Zerstörtes Fahrrad auf der Bundesallee in Berlin-Wilmersdorf nach dem Verkehrsunfall einer Radfahrerin mit einem Betonmischer © picture alliance/dpa Foto: Paul Zinken
Zerstörtes Fahrrad auf der Bundesallee in Berlin-Wilmersdorf nach dem Verkehrsunfall einer Radfahrerin mit einem Betonmischer © picture alliance/dpa Foto: Paul Zinken
Zerstörtes Fahrrad auf der Bundesallee in Berlin-Wilmersdorf nach dem Verkehrsunfall einer Radfahrerin mit einem Betonmischer © picture alliance/dpa Foto: Paul Zinken
AUDIO: Radfahrerin stirbt nach Unfall in Berlin: Klima-Aktivist pocht auf Ziele (8 Min)

Klima-Aktivist: "Gehen unsere Aktionen nie leichtfertig ein"

Stand: 04.11.2022 09:05 Uhr

In Berlin ist eine Radlerin bei einem Unfall tödlich verletzt worden - daraus entstand eine bundesweite Diskussion. Ein Bergungsfahrzeug, das helfen sollte, stand im Stau, der angeblich durch eine Aktion von Klima-Aktivisten ausgelöst wurde. NDR Info hat einen Sprecher der Gruppe interviewt.

Die 44-Jährige war am Montag von einem Betonmischer überfahren worden. Donnerstagabend starb sie, zuvor war sie bereits für hirntot erklärt worden. Die Polizei ermittelt nun gegen zwei Mitglieder der Protestgruppe "Letzte Generation" wegen unterlassener Hilfeleistung beziehungsweise der Behinderung hilfeleistender Personen. Sie sollen sich an einer sogenannten Schilderbrücke auf der Stadtautobahn 100 festgeklebt haben. Es entstand ein Stau, der die Anfahrt des Spezialfahrzeuges zur Unfallstelle behindert habe. Die Berliner Feuerwehr teilte mit, dass sich die Rettung der Radfahrerin dadurch um mehrere Minuten verzögert habe. Allerdings sei auch die Bildung einer Rettungsgasse problematisch gewesen. Eine Sprecherin der Berliner Staatsanwaltschaft sagte am Freitag, nach dem Tod der Frau werde geprüft, ob auch der Vorwurf einer fahrlässigen Tötung gegen die Aktivisten in Betracht komme. NDR Info hat darüber mit Theo Schnarr von der Bewegung "Die letzte Generation" gesprochen:

Wir wollen von Ihnen hören, wie Sie reagieren auf diese Ereignisse. Es ist ja noch gar nicht klar, ob der Stau tatsächlich ursächlich war für den Hirntod der Frau. Und wahrscheinlich wird man das auch nie klären können. Trotzdem haben Sie erklärt, Sie seien bestürzt in der Gruppe. Aber ändert dieser Vorfall etwas?

Theo Schnarr: Ich muss zunächst sagen, dass ich die Diskussionen um unsere Aktionen verstehen kann. Sie zielen auf eine nicht mehr ignorierbare Störung unseres Alltags ab, und das erzeugt natürlich eine starke Spannung. Was mich allerdings tief schockiert hat, ist die mediale Berichterstattung der letzten Tage. Seit Montag bricht eine Welle der Vorwürfe, Unwahrheiten und Hetze über uns herein, eine Welle wie nie zuvor - von privaten bis hin zu öffentlich-rechtlichen Medien.

Aber Sie mussten doch damit rechnen, Herr Schnarr ...

Menschen blockieren sitzend eine Straße. © Letzte Generation
Bei Aktionen von "Letzte Generation" wurden schon häufig Straßen blockiert,

Schnarr: Diese Radfahrerin ist das Opfer eines schweren Unfalls geworden. Und das ist furchtbar. Das bestürzt uns und es bedrückt mich auch persönlich. Und ich finde auch, es ist an der Zeit, eine Grenze zu ziehen. Wir haben die Polizei vor dem Betreten der Schilderbrücke informiert und gebeten, Rettungsfahrzeuge umzuleiten. Die Polizei hat daraufhin den Verkehr eigenständig unter der Schilderbrücke geregelt. Dieser Unfall selbst ist mehrere Kilometer von jeder unserer Aktionen entfernt gewesen.

Aber Sie müssten doch damit rechnen, dass, wenn lange Staus entstehen, dass irgendwo an einem Ende, das gar nicht in Ihrem Einflussbereich ist, dass da etwas beeinträchtigt werden könnte. Haben Sie mal in der Gruppe auch über solche worst cases gesprochen?

Schnarr: Wir gehen unsere Aktionen niemals leichtfertig ein. Also ja, wir stören den Alltag und verstören das tägliche Leben. Aber wir tun es, wie gesagt, nicht leichtfertig, sondern jede unserer Aktionen hat eine Rettungsgasse. Jede unserer Aktionen ist darauf ausgelegt, auf Notfälle und auf das Blaulicht reagieren zu können.

Aber ja nicht Kilometer entfernt...

Schnarr: Also - ich denke, ich habe Ihnen diese Frage ausführlich beantwortet. Wir können alles in unserer Macht stehende tun, um unsere Blockaden selbst so auszurichten. Und danach bitten wir die Polizei, diese Regelung zu übernehmen - wie es eben auch am Montag geschehen ist - und können nur appellieren an die Autofahrerinnen und Autofahrer, selbst eine Rettungsgasse zu bilden.

Lassen Sie uns vielleicht jenseits dieses Vorfalls sprechen über die Stimmung, die dadurch entsteht. Aus Ihrer Sicht ist das Blockieren von Straßen, das Bewerfen von Glas-geschützten Kunstwerken ja friedlicher Widerstand. Aber immer mehr empfinden die Aktionen als Aggression. Ist Ihnen das egal? Oder ist die Aufregung vielleicht auch Teil des Konzepts, nämlich Aufmerksamkeit zu bekommen für die Sache Klimaschutz?

Schnarr: Es geht uns darum, dass wir als Gesellschaft zusammenkommen und grundlegend etwas verändern. Und dafür müssen wir uns alle stetig die Frage stellen, ob wir diesen Weg des todbringenden "Weiter-so" beschreiten wollen. Das ist das, was gerade im Raum steht. Und ich glaube, die Menschheit kann es besser. Ende letzter Woche hat die UN noch mal aufgezeigt, dass keine Regierung dieser Welt auf dem richtigen Kurs ist. Menschen sterben schon jetzt an Hitze, Hungers- und Flut-Katastrophen auf der ganzen Welt und auch hier in Deutschland. Und da ist mein Appell - und auch an Sie als Reporterin: Ich bitte Sie inständig, bringen Sie die Telefone der Bundesregierung zum Glühen! Lassen Sie bitte nicht nach mit Fragen, warum sie die Lebensgrundlagen von uns, unseren Kindern, unseren Kindeskindern sehenden Auges zerstören.

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Mitglieder der sogenannten "Letzten Generation" besetzen eine Straße © NDR Foto: NDR

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Ich glaube, dass Ihr Anliegen allen klar ist. Aber die Reaktion ändert sich eben, und wir fragen uns, ob diese Reaktion beabsichtigt ist. Die Bundesinnenministerin fordert inzwischen, die Aktionen auch strafrechtlich zu verfolgen, wenn Menschen gefährdet würden. Blockaden von Rettungswegen seien eben auch nicht legitim, wenn es um ein wichtiges Ziel gehe. Also: Erweisen Sie der Sache damit nicht auch einen Bärendienst - nämlich keinen?

Schnarr: Ich möchte das noch mal herausstellen: Wir reden hier wirklich von der größten Katastrophe, die wir uns vorstellen können. Unsere Flüsse trocknen aus, unsere Felder brennen, unsere Wälder brennen. Spätestens Mitte des Jahrhunderts drohen uns Bürgerkriege. Das ist die Zukunft, in die wir schauen. Und wir wissen auch, dass wir den großen, großen Wandel, den wir brauchen, dass wir den jetzt sofort angehen müssen. Und dass das Zeitfenster dafür sich rasend schnell schließt. Um Veränderungen zu erreichen, ist ziviler Widerstand das effektivste Mittel. Die Menschen müssen mich persönlich nicht mögen. Aber wir müssen gemeinsam die Frage ausdiskutieren, ob wir diesen Weg gehen wollen.

Herr Schnarr, es klingt ein bisschen, als wenn Sie auch etwas vorlesen würden. Sie setzen insgesamt sehr viel Kraft, Mut und Engagement in Ihre Aktionen. Könnte man diese Kraft nicht besser in Projekte stecken, die ganz praktisch etwas verändern, gute Ideen umsetzen? Das fragen sich ja immer mehr, die eigentlich inhaltlich auf Ihrer Seite sind.

Schnarr: Wissen Sie, seit 50 Jahren kennen wir dieses Thema. Und seit 50 Jahren wird intensiv debattiert und diskutiert. Wir waren 1,4 Millionen Menschen auf der Straße 2019. Und dennoch sind wir immer noch am dem Punkt, dass die Klimapolitik unserer Bundesregierung verfassungsfeindlich ist. All die guten Ideen, die es gibt, die müssen wir auch anpacken. Die werden ja systematisch verhindert durch die Politik, die gerade betrieben wird.

Das Interview führte NDR Info Moderatorin Sabine Rein

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Interview | 04.11.2022 | 07:05 Uhr

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Umweltpolitik

Klimaschutz

Soziales Engagement

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