Ein Flakpanzer vom Typ Gepard fährt in Munster über den Truppenübungsplatz (Aufnahme vom 27.11.2002). © picture alliance / photothek Foto: Thomas Imo

Kommentar: Die schwere Geburt mit den schweren Waffen

Stand: 28.04.2022 15:10 Uhr

Der Bundestag hat sich hinter die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine gestellt. Eine deutliche Mehrheit der Abgeordneten stimmte dem entsprechenden Antrag von Union, SPD, FDP und Grünen zu. AfD und Linke kritisierten den Antrag. Die Bundesregierung hatte nach langem Ringen innerhalb der Koalition entschieden, die Ausfuhr von "Gepard"-Panzern an die Ukraine zu erlauben.

Ein Kommentar von Kai Küstner, ARD-Hauptstadtstudio

"Der Bundestag stimmt der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine zu" - das ist das klare, das richtige, das von der Ukraine herbeigesehnte Signal, das von dem Parlaments-Beschluss ausgeht. Würde Deutschland dem angegriffenen Land neben dem "Gepard"-Luftabwehr-Gerät nun auch weitere Panzer mit Raubtiernamen wie "Marder" oder "Leopard" zukommen lassen oder auch Artillerie wie die "Panzerhaubitze 2000", wäre auch das theoretisch vom Bundestags-Antrag gedeckt. So weit, so wichtig.

Nur: Auf welch qualvolle Art und Weise er zustande gekommen ist, steht in dem Beschlusstext selbstverständlich nicht. Welch geradezu selbstzermarternder Denkvorgang vor allem in den Köpfen des Bundeskanzlers und seiner SPD-Genossinnen und Genossen all dem vorausging, verheimlicht das Papier. Und doch ist das entscheidend.

Kanzler Scholz windet sich viel zu lange

Kai Küstner, Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio Berlin © ARD-Hauptstadtstudio Foto: Jens Jeske
Die Ukraine muss die richtigen Waffen bekommen - und Kanzler Scholz die richtigen Worte finden, meint Kai Küstner.

"Der Weg ist das Ziel", sagt der chinesische Philosoph Konfuzius. Bezogen auf die seit Wochen tobende "Schwere-Waffen-Debatte" ließe sich der Satz abwandeln in: "Der Weg ist das Problem" - zumindest für Olaf Scholz. Hatte der doch über Wochen bei Koalitions- wie NATO-Bündnispartnern gleichermaßen für Verwirrung gesorgt: Den klaren "Zeitenwende"-Worten folgte ein unergründliches "Sich-Winden" bei der Waffen-Frage.

Schien der Kanzler bisweilen völlig abgetaucht, verteidigte er dann noch bis zum Wochenende seinen Anti-Schwere-Waffen-Kurs, um schließlich am Montag doch die Lieferung eben dieses schweren Geräts an die Ukraine zu genehmigen - in Form des "Gepard"-Panzers eben.

Fehlende Kommunikations-Strategie beherrscht die Debatte

Es ist also kein Wunder, dass bei der einschlägigen Debatte dazu im Bundestag das Antrags-Papier selbst gar nicht in den Lichtkegel des Interesses rückte: Hatte doch die Union sich nach einigen kosmetischen Veränderungen diesem bereits am Tag zuvor angeschlossen. Vielmehr war es die Kommunikations-Strategie des Kanzlers - oder vielmehr: das Fehlen einer solchen - von der die Debatte beherrscht wurde. Es ist nicht ohne Ironie, dass der Bundestag darüber in Abwesenheit von Olaf Scholz mehr stritt als beriet - der Kanzler befindet sich auf Japan-Reise.

Streit über Waffen dürfte weitergehen

Nun wäre es naiv zu glauben, Merz und Co. hätten diese Diskussion gänzlich ohne parteipolitische Hintergedanken angefacht. Doch die Ampel und insbesondere die SPD machen es sich zu leicht, wenn sie der Union vorwerfen, in dieser schwersten europäischen Stunde mehr die Partei als das Land im Blick zu haben: Hatte sich Deutschland zu Zeiten der EU-Finanzkrise noch eine führende Rolle in Europa zugedacht und zugelegt, duckt es sich in der existenziellen Ukraine-Frage oft weg. Oder fällt gar als Bremser auf - in Sanktions- wie Waffen-Lieferungsfragen.

Wenn Deutschland hier aber Chancen verspielt, Bündnispartner enttäuscht und noch nicht einmal stichhaltig erläutert, warum es das tut, ist eine Debatte dazu im Bundestag - und außerhalb - zwingend erforderlich. Dass folglich auch weiter über Waffen und Worte gestritten werden dürfte, ist also gar keine schlechte Nachricht: Die Ukraine muss die richtigen Waffen bekommen - und der Kanzler die richtigen Worte finden, um den Deutschen und den Bündnispartnern sein Handeln zu erklären.

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin/des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

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NDR Info | Kommentar | 28.04.2022 | 17:08 Uhr

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