | 19.06.2022 | 09:25 Uhr