Stand: 11.03.2009 02:43 Uhr

Dirty Dozen, Folge 6: Gerry Mulligan Quartet "Paris, Salle Pleyel, Salon du Jazz" (1954)

von Michael Laages
Gerry Mulligan, us-amerikanischer Jazz-Saxofonist, spielt Bariton-Saxofon bei einer Jazz-Gala in Düsseldorf, Januar 1976. © picture-alliance / akg-images Foto: Brigitte Hellgoth
Der amerikanische Saxofonist Gerry Mulligan komponierte u.a. die Filmmusik für den Oscar-prämierten Film "Laßt mich leben" von 1958.

Paris ist die Welthauptstadt des Jazz in diesen Tagen - nicht New York. Hier, im Herzen des alten Europa, gibt es schon seit Jahren die aufmerksamsten Beobachter der sich entwickelnden Weltmusik namens Jazz. Hier hat auch der erste ursprünglich europäische Weltstar des Jazz, der Gitarrist Django Reinhardt, die ersten Erfolge gefeiert: im "Hot Club de France" und mit dem Geiger Stéphane Grappelli. Während in den USA der ersten Nachkriegsjahre viele Big-Bands dichtmachen müssen und die junge Szene sich mit dem Bebop und darüber hinaus in ganz neue, bislang unerforschte Richtungen bewegt, findet in Paris eines der weltweit wichtigsten Festivals statt - der "Salon du Jazz".

Hier tritt Anfang Juni 1954 ein Musiker auf, der in vielerlei Hinsicht aus dem Rahmen fällt.

Ein Weißer am Bariton-Sax

Zum einen ist Gerry Mulligan, der Mittzwanziger aus New York, weiß - während doch die Jazz-Revolte "daheim" in den USA vor allem schwarz zu sein scheint. Außerdem spielt der Mann mit dem studentischen Mecki-Haarschnitt Bariton-Saxofon - und damit ein Instrument, dass bis dato selten für Solisten taugte. Er aber spielt es so virtuos wie die Klarinette, die er im übrigen tatsächlich auch beherrscht - wie auch das Klavier und die Kunst des Arrangierens. Ausgetüftelten Jazz-Arrangements begegnet das Publikum denn auch in jedem Song des Quartetts, das da in Paris gastiert - einem Quartett, das zu aller Verwirrung obendrein auch noch auf das Instrument verzichtet, das bislang doch praktisch noch immer das Fundament einer starken kleinen Combo war: das Klavier. Mulligan hat das schon öfter probiert seit Beginn der 50er-Jahre, mit dem Trompeter Chet Baker oder dem Saxofonisten Lee Konitz. Nach Paris nun bringt er - neben dem Bassisten Red Mitchell, der danach lange in Schweden lebt, und dem Schlagzeuger Frank Isola - den Ventil-Posaunisten Bob Brookmeyer mit. Und mit ihm gelingt speziell in den Festival-Konzerten des "Salon du Jazz" ein derart dicht in- und miteinander verstricktes Zusammenspiel, wie es den gebildeten Musik-Kennern im alten Europa seit Johann Sebastian Bachs "Kunst der Fuge" bekannt ist.

Intimer geht’s nicht: Mulligan und Brookmeyer scheinen sich gelegentlich aneinander entlang zu schlängeln, alles wirkt wie im schnellen Dialog parallel improvisiert, ist aber in weiten Teilen natürlich mit viel Sinn für Effekt arrangiert. Das Pariser Publikum steht Kopf, der Jubel damals gleicht dem in heutigen Pop-Konzerten. Es muss zu ahnen gewesen sein, dass hier plötzlich frühe Echos unübersehbar vieler Innovationen zu hören waren, mit denen sich die Jazz-Szene von nun an für viele Jahre beschäftigen würde.

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NDR Info | | 11.03.2009 | 22:05 Uhr

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