Prof. Dr. med. Carmen Scheibenbogen, Leiterin der Immundefekt-Ambulanz an der Berliner Charité (l.), und Dr. med Christiana Franke, Neurologin und Oberärztin an der Charité © Charité | Sabine Gudath | privat

Coronavirus-Update-Sonderfolge: Genesen, aber nicht gesund

Stand: 12.04.2022 17:00 Uhr

In der Sonderfolge des NDR Info Podcasts Coronavirus-Update sprechen die Fachärztinnen Christiana Franke und Carmen Scheibenbogen über Spätfolgen einer Corona-Infektion - Long Covid und Post Covid.

Für viele Menschen scheint die akute Bedrohung durch Sars-CoV-2 für den Moment gebannt. Die Impfung schützt gut gegen einen schweren Covid-19-Verlauf und das Risiko für Krankenhausaufenthalte für Geimpfte sinkt. Ein Aufatmen ist für viele Infizierte und auch das Gesundheitssystem trotzdem kaum möglich, denn der durch Sars-CoV-2 hervorgerufene Infekt kann langfristige und möglicherweise chronische Folgen haben: Long Covid oder Post Covid. Wie groß die Notlage ist, die daraus entsteht, ist bisher kaum abzuschätzen. Was ist bekannt über das neue Syndrom, wie sind die Heilungschancen und wie wird sich das Syndrom auf unsere Gesellschaft auswirken? Darüber spricht die Wissenschaftsredakteurin Beke Schulmann in einer Sonderfolge des NDR Info Podcasts Coronavirus-Update mit den Fachärztinnen Christiana Franke und Carmen Scheibenbogen.

Die zentralen Themen der Folge im Überblick - per Klick direkt zur Textstelle springen

Prävalenz Long Covid

Risikofaktoren für Langzeitfolgen

Definition Long Covid und Post Covid

Einfluss von Vorerkrankungen auf das Risiko für Long Covid und Post Covid

Einfluss der Virusvarianten und Reinfektionen

Symptome

Diagnostik

Pathophysiologische Mechanismen

Einfluss der Impfung auf Long Covid

Post Covid nach Impfung?

Therapiemöglichkeiten

Heilungschancen

Gesellschaftliche Auswirkungen

Prävalenz Long Covid

Beke Schulmann: Wir wollen heute über Long Covid und Post Covid sprechen, über Ihre Forschung dazu und Ihre bisherigen Erfahrungen damit. Deswegen würde ich gerne mal mit der Frage anfangen, wie Sie überhaupt zu der Thematik Long Covid gekommen sind. Das Syndrom war ja erst mal für alle neu.

Christiana Franke: Absolut. Das hat uns alle erwischt. Genauso wie die Corona-Pandemie uns im Frühjahr 2020 auch erwischt hat. Ich ganz persönlich bin dazu gekommen, dass ich Patienten und Patientinnen auf der Intensivstation mit Akut-Covid mitbetreut habe, neurologisch mitbetreut habe. Zu einem Zeitpunkt, wo wir alle noch dachten, das sei eine pneumologische Primärerkrankung und wir Neurologen hätten da gar nicht so viel mit zu tun.

Aber das war schon für die Akutinfektion nicht ganz richtig und wir konnten dann gemeinsam mit den Kollegen der Anästhesie und Inneren Medizin lernen. Und etwa vier, fünf Monate nach der ersten Welle aufgrund einer Publikation, die wir dazu verfasst hatten zu neurologischen Manifestationen und Autoantikörper-Findings im Liquor, haben wir dann Zuschriften bekommen von Patienten, die Monate später noch neurologische Beschwerden nach einer durchgemachten Covid-Erkrankung hatten und nicht wussten, an wen sie sich wenden können. Und somit haben wir dann diese neurologische Post-Covid-Sprechstunde im September 2020 an der Charité eröffnet und aufgebaut.

Das Coronavirus © CDC on Unsplash Foto: CDC on Unsplash

Sonderfolge: Genesen, aber nicht gesund

Sendung: Das Coronavirus-Update von NDR Info | 12.04.2022 | 17:47 Uhr | von Beke Schulmann
93 Min

Long Covid und Post Covid: Die Fachärztinnen Christiana Franke und Carmen Scheibenbogen klären über den aktuellen Forschungsstand auf.

