Stand: 10.04.2019 19:47 Uhr

"Major Tom" verlässt das Airbus-Cockpit

Airbus-Chef Thomas Enders spricht in Stade beim Produktionsstart des neuen Flugzeugs A 350 XWB in Deutschland. © dpa Foto: Angelika Warmuth
Thomas Enders 2010 in Stade beim Produktionsstart des Flugzeugs A 350 in Deutschland.

Seine Herkunft führt ein wenig in die Irre: Als Sohn eines Schäfers kommt Airbus-Chef Thomas Enders am 21. Dezember 1958 im beschaulichen Westerwald zur Welt. Doch als gemächlich oder gar verschlafen kann man weder das Wesen noch den Werdegang eines der einflussreichsten europäischen Industriemanagers beschreiben. Enders verließ im April 2019 den Airbus-Konzern, den er fast 20 Jahre lang mit seiner direkten Art geprägt hat.

Von der Hardthöhe in die Industrie

Enders' nicht immer geplante Karriere verläuft quer durch Militär, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft: Abitur mit 17 Jahren, danach Wehrdienst bei den Fallschirmjägern und Aufstieg zum Major der Reserve. Anschließend studiert er Volkswirtschaft, Politikwissenschaft und Geschichte in Bonn und Los Angeles; berufsbegleitend folgen Dissertation und Promotion. 1982 beginnt Enders seine berufliche Laufbahn als Assistent beim Deutschen Bundestag in Bonn, die ihn 1988 auch als Referent und Redenschreiber des damaligen Verteidigungsministers Gerhard Stoltenberg auf die Hardthöhe führt. 1991 dann wechselt Thomas Enders, den alle nur Tom nennen, in die Industrie zur Daimler-Tochter Deutsche Aerospace AG, die spätere Dasa.

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Dort arbeitet der Zögling von Ex-Daimler-Chef Jürgen Schrempp zunächst im Marketingbereich. 1995 macht ihn der damalige Dasa-Chef Manfred Bischof zu seinem Büroleiter. 1999 ist Enders als erfolgreicher Leiter der Abteilung Unternehmensentwicklung und Technologie in führender Funktion an den europäischen Fusionsverhandlungen beteiligt, die in der Gründung der EADS münden.

"Mission impossible für Major Tom"

Von 2000 an führt er als Vorstandsmitglied die Sparte Verteidigung und Sicherheitssysteme zurück in die Gewinnzone. Ab Juni 2005 teilt sich Enders die EADS-Spitze mit einem französischen Kollegen - zunächst Noël Forgeard, dann Louis Gallois. Oder sollte man besser sagen: mit seinem Kontrahenten? Als "Mission impossible für 'Major Tom'" bezeichnet das "Handelsblatt" damals die Aufgabe des vierfachen Vaters, neben unternehmerischer Vernunft auch für das Gleichgewicht der Kräfte im deutsch-französischen Vorstand zu sorgen. Schien doch der anglo-amerikanisch geprägte Machertyp nicht unbedingt zum protokollarischen Managementstil seiner französischen Kollegen zu passen.

Ende der konfliktreichen Doppelspitze

Die EADS-Chefs Louis Gallois (li.) und Tom Enders. © dpa
Thomas Enders (rechts) und Louis Gallois beenden 2007 ihre gemeinsame Führungsspitze bei EADS.

Lange erweist sich der passionierte Fallschirmspringer als resistent gegenüber sämtlichen französischen Versuchen, die Doppelspitze bei EADS abzuschaffen. Im Juli 2007 schließlich einigen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy darauf, die konfliktreiche Epoche der deutsch-französischen Doppelspitze zu beenden. Im August gibt Enders seinen Posten als Co-Vorstandschef des Luft- und Raumfahrtkonzerns ab und übernimmt die Führung des Tochterunternehmens Airbus - als fünfter Chef des Flugzeugbauers binnen zwei Jahren. Enders und Gallois versprechen, das Unternehmensinteresse an erste Stelle zu setzen und das nationale Denken zu überwinden.

Fitness-Freak und Freund schneller Entscheidungen

Bei seiner Amtsführung beim Flugzeugbauer kommen dem Jogging- und Fitness-Freak, der zudem Kraft bei Alpen-Wanderungen mit seiner Familie schöpft, weniger seine körperlichen Qualitäten, als mehr seine geistigen und intellektuellen Fähigkeiten zugute. Das "Arbeitstier" Enders gilt als willensstark, hart und kompetent, strategisch orientiert und als Freund schneller Entscheidungen. Beim Mutterkonzern EADS hatte er sich als Sanierer und strategischer Entwickler der Rüstungssparte einen Namen gemacht.

Diese Fähigkeiten nützen ihm auch, als Enders über die harten Einschnitte des Sparprogramms "Power8" mit den Betriebsräten der zum Verkauf stehenden Airbus-Werke einen Ausgleich suchen muss. Zum 40-jährigen Firmenjubiläum im Jahr 2010 steht Airbus gut da: Verträge mit internationalen Partnern und das Ende der Wirtschaftskrise bringen wieder vermehrt Großaufträge.

Stilwechsel an der Spitze des Konzerns

Im Januar 2011 unterzeichnet Airbus den Vertrag für das zehntausendste Flugzeug - es gilt als denkbar, dass Enders EADS-Chef Gallois beerben wird. Im Januar 2012 beginnt das Stühlerücken: Enders wird schließlich im Juni an die Spitze des größten europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns berufen. Der Vorgänger versucht, die Angst vor Enders "klarer Kante" zu dämpfen. Der "Welt am Sonntag" sagt Gallois, "Tom tritt gern als harter Fallschirmjäger auf, aber er ist smarter."

Airbus Group: Neuer Name, neue Struktur

Dem schleppenden Rüstungsgeschäft will Enders mit einem Coup direkt nach Amtsantritt begegnen: Mit dem britischen Rüstungsriesen BAE Systems verhandelt er über eine Fusion. Doch das Projekt scheitert am staatlichen Einfluss: Die deutsche und französische Regierung stemmen sich dagegen. Für Enders ist das eine herbe Niederlage. Der Spiegel kommentiert, sein "undiplomatischer Führungsstil" passe nicht "zu einem Konzern unter Staatseinfluss".

EADS-Chef Thomas Enders nimmt am 17.01.2012 an einer Pressekonferenz im Airbus-Werk in Hamburg-Finkenwerder teil. © dpa-bildfunk Foto: Christian Charisius
Nach der gescheiterten Fusion mit dem britischen Rüstungskonzern BAE Systems kündigt Enders massive Sparpläne an.

Statt den Konzern zu vergrößern, kündigt Enders direkt nach dem geplatzten Deal Sparpläne und einen Konzernumbau an. Vor allem in Deutschland werden Stellen gestrichen; statt aufs Rüstungsgeschäft setzt Enders auf die zivile Luftfahrt. Die neue Konzernstruktur versieht der Chef mit einem neuen Namen: EADS heißt ab Januar 2014 Airbus Group.

Rückzug von Konzernspitze geplant

Mindestens ein Projekt hat der Vater von vier Söhnen nicht zu Ende führen können: Enders steht wegen einer Korruptionsaffäre in der Kritik. Ihm wird vorgeworfen, Kenntnis von internen Strukturen gehabt zu haben, die zur Zahlung von Bestechungsgeld gedient haben sollen. Der Konzern hatte sich 2016 selbst angezeigt, da bei Vertragsabschlüssen möglicherweise Gelder an "Berater" geflossen sein könnten. Die Ermittlungen laufen noch.

Bilanz nach 19 Jahren im Konzern

Zudem muss Enders kurz vor seinem Ausscheiden eine schmerzliche Nachricht verkünden: Die Produktion des größten Flugzeugs der Welt, des Airbus A380, wird eingestellt, nachdem die Nachfrage zurückgegangen war.

Insgesamt kann der 60-Jährige jedoch zufrieden auf seine 19 Jahre im Unternehmen zurückschauen. 2018 hatte der Konzern seinen Umsatz auf 63,7 Milliarden Euro gesteigert, der Gewinn betrug gut drei Milliarden Euro. Im Jahr 2000, als Enders in den Konzern einstieg, erwirtschaftete das Unternehmen, das damals noch EADS hieß, "nur" gut 24 Milliarden Euro Umsatz.

Abgang mit Millionen

Nach fast sieben Jahren allein an der Konzernspitze geht der Westerwälder nicht mit leeren Händen aus dem Unternehmen. Laut der französischen Analysefirma Proxinvest könnte er mit 26,3 Millionen Euro an Rentenzahlungen für die nächsten 20 Jahre rechnen. Airbus bestätigte diese "theoretische" Summe im Wesentlichen, machte darüber hinaus aber keine Angabe.

Zusätzlich könne Enders laut Proxinvest mit Aktien im Wert von 7,3 Millionen Euro und eine Prämie von 3,2 Millionen Euro rechnen, damit er ein Jahr lang nicht für die Konkurrenz arbeitet. Das kommt dem Hubschrauberpiloten und Fallschirmspringer gelegen, der ankündigte, seine zukünftige Freizeit "fliegerischen Projekten" zu widmen.

Abgelöst wurde Enders am 10. April von dem 51-jährigen Franzosen Guillaume Faury.

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NDR Info | Aktuell | 10.04.2019 | 10:00 Uhr

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