Schweinestau im Norden nach Tönnies-Schließung
Der größte Schlachthof Europas, Tönnies in Rheda-Wiedenbrück, steht seit einigen Wochen wegen eines massiven Corona-Ausbruchs bei den Mitarbeitern still. Wann der Betrieb wieder losgehen kann, ist auch nach einer Begutachtung durch Experten unklar. Der Stillstand wirkt sich bundesweit auf die Schweinemast und Fleischproduktion aus. Denn die Ställe sind voll.
"Die Schweinehalter stehen derzeit vor großen Herausforderungen. Bedingt durch die Schließung in Rheda-Wiedenbrück kommt es zu Verschiebungen in ganz Deutschland. Nicht nur Schweinehalter, die bisher nach Rheda geliefert haben, sind betroffen, sondern eben auch alle anderen. Die ganze Produktionskette stockt", sagt Torsten Staack von der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands aus Damme. Die Landwirte bekämen Platzprobleme. Und die Schlachtkapazitäten in Norddeutschland seien am Limit. Auch nach draußen auf die Weide können die Schweine nicht, wegen der Schutzmaßnahmen gegen die Afrikanische Schweinepest.
Thomas Gardewin, Landwirt aus Molbergen im Landkreis Cloppenburg, verkauft normalerweise knapp 200 Tiere pro Woche. Der Schweinebauer berichtet: "Ich würde gerne nächste Woche liefern und dann den optimalen Preis erhalten. Doch auch aufgrund des fehlenden Schlachthofs von Tönnies können unsere Schweine erst eine Woche später vermarktet werden." Dadurch erzielt der Bauer nach eigenen Angaben etwa 30 Euro weniger je Schwein. "Das Minus ist vorprogrammiert", sagt er.
Denn die Annahme, dass ein Schwein, das sich noch ein paar Kilo mehr anfrisst, auch mehr Geld bringt, ist falsch. Landwirt Gardewin erklärt: "Die Schweine müssen gewissen Standards entsprechen. Bei Übergewicht passen die standardisierten Formen, wie sie für den Lebensmitteleinzelhandel gebraucht werden, nicht mehr. Und dementsprechend werden diese Schweine schlechter bezahlt."
"In jeden Landkreis gehört ein Schlachthof"
Aber eins ist klar: Die Landwirte können ihre Produktion nicht anhalten. "Deshalb müssen die Schlachthöfe möglichst schnell wieder öffnen, natürlich mit den notwendigen Hygiene-Standards", betont Staak.
Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) fordert hingegen einen grundsätzlichen Wandel in der Fleisch-Erzeugung. Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte sie, es dürfe nicht sein, dass es ganze Landkreise in Niedersachsen gebe, in denen kein einziger Schlachter mehr zu finden sei. Das erschwere nicht nur regionalen Konsum, sondern verlängere auch Tiertransporte. "In jeden Landkreis gehört ein Schlachthof", so die Ministerin.
Damit sich so eine Situation nicht wiederholt, müsse die Fleischindustrie langfristig umgebaut werden, meint auch Thomas Blaha, der Vorsitzende der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz: "Wenn der Einzelhandel und die Fleischwirtschaft nicht zu gemeinsamen Konzepten kommen, ist die Gefahr groß, dass immer mehr Landwirte in die Insolvenz gehen. Und dass wir immer mehr Fleisch aus Ländern importieren, in denen der Tierschutz viel tiefer ist als in Deutschland."