00:05:30 Prävalenz Long Covid
00:07:15 Risikofaktoren für Langzeitfolgen
00:12:10 Definition Long Covid und Post Covid
00:18:45 Einfluss der Virusvarianten und Reinfektionen
00:22:30 Symptome
00:35:55 Diagnostik
00:55:27 Pathophysiologische Mechanismen
01:03:29 Einfluss der Impfung auf Long Covid
01:06:30 Post Covid nach Impfung?
01:13:34 Therapiemöglichkeiten
01:27:33 Gesellschaftliche Auswirkungen

https://www.ndr.de/coronaupdate

Kein Tag vergeht ohne neue Nachrichten zum Coronavirus Sars-CoV-2. Längst haben wir uns an Maßnahmen wie Mundschutz, Abstand und Hygieneregeln gewöhnt. In unserem Podcast wollen wir verlässlich über neue Erkenntnisse der Forschung informieren. Die NDR Wissenschaftsredakteurin Korinna Hennig und Beke Schulmann aus der Wissenschaftsredaktion sprechen dazu im Wechsel mit Experten.

Alle Folgen zum Nachhören und Nachlesen:
https://www.ndr.de/nachrichten/info/podcastcoronavirus134.html

Im Podcast werden von unseren Experten viele Studien erwähnt. Hier finden Sie eine Linksammlung der Studien, nach Folgen geordnet:
https://www.ndr.de/nachrichten/info/corona2636.html

Alle Fragen und Antworten zu Corona auf unserer FAQ-Seite: https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/corona100.html

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Schulmann: Und sind Sie zurzeit eher mit akuten Fällen, also mit Covid-19-Fällen beschäftigt oder mit Long Covid?

Franke: Also ich persönlich tatsächlich weiterhin mit beidem, obwohl natürlich der Fokus und der Schwerpunkt auf Post Covid liegt. Aber wir behandeln natürlich immer noch auch auf den peripheren Stationen, auf der Intensivstation auch akute Patienten und Patientinnen mit Covid-19.

Schulmann: Frau Scheibenbogen, wie war das bei Ihnen? Wie sind Sie zur Thematik gekommen?

Carmen Scheibenbogen: Ich bin Professorin für Klinische Immunologie und wir haben an unserem Institut eine Sprechstunde für postinfektiöse Syndrome. Und wir betreuen hier schon sehr lange Menschen, die nach Infektion am Chronischen Fatigue-Syndrom, am CFS, erkrankt sind. Und letztendlich schon im Mai, Juni 2020 kamen Patienten auf uns zu, die sagten: Wir haben Covid, wir sind immer noch krank, wir leiden an Fatigue. Wir haben aber auch Schmerzen. Wir haben auch kognitive Störungen. Und wir denken, wir haben CFS.

Und wir haben dann sehr schnell eine Studie initiiert, um letztendlich diese Patienten auch bei uns systematisch zu erfassen. Und so beschäftigen wir uns jetzt seit fast zwei Jahren mit den Jüngeren. Es sind also nicht die, die bei uns stationär waren, sondern das sind Menschen, die so zwischen 20 und 50 sind, die an schwerer Fatigue leiden. Die auch an dieser Belastungsintoleranz leiden und die wir dann hier bei uns sehen. Wir haben inzwischen an die 200 Patienten in diese Studie eingeschlossen und haben einiges gelernt über Post-Covid-Syndrome.

Wir haben wirklich auch gesehen, dass ein Teil auch das Vollbild von CFS hat, wie wir das auch nach anderen Infektionen erkennen. Aber wir haben auch gesehen, dass wir letztendlich mit einer Vielzahl von Symptomen und wahrscheinlich auch unterschiedlichen Krankheitsbildern bei den Jüngeren zu tun haben. Und wir haben uns dann an der Charité auch zusammengeschlossen in einem Post-Covid-Netzwerk, wo wir uns mit Ärzten aus vielen unterschiedlichen Fachbereichen gemeinsam um diese Patienten kümmern.

Long-Covid-Betroffene

Schulmann: Es gibt bisher ja ganz unterschiedliche Zahlen dazu, wie viele Menschen nach einer SARS-CoV-2-Infektion an Long Covid leiden. Die Ergebnisse aus verschiedenen Studien reichen von zehn bis 40 Prozent. Welche Zahl halten Sie für realistisch?

Scheibenbogen: Ja, das ist eine der Fragen, die am meisten interessiert, die aber auch nicht einfach zu beantworten ist. Diese vielen Studien, die sind oft auf der Grundlage von einer Vorselektion von Erkrankten. Das hängt natürlich auch immer davon ab, was für eine Sprechstunde man hat, was für eine Studie man hat. Letztendlich richtig gute Zahlen kann man nur bekommen, wenn man die Gesamtbevölkerung erfasst. Und solche Studien gibt es bislang nur wenige. Aber es gibt auch einige.

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Sonderfolge: Genesen, aber nicht gesund

Long Covid und Post Covid: Die Fachärztinnen Christiana Franke und Carmen Scheibenbogen klären über den aktuellen Forschungsstand auf. Download (292 KB)

Man kann zum Beispiel nach England schauen. Dort gibt es letztendlich von dem Office of National Statistics eine Verlaufsbeobachtung von mehreren Hunderttausend an Covid Erkrankten, die die Erkrankung auch dokumentiert haben, über eine PCR oder einen Antikörpertest, und die diese Patienten jetzt auch über einen längeren Zeitraum beobachten. Und da hat man relativ gute Zahlen. Da gab es auch ganz aktuell noch mal eine Übersicht.

Danach kann man davon ausgehen, dass etwa einer von 40 an Long Covid leidet, wenn man jetzt die gesamte Bevölkerung betrachtet beziehungsweise wenn man nur die betrachtet, die infiziert sind, auch da gibt es ja wiederum eine Dunkelziffer, aber dann kommt man ungefähr auf die zehn Prozent. Ich denke, diese zehn Prozent Long-Covid-Erkrankte, das ist eine Zahl, die schon relativ zuverlässig ist.

Risikofaktoren für Langzeitfolgen

Schulmann: Wer hat ein besonders hohes Risiko für Long Covid nach einer Infektion? Da gibt es auch verschiedene Aussagen zu. Ich würde die gerne mal mit Ihnen durchgehen. Es heißt zum einen, wer wegen Covid-19 auf einer Intensivstation behandelt werden musste, der oder die wird immer mit Long Covid zu kämpfen haben. Wir haben schon gehört, das sind eher nicht die Patientinnen, die Sie sehen. Aber würden Sie sagen, ist das trotzdem ausnahmslos der Fall? Wer auf der Intensivstation lag, der wird Long-Covid-Probleme bekommen?

Scheibenbogen: Ja, das hängt natürlich noch mal ein bisschen davon ab, wie stark jemand erkrankt war, ob jemand auch beatmet werden musste, wie lange er beatmet werden musste. Aber man kann schon davon ausgehen, dass der überwiegende Teil derer, die bei uns auf Intensivstation lagen, dann auch Folgeprobleme haben und zum Teil auch schwere Folgeprobleme haben. Es ist ja auch nicht unerwartet. Die kennt man auch schon lange.

Post-Intensive-Care-Syndrom

Und eine Erkrankung, die in dem Zusammenhang gut untersucht ist, ist das Post-Intensive-Care-Syndrom. Was für uns aber nicht ganz unerwartet war, aber natürlich trotzdem auch neu ist, dass eben viele der Jüngeren auch, die gar nicht so schwer krank waren, die also nur ein mildes Covid hatten, also oft gar keine Lungenentzündung, dass auch viele von denen anhaltende Symptome haben und teilweise auch schwer krank sind.

Das war etwas, was nicht ganz unerwartet war für uns, da wir uns schon lange mit diesen post-Infektiösen Syndromen beschäftigen, aber gerade die Vielfalt der unterschiedlichen Symptome und in der Häufigkeit doch auch etwas war, was uns alle überrascht hat.

Schulmann: Kann man da eine Zahl nennen, wenn man an die Häufigkeit denkt? Es sind nicht ganz so viele Jüngere, die zum Beispiel auch asymptomatisch oder mit mildem Verlauf erkrankt waren. Was heißt da in dem Fall selten? Also einer von 100? Einer von 10.000? Kann man das irgendwie benennen?

Scheibenbogen: Na ja, von denen, die krank waren, da geht man schon davon aus, dass etwa zehn Prozent Long Covid entwickeln, weil anteilsmäßig sind die Jüngeren natürlich viel mehr als die Patienten, die bei uns auf Intensivstation lagen. Also, wenn wir von zehn Prozent Long-Covid-Erkrankungen sprechen, dann beziehen wir das auf alle, die an Covid erkrankt sind, und da sind eben die meisten Long-Covid-Patienten dann in der Tat die Jüngeren.

Schulmann: Okay, ich hätte jetzt vermutet, dass es so ist, dass zehn Prozent aus dem gesamten Topf der Erkrankten zu suchen sind und dann bei den Älteren, die auf der Intensivstation gelegen haben, mehr dabei wären und dann bei den asymptomatisch infizierten Jüngeren eher weniger.

Scheibenbogen: Also, bei den Älteren sind es mindestens zwei Drittel, die Long Covid haben, die bei uns auf der Intensivstation lagen. Aber es sind natürlich anteilsmäßig gesehen sehr viel weniger, weswegen die auch nicht so ins Gewicht fallen. Und bei den Jüngeren, denke ich, kann man mit den zehn Prozent, glaube ich, arbeiten. Und wir sprechen allerdings dann meistens nicht von Asymptomatischen, sondern es sind schon, auch wenn man von einem milden Covid spricht, Menschen, die meistens ziemlich krank waren.

Schulmann: So wie eine Grippe.

Scheibenbogen: Genau, wie eine ordentliche Erkältung oder Grippe. Und nicht nur, dass sie krank waren, sondern es waren oft auch Krankheitsverläufe über zwei, drei Wochen.

Franke: Ich glaube, es wäre noch mal wichtig, drei Dinge zu schärfen. Es gibt die Patienten, wie jetzt ausgeführt, mit mildem Verlauf. Und dann gibt es die Patienten, die hospitalisiert werden mussten während der Akutinfektion, ob auf peripherer Station und mit Sauerstoffversorgung über Nasenbrille oder dann sogar mit Intubation und intensivpflichtigem Verlauf. Und da gibt es ja tatsächlich Zahlen, dass die Patienten, die intensivpflichtig behandelt werden mussten, bis zu 80 Prozent residuelle Symptome haben, die, wie Frau Scheibenbogen schon ausgeführt hat, nicht unbedingt immer auf Covid zurückzuführen sein müssen.

In dem Fall immer von Long Covid zu sprechen, finde ich schwierig. Dafür gibt es einfach nicht gute untersuchte Daten, weil das sehr überlappend ist mit dem Post-Intensive-Care-Unit-Syndrom, aber da haben viele Patienten auch neurologische Manifestationen. Das versuchen wir gerade auch in der Studie zu untersuchen, wo wir Patienten mit intensivpflichtigem Verlauf mit und ohne Covid-Erkrankungen bezüglich der Kognition, also des Gedächtnisses und der Gedächtnisstörung, nachuntersuchen, auch im Vergleich mit Patienten, die einen milden Akutverlauf von Covid-19 hatten.

Das ist, glaube ich, das Erste. Und das Zweite ist, zehn Prozent ist tatsächlich realistisch. Das ist ja auch eine Zahl, mit der die WHO in Publikationen angibt, dass zehn Prozent aller Patienten, die akut erkrankt waren, tatsächlich residuelle Symptome im Sinne eines Post-Covid-19-Syndroms erleiden.

Definition Long Covid und Post Covid

Und das Dritte ist tatsächlich, dass wir noch mal geradeziehen müssen: Long Covid und Post Covid von der Definition. Das geht ja immer noch sehr durcheinander. Obwohl, ich habe das Gefühl, es ist tatsächlich etwas geschärfter. Aber vielleicht noch einmal zur reinen Definition. Das ist viele Monate eine rein zeitliche Definition gewesen, die im Oktober letzten Jahres von der WHO um klinische Symptome erweitert worden ist. Letztlich haben wir eine Akutinfektion und Symptome, die während der Akutinfektion und auch noch etwa vier Wochen nach der Akutinfektion weiterhin bestehen.

Die würde man noch der Akutinfektion zurechnen. Und Symptome, die darüber hinaus, also nach der vierten Woche nach dem positiven PCR-Test oder dem Beginn der Symptomatik bestehen, ab dann würde man von Long Covid sprechen. Und von Post Covid tatsächlich erst, wenn Symptome noch zwölf Wochen, also drei Monate nach der Akutinfektion oder anhaltend bestehen, dann ist man tatsächlich erst bei Post Covid-19.

Post Covid

Und wir haben uns auch in unserem Post-Covid-Netzwerk mit den Kollegen der Inneren Medizin, also Kardiologie, Pulmologie, der Psychosomatik, der Rehabilitationsmedizin, auch der Pädiatrie eigentlich verständigt, dass jetzt tatsächlich Diagnostik bezüglich dieser Symptome, die ja sehr unspezifisch sind, tatsächlich erst nach zwölf Wochen eingeleitet werden sollten. Und für uns in der Neurologie und für die Kollegen der Immunologie und insbesondere des Fatigue-Zentrums war es doch nicht zu erwarten, dass da so eine große Anzahl von Patienten insbesondere mit Kognitionsstörungen im Nachgang an die Covid-Erkrankung auf uns zukommen.

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Und wie eben schon ausgeführt, es sind überwiegend junge Patienten und Patientinnen. Wir haben selber eine Untersuchung dazu gemacht, wo wir die ersten 100 Patienten, die sich bei uns in der Sprechstunde vorgestellt haben, genauer untersucht haben. Und das waren zu zwei Drittel Frauen, die sich bei uns vorgestellt haben und im mittleren Alter, 45 Jahre alt, und Konzentrationsstörungen waren die hauptsächlich berichtete Symptomatik in dieser Sprechstunde.

Einfluss von Vorerkrankungen auf das Risiko für Long Covid und Post Covid

Schulmann: Welche Rolle spielt dabei eine Vorerkrankung für das Risiko für Long Covid und Post Covid, Frau Franke vielleicht?

Franke: Ja, genau. Das ist tatsächlich auch nicht sehr gut untersucht. Wir selber haben als Kriterium festgelegt für diese neurologische Sprechstunde zu Post Covid-19, dass wir keine Patienten in der Sprechstunde sehen, die neurologische oder psychiatrische Vorerkrankungen haben, weil