Eine Krippenszene im EU-Parlament stellt die Heilige Nacht mit der Geburt Christi in einem Stall nach. © picture alliance / Panama Pictures Foto: Christoph Hardt

Kommentar: Der heilige Josef ist ein moderner Mann

Stand: 25.12.2022 00:00 Uhr

Weihnachten, das ist die Zeit der Weihnachtsgeschichte und des Krippenspiels. Einem kommt dabei schon immer eine merkwürdige nebensächliche Rolle zu: dem heiligen Josef.

Eine Krippenszene im EU-Parlament stellt die Heilige Nacht mit der Geburt Christi in einem Stall nach. © picture alliance / Panama Pictures Foto: Christoph Hardt
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Ein Kommentar von Heribert Prantl, Kolumnist und Autor der "Süddeutschen Zeitung"

Seit Jahrhunderten steht dieser Mann wie überflüssig herum. In vielen Darstellungen hält er eine Laterne in der Hand, auf dass er zu irgendetwas nütze sei. Er beleuchtet die Krippe, in der das Kind liegt. Er ist ja nicht dessen biologischer Vater, sondern dessen Nähr- und Ziehvater; der rechtliche und soziale Vater, wie man das heute nennt. Die Evangelisten erklären dazu: Maria ist schwanger vom Heiligen Geist. Aber von dem hört und sieht man im Stall zu Bethlehem gar nichts. Und so kommt Josef zur besten Nebenrolle der Welt: Weil er ein so gutmütiger Kerl ist, darf er mit hinein in den göttlichen Stall.

Josef ist noch viel mehr als ein Held des Alltags

Porträtbild des Journalisten Heribert Prantl. © picture alliance / Sven Simon Foto:  Anke Waelischmiller/SVEN SIMON
Die Legende von der Jungfrauengeburt lege die Axt ans Stammbaum-Denken und an die klassischen Machtstrukturen, meint Heribert Prantl.

Aber weil niemand auf die Idee kommen soll, Josef könnte vielleicht doch der biologische Vater sein, hat man ihn beizeiten zum alten Mann gemacht. Das ist Unfug, nach den biblischen Texten war er ziemlich viril, denn Jesus hat einen Haufen Brüder und Schwestern gehabt, so steht es beim Evangelisten Matthäus. Weil Maria aber in der katholischen Dogmatik ewige Jungfrau ist, macht die Exegese lustige Verrenkungen, sie zu "Vettern und Basen" zu erklären. Josef widersetzt sich nicht der Rollenbeschreibung, die ihn zum Opa macht: In der ganzen Bibel redet er nichts; kein einziges Wort aus seinem Mund ist überliefert. Er gilt daher als ein wenig trottelig, als gutmütiger Tropf, als heiliger Adabei. Das ist falsch. Es ist Zeit für die Rehabilitierung des heiligen Josef.

Josef ist von Beruf Zimmermann, und ein mutiger Mann, weil er zupackend ist und die Mutter und ihr Kind schützt - erst vor dem Gesetz, das mit der Steinigung der ungetreuen Frau drohte; dann vor König Herodes und seinen Todesschwadronen. Josef floh deswegen mit Maria und dem Kind nach Ägypten. So steht es in der Bibel. Die Evangelien legen Wert darauf, ihn als beherzten Mann zu zeigen. Deswegen ist Josef ein Held des Alltags. Aber er ist noch viel mehr: Er hat die Weihnachtsrevolution mitgemacht. Diese Revolution ist der verborgene Kern des unwahrscheinlichsten Teils der Weihnachtsgeschichte - der Erzählung von der Jungfrauengeburt.

Die Jungfrauengeburt ist Chiffre für die emanzipatorische Idee

Die Kirchenlehrer haben die Geschichte von der Jungfrauengeburt fast zwei Jahrtausende lang missbraucht, um die Sexualität zu verdammen, um Jungfräulichkeit und sexuelle Enthaltsamkeit als das große Ideal zu preisen. Die Kirchenlehrer haben aus der Jungfrauengeburt eine Sexuallehre, ein sexuelles Dogma gemacht, sie haben so getan, als sei die Lehre von der Jungfrauengeburt ein Spezialgebiet der Sexualkunde. Geschlechtsakt und Zeugung werden aus dieser Sicht zu einem Akt der Befleckung. Das ist ein Missverständnis.

Jungfrauengeburt meint etwas ganz anderes, nichts Biologisches, sondern etwas Geistliches. Die Wahrheit über diese Jungfräulichkeit findet man nicht bei einer gynäkologischen Untersuchung. Die Evangelisten, die von der Jungfrauengeburt schreiben, sind Theologen, keine Sexologen. Sie sprechen nicht von der menschlichen Fortpflanzung, sondern vom Fortschritt des Menschlichen. Die Jungfrauengeburt ist Chiffre für die emanzipatorische Idee, sie ist ein Freiheitsbegriff. Die Jungfrauengeburt soll besagen, dass etwas ganz Neues zur Welt kommt, das nicht männlicher Macht entspringt. Die Weihnachtsgeschichte beginnt mit dem Abschied vom Patriarchat. Das Neue kommt ohne Zutun männlicher Potenz zur Welt - durch die Kraft des Geistes. "Geist" ist in der hebräischen Bibel feminin, eine Die, eine schöpferische, weibliche, pfingstliche Kraft: sie reformiert, sie revolutioniert, sie macht neu. Daher heißt es im Magnifikat, im Lobgesang Marias: "Gott stürzt die Mächtigen vom Thron".

Josef ist der Antityp zum patriarchalen Männerbild

Die Legende von der Jungfrauengeburt legt also die Axt ans Stammbaum-Denken und an die klassischen Machtstrukturen. Die Geschichte, dass alles vorbestimmt ist durch die Abstammung, und dass es nur einen Vater geben kann, ist zu Ende. Die Weihnachtsgeschichte ist also auch eine tröstliche Geschichte für all die Menschen, die in komplexen Familienstrukturen leben. Schon für das Kind in der Krippe sind die Verhältnisse kompliziert.

Josef ist der Antityp zum patriarchalen Männerbild. Viele Jahrhunderte lang galt ein strikt antijosefisches Männerbild. Die Weihnachtsgeschichte ist der Abschied von diesen und anderen klassischen Machtstrukturen; sie lehrt den Neuanfang. Die Neuanfänge erleiden oft das Schicksal, dass die alten Kräfte sie wieder einholen. Dann wird aus der revolutionären Idee von der Jungfrauengeburt ein sexuelles Dogma. Gleichwohl: Den Glauben an das Recht zum Abschied vom alten Denken, den Glauben an die Freiheit, aus den alten Festlegungen auszubrechen, den sollte man sich nicht nehmen lassen. Es ist der Weihnachtsglaube. Josef hat ihn gelebt. Deswegen ist er ein Held - ein Held, der eigentlich keiner seiner will. Es bräuchte eine Vermehrung der Josefs in dieser Welt; dann würde sie menschlicher.

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

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NDR Info | Kommentar | 25.12.2022 | 09:25 Uhr