Hitze und Trockenheit: "Der Klimawandel wird greifbar"
Wissenschaftler sagen es seit Jahrzehnten voraus: Der Klimawandel wird auch in Deutschland drastische Folge mit sich bringen - wie aktuell die extreme Hitze. Doch was kann jeder Einzelne tun, was muss die Politik übernehmen - und wieso ist Verzicht eine gute Möglichkeit der Problemlösung?
Über 40 Grad in Großbritannien, flächendeckende Hitze in Frankreich - selbst in der Bretagne - und Waldbrände in Spanien und Portugal: Die extreme Hitze, die weite Teile Europas umfasst, ist auch in Norddeutschland angekommen. In Hamburg wurde der langjährige Temperaturrekord übertroffen: Am Mittwoch wurden in Neuwiedenthal 40,1 Grad gemessen. "Ich als Meteorologe leide immer, wenn ich so eine Zahl ansagen muss", sagt Sven Plöger vom ARD Wetterkompetenzzentrum: "Das ist eine Rekordsuche, die mir keinen Spaß macht."
Aus Plögers Sicht sind an der aktuellen Wetterlage zwei Dinge besonders: die großflächige Ausdehnung und die zunehmende Häufung der Hitzephänomene. "Im Grunde erleben wir heute das, was uns die Klimaforschung vor 30, 40 Jahren angesagt hat", sagte Plöger im ARD extra am Dienstag. "Der Klimawandel wird greifbar, so klar muss man das sehen."
"Extrema werden zum Normalfall"

"Die Extrema werden immer mehr zum Normalfall", so fasst auch Rüdiger Hartig vom Deutschen Wetterdienst (DWD) den Stand der Wissenschaft zusammen. Und dazu gehöre, dass die Sommer auch in unseren Breiten zunehmend heißer und trockener werden. Seit Jahresbeginn habe es in den meisten Monaten (außer im sehr nassen Februar) teils deutlich zu wenig geregnet. Plöger sieht von 2018 bis jetzt eine langgezogene Trockenphase mit Ausnahme des Jahres 2021. Im Mittel habe es ständige Regendefizite gegeben. "Wir sehen das an den Böden: Wenn man da mit der Hand reingreift, hat man oft Saharastaub in der Hand."
Hitze und Trockenheit sind zwei Entwicklungen, die sich gegenseitig bedingen. Die Folgen spüren nicht nur die Bauern, sondern letztlich alle bei der akuten Hitzewelle. "Denn wenn die Böden knochentrocken sind, dann fehlt die kühlende Wirkung der Verdunstung", sagt Hartig. Das sei wie mit Schweiß auf der Haut: Fehlt der, steigt die Körpertemperatur. Eigentlich ein ganz einfacher Zusammenhang. Gleichwohl nähmen weite Teile der Gesellschaft eine solche der Wissenschaft seit Jahrzehnten bekannte Sachlage erst wahr, wenn sie selbst betroffen sind - und unter extremer Hitze stöhnen. Ein grundsätzliches Problem im Umgang mit dem Klimawandel.
Behäbigkeit im Umgang mit den Klimafolgen
"Wir waren viel zu langsam", sagt Plöger. "Aber da kommen wir an das große menschliche Problem: Mit der Langfristigkeit des Klimawandels gehen wir ganz schlecht um." Wohl aus evolutionären Gründen sei der Mensch nicht in der Lage, das hinreichend ernst zu nehmen. Denn normalerweise beschäftige man sich mit Zeitskalen von Wochen und Monaten, nicht Jahrzehnten. "Wir sehen daher die weltweiten Bemühungen um die Reduktion der Treibhausgasemissionen von Jahr zu Jahr in einer unglaublichen Behäbigkeit."
Was kann jeder Einzelne tun? Anderer Konsum und Verzicht
Politik und Gesellschaft sind bei Lösungsstrategien gefragt. Für Felix Creutzig vom Klimaforschungsinstitut MCC ist zur Bewältigung der Klimakrise ein Punkt besonders wichtig: "Wir müssen aus dem Gedanken herauskommen: Mehr Konsum heißt besseres Leben. Das war vor 60 Jahren der richtige Gedanke, und für ärmere Haushalte gilt das immer noch." Doch generell müsse erkannt werden, dass wir durch eine andere Art von Konsum ein besseres Leben erreichen können.
Creutzig, der an der TU Berlin lehrt und Leitautor des IPCC-Berichts zur Erderwärmung war, hat den nachfrageseitigen Klimaschutz untersucht. Dabei im Fokus: Was kann jeder Einzelne tun? Etwa vom Auto aufs Fahrrad umsteigen. Denn laut Mikrozensus 2020 nutzen 40 Prozent der Pendlerinnen und Pendler für Strecken von unter fünf Kilometern zur Arbeit das Auto. Bei Strecken zwischen fünf und zehn Kilometern sind es sogar fast 70 Prozent.
Umstieg aufs Rad: Gut fürs Klima - und die Gesundheit
Ein Umstieg hat gleich mehrere Vorteile: "Es geht vor allem auch um die Gesundheit. Dadurch, dass es eine geringere Luftverschmutzung gibt, dass wir uns mehr bewegen und dass wir uns gesünder ernähren, steigt unsere Lebenserwartung rapide." Auch die Lebensqualität steige dadurch, dass wir gesünder leben. Gleichzeitig könnten sehr viele Emissionen eingespart werden. Das betreffe auch den Lebensmittelsektor - wenn man sich fleischärmer ernährt.
Nicht nur Verbote, sondern klimafreundliche Angebote nötig
Auf der anderen Seite müssten die Menschen zum Umdenken und Umsteigen bewegt werden. Dafür sind Klimaforscher Kreutzig zufolge nicht unbedingt Verbote notwendig, sondern es gehe darum, klimafreundliche Angebote zu machen - und hier ist dann die Politik gefragt. "Wir können nicht erwarten, dass Leute aufs Fahrrad steigen, wenn es zu unsicher ist und es dauernd zu Unfällen kommt. Wenn aber die Straßen sicher sind, dann wollen viele Menschen auch Rad fahren."
Klimakonferenzen: "Der Bremser bestimmt - da müssen wir raus"
Auch Plöger sieht neben jedem Einzelnen die Politik in der Verantwortung. Zudem gebe es Fehler im System. Bei den UN-Klimakonferenzen gilt etwa für Abschlusserklärungen das Einstimmigkeitsprinzip. Doch treffen dort unterschiedliche Kulturen und geografische Regionen aufeinander, zudem haben die Länder eine sehr unterschiedliche Wirtschaftskraft. "Wenn die 190 Staaten, die die Klimarahmenkonvention unterschrieben haben, mit einer Stimme sprechen müssen, dann kann man sich vorstellen, was passiert: Der Bremser bestimmt." Das zeige sich jedes Jahr aufs Neue. "Wir müssen da raus." Und in Deutschland müsse man sich klar werden: "Wir sind das Land mit den sechstmeisten Kohlendioxid-Emissionen weltweit, das heißt: 187 Länder folgen hinter uns."
Die gewaltige Aufgabe werde von der Politik zwar zunehmend auch als solche erkannt. Es geht laut Plöger nun darum, die erneuerbaren Energien auszubauen, entschlossen im europäischen Verbund, um die Emissionen zu senken. "Sonst wird uns die Atmosphäre immer häufiger extremes Wetter anbieten, wie wir es jetzt tragischerweise erleben müssen."
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