Kommentar: Homeoffice-Boom könnte viele Veränderungen bringen
Eine Erkenntnis der Corona-Zeit, die auch über die Pandemie hinaus bleiben wird, ist diese hier: Das Homeoffice ist eine Alternative zum Großraumbüro. Aber welche Auswirkungen hat dieser "Aufschwung" des Homeoffice?
Ein Kommentar von Cora Stephan, freie Autorin
Was wird sich ändern, wenn die Corona-Krise endlich hinter uns liegt? Womöglich gar nicht viel, Menschen vergessen schnell, das macht sie überlebensfähig. Und sie halten durchaus zäh an ihren Gewohnheiten fest. Insofern sind Spekulationen über ein "neues Normal" mit Vorsicht zu genießen.
Andererseits: Man hat in den letzten Monaten erfahren, was - im Guten wie im Schlechten - mittlerweile so alles möglich ist. Nehmen wir das Homeoffice, in dem in diesem Jahr viele ihre Arbeitszeit verbracht haben. Ein Computer kann auch auf einem Tisch in der kühlen Landhausküche stehen, dafür braucht man kein vollverglastes Büro in der Stadt. Der Kontakt mit den nicht immer geliebten Kollegen lässt sich keimfrei per Zoom abhandeln und wer ein gepflegtes digitales Archiv hat, braucht keine Aktenordner mehr griffbereit.
Für viele Sachbearbeiter am Schreibtisch mag die tägliche Videokonferenz und ein Treffen einmal in der Woche genügen. Und wenn die Kinder endlich wieder in den Kindergarten und die Schule gehen dürfen, stört zu Hause nichts mehr bei der Konzentration.
Wie lange hält der Trend?
Das verstärkt offenbar den aktuellen Hang vieler Städter, die teure Mietwohnung in der von Kunst und Kommerz entleerten Stadt gegen günstiges und großzügiges Wohnen auf dem Land zu tauschen. So war es schon immer in Zeiten von Epidemien: Wer konnte, versuchte, die Menschen-Ansammlungen in den Städten zu meiden. Meist kehrte sich der Trend aber wieder um. Wird das diesmal anders sein? Was wäre, setzte sich der Trend fort?
Im Frühsommer haben angeblich bereits eine Million Pariser der Stadt den Rücken gekehrt. Aus den USA hört man, dass zwei von fünf Stadtbewohnern ihre Metropole verlassen wollen. Und mehr als die Hälfte der Londoner Angestellten könnten ihren Job auch im Homeoffice erledigen, heißt es in einer aktuellen Studie. Wenn das auch nur 20 Prozent aller Bürobeschäftigten täten, schätzt die OECD, würden 128 Millionen Menschen kein Vollzeitbüro mehr benötigen.
Keine gute Nachricht für die Städte
Für die Städte ist das keine gute Nachricht. Was tun mit dem freiwerdenden Platz? Die Büromieten würden sinken, vor allem für die verglasten Angestellten-Container, die für nichts anderes geeigneten Hochhäuser - zumal, wenn anhaltende Angst vor Corona dazu führt, dass Angestellte nicht mehr in Fahrstühle steigen wollen. Für die Gastronomie, die von Geschäftsessen lebt, wäre das eine weitere schlechte Nachricht. Auch der Nahverkehr würde sich nicht mehr rentieren. Die Digitalisierung vermindert die Rolle der Metropolen als Begegnungsstätte, als Ort von Kreativität und Produktivität.
Manch ein Zukunftsprophet sieht in seiner Glaskugel den Niedergang der Städte voraus, wie wir es vor 30, 40 Jahren bereits einmal erlebt haben - als von bürgerlicher Öffentlichkeit entkernter Leerraum, in denen nur noch die drei A anzutreffen sind - Alte, Arme und Ausländer.
Standortvorteile fürs Land
Was aber hätte die Provinz vom Ansturm stadtmüder Menschen? Eine Aufwertung, gewiss. Mit einem Mal hat das Land Standortvorteile. Das bekäme mancher Region nur zu gut: In Italien fordern Stadtplaner und Anthropologen die Politiker auf, Menschen zu ermutigen, in die Dörfer zu ziehen - Tausende davon stehen leer und warten auf ihre Wiederbelebung.
Wie aber würde sich das Land durch die Neuankömmlinge verändern? Der Tante-Emma-Laden ist längst verschwunden. Wer auf dem Land lebt, braucht für den nötigen Einkauf ein Auto. Der das Fahrrad bevorzugende Stadtmensch aber würde auch jetzt auf das Auto verzichten wollen und damit dem Onlinehandel zu höchster Blüte verhelfen. Schon heute gibt es auch im kleinsten Dorf einen regen Verkehr der Kurierdienste. Da geht noch mehr.
Vor dem neuen Normal steht das alte Normal
Und da das grüne Gewissen das Regionale bevorzugt: Eier gibt es dann von persönlich bekannten glücklichen Hühnern, Brot aus dem Backhaus und die Kneipe ist der benachbarten Landbrauerei angeschlossen. Während sich in den Städten ein wachsendes Konfliktpotenzial sammelt, Normalverdiener sich die Mieten kaum noch leisten können, Parks und öffentliche Plätze von Drogendealern oder Party-Randalierern besetzt werden, scheint es gut möglich, dass auf dem Land eine neue Mischung entsteht, die lebenswert sein könnte. Sofern man dort nicht nach der Idylle sucht.
Es kann aber auch alles ganz anders ausgehen. Vor dem neuen Normal steht das alte Normal. Warten wir also ab.
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