Kinderkliniken: Gut gerüstet für den nächsten Pandemiewinter?
Im vergangenen Winter schlugen viele Kinderkliniken Alarm: Damals waren überdurchschnittlich viele Kinder an dem Atemwegsvirus RSV erkrankt, das vor allem für Säuglinge und Kleinkinder gefährlich werden kann: Notfälle wurden abgewiesen, kranke Kinder kilometerweit in andere Städte gebracht.
Oberarzt Dr. Florian Hoffmann, Präsidiumsmitglied der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) kritisiert: "Hätte das Coronavirus die Kinder ähnlich schwer getroffen wie die Erwachsenen, dann hätten sehr viele Kinder nicht überlebt." Denn die klinische Versorgung der Kinder sei auch ohne die Pandemie mehr als besorgniserregend: Die Kliniken litten bereits seit Jahren unter einem massiven Personalmangel und einer systematischen Unterfinanzierung, sodass mancherorts nicht nur die akuten Notfälle, sondern auch die Versorgung chronisch kranker Kinder gefährdet sei.
Defizitäre Kindermedizin: Ein Systemfehler
Die Pädiatrie ist ein defizitäres Fach, erklärt der Münchner Kinderarzt. Deshalb würden Kinderkliniken schon seit Jahren nicht ausgebaut, sondern klein gespart. Meldungen von geschlossenen Kinderkrankenhäusern häufen sich, wie beispielsweise die angekündigte Schließung der Kinderstation in Parchim zum Oktober 2022.
Hintergrund ist das Abrechnungssystem der Krankenhäuser. Das wurde 2004 für alle deutschen Kliniken verpflichtend umgestellt auf die sogenannte Fallpauschale. Das bedeutet, dass ein Krankenhaus für jede Leistung eine festgelegte Summe erhält, ob Röntgenbild oder Blutabnahme. Berechnungsgrundlage für diese Summe ist auch der zeitliche Aufwand, der dafür veranschlagt wird. Die vorgegebenen Zeiträume sind in der Kindermedizin und Erwachsenenmedizin identisch, aber bei kranken Kindern in der Regel nicht einzuhalten, denn Kinder brauchen mehr Aufmerksamkeit, Zuwendung und Ansprache. Intensivmediziner Dr. Florian Hofmann sagt: "Alle Dinge brauchen einfach viel länger, brauchen mehr Aufmerksamkeit. Dieser Mehraufwand, den Kinder benötigen, ist mit diesem System einfach nicht abgegolten."
Kurzum: Da die Behandlung von Kindern mehr Zeit braucht, müsse dieses Finanzierungssystem für die Pädiatrie dringend reformiert werden, fordern Kinderärztinnen und Kinderärzte.
Zu wenige Betten für Kinder
Eine Folge der chronischen Unterfinanzierung: In den vergangenen 20 Jahren sind rund ein Drittel der Klinikbetten für Kinder abgebaut worden, während parallel dazu die Anzahl der behandelten Kinder gestiegen ist. Von den verbliebenen Betten können außerdem viele wegen des Personalmangels gar nicht mehr belegt werden. Laut jüngster DIVI-Umfrage geben die Kliniken an, 25 bis 40 Prozent ihrer Betten nicht nutzen zu können, weil weder Schwestern noch Pfleger vorhanden sind. Das kann konkret beispielsweise bedeuten, dass in einer mittelgroßen Stadt nur noch drei Betten kinderintensivmedizinisch zur Verfügung stehen und dass die Kliniken für die Rettungsdienste abgemeldet sind. Notfälle müssen dann, wie im vergangenen Winter, oft kilometerweit gefahren werden, bis sie von einer Klinik aufgenommen werden können. Eine Studie der Universität Köln, bereits 2019, also vor der Coronapandemie veröffentlicht, diagnostiziert deshalb einen akuten Versorgungsnotstand in den Kinderkliniken.
Es fehlt an Personal
Zeitnot, Überbelegung, Feiertagsdienste, Wochenend- und Schichtarbeit: Die Arbeitsbedingungen in der Pflege sind herausfordernd und enorm anspruchsvoll. Viele Pflegekräfte bleiben deshalb nur wenige Jahre in ihrem Beruf. Die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler, spricht von aktuell rund 200.000 fehlenden Pflegekräften in allen Bereichen. Auch die Kinderheilkunde ist davon betroffen. Prof. Christoph Bührer von der Klinik für Neonatologie der Charité in Berlin, macht vor allem die schlechte Bezahlung für den Personalmangel verantwortlich: "Man muss den Leuten, die zu ungünstigsten Zeiten arbeiten - das sind ja nicht nur Leute auf Intensivstationen, auch Leute auf Aufnahmestationen, in OPs - eine angemessene Kompensation für ihre verantwortungsvolle Tätigkeit bieten."
Und Florian Hoffmann, der Generalsekretär der Pädiatrischen Sektion der DIVI, ergänzt: "Das ist ein Finanzierungsproblem. Zwei Pflegekräfte zusammen, die können in München nicht wohnen und eine Familie gründen. Das ist unmöglich, davon kann man nicht leben."
"Gravierende Patientengefährdung"
Deutschland hat eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt, aber die Kinder werden in diesem System nicht optimal behandelt. Die Folgen sind nicht nur in der akuten Notfallversorgung sichtbar, sondern häufig auch bei der Versorgung chronisch schwerkranker Kinder, kritisieren die Autorinnen und Autoren der Kölner Studie. Die Behandlungsqualität nehme ab, schreiben sie, und führe bisweilen sogar zu gravierender Patientengefährdung. Deshalb fordern Pädiaterinnen und Pädiater: Die Fallpauschale für die Kindermedizin müsse gekippt oder zumindest massiv reformiert werden.