Die Figuren eines Mannes und einer Frau sitzen auf Stapeln aus Geldmünzen (gestellte Szene). © picture alliance Foto: Andrea Warnecke

Kommentar: Gleichstellung? Frauen haben andere Prioritäten

Stand: 10.03.2023 09:49 Uhr

Am 7. März war "Equal pay day" - der Tag, an dem über immer noch bestehende Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern aufmerksam gemacht werden soll. Inwieweit hängt der "Gender Pay Gap" mit individuellen Lebensentscheidungen der Frauen zusammen?

Ein Kommentar von Cora Stephan, freie Autorin

Wann ist eigentlich aus der Forderung nach der Gleichberechtigung von Männern und Frauen die nach "Gleichstellung" geworden? In der Tat müssen Männer und Frauen gleiche Rechte haben, aber man kann nichts gleich stellen, was nicht gleich ist. Die Vorstellung, ein Patriarchat oder "traditionelle" Rollen hinderten Frauen daran, das anzustreben, was sie eigentlich wollen, setzt voraus, dass man weiß, was sie wollen und nicht nur, was sie sollen. Der allgegenwärtige feministische Diskurs aber unterstellt, dass Frauen nur deshalb in Aufsichtsratsposten und Leitungspositionen in der Minderheit sind, weil alte Männer sie daran hindern, weshalb es eine Frauenquote geben müsse.

Ein Porträtbild von der Autorin Cora Stephan. © n.n. Foto: n.n.
"Die Realpolitik holt manchmal auch den Feminismus ein", sagt Cora Stephan.

Also sind Frauen immer noch keine selbstbestimmten Subjekte, muss man ihnen noch immer helfen, sie auf den richtigen Pfad bringen, ihnen "Gerechtigkeit" widerfahren lassen? Das meinen jedenfalls die Kämpfer vom "Equal pay day", den es wie jedes Jahr auch in der vergangenen Woche wieder gab, ein Kampf gegen den sogenannten Gender Pay Gap, also dagegen, dass Frauen im Schnitt weniger verdienen als Männer. Schuld daran, heißt es auf der Website dieser Kampagne für "Lohngerechtigkeit", seien "strukturelle Ursachen".

Wer wie ein Ingenieur verdienen will, muss Ingenieur werden

Aber welche sind das? Das Patriarchat, die toxischen Männer oder gar die Verräterinnen an der großen Sache, die traditionellen Hausfrauen? Und stimmt es überhaupt, dass eine Ingenieurin bei gleicher Qualifikation weniger verdient als ein Ingenieur? Wäre das so, müsste die Gewerkschaft wegen Lohndumpings einschreiten: Jedes Unternehmen würde doch bereitwillig die billigere Arbeitskraft einstellen. Kurz: Wer wie ein Ingenieur verdienen will, muss Ingenieur werden. Und da sind Frauen in der Tat in der Minderheit. Wie auch in anderen Berufen, etwa bei der Müllabfuhr oder der Kanalreinigung. Kein Mann ist daran schuld, dass hier Frauen selten anzutreffen sind. Nicht, weil sie nicht dürften, das ist lange her. Sondern weil sie offenbar nicht wollen. Weder das, was ihnen von feministischer Seite angedient wird - noch das, was Männer tun und bevorzugen.

Kann es sein, dass über dem Blick auf "strukturelle Ursachen" die ganz und gar individuellen Entscheidungen von Frauen übersehen werden? Man nennt es das "Geschlechterparadox" - die Tatsache, dass Frauen, je weniger sie benachteiligt werden, sich umso seltener für Berufe mit naturwissenschaftlicher oder technischer Orientierung entscheiden, die ihnen höhere Gehälter einbringen würden.

Frauen haben offenbar andere Prioritäten, sind weniger berufs- und karriereorientiert als Männer und daher weniger interessiert an den Leitungspositionen, in denen sie, wie alle Welt meint, so furchtbar fehlen. 2018 arbeiteten zwei Drittel der erwerbstätigen Frauen in Teilzeit. Und viele lassen sich sogar wenigstens zeitweise auf das gern als traditionell, ja reaktionär verteufelte Modell Ernährerehe ein.

Wieso soll Karriere einziges Lebensziel sein?

Eine mittlerweile sehr bekannte Studie über den Fahrdienst von Uber offenbart, woran Lohnunterschiede liegen können. Das Geschlecht spielt zwar beim Fahren keine Rolle und wirkt auch nicht auf die Kilometerzahl ein, dennoch verdienen Männer bei Uber etwa sieben Prozent mehr als Frauen. Warum? Männer fahren im Schnitt schneller, sind an Orten und zu Zeiten unterwegs, die Frauen meiden, arbeiten mehr Stunden in der Woche und bleiben dem Job länger treu. Es geht also hier nicht um Ungerechtigkeit, die man bekämpfen müsste und könnte, sondern es handelt sich um unterschiedliche Prioritäten und Verhaltensweisen. Gut antikapitalistisch gefragt: Wieso eigentlich soll das einzige Ziel im Leben die Karriere im kapitalistischen Verwertungszusammenhang sein?

Es ist erstaunlich, wie wenig die Kämpfer für Gerechtigkeit auf das eingehen, was Frauen selbst wollen. Sie sollen, gefälligst! Diese Überheblichkeit, mit der manch Vorkämpferin die Lebensmodelle anderer Frauen abtut, ist erstaunlich in einem Land, in dem sich doch jeder aus der bunten Vielfalt aussuchen darf, was er ist und macht. Von allen Lebensmodellen aber scheint die am wenigsten akzeptable die Solidargemeinschaft zwischen Mann und Frau zu sein. Und ausgerechnet viele Frauen sprechen anderen Frauen ab, ihr Leben nach den eigenen Vorstellungen gestalten zu dürfen.

Doch der Widerspenstigen Zähmung wird nicht gelingen. Willkommen in der Realität.

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

 

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NDR Info Spezial | Kommentar | 12.03.2023 | 09:25 Uhr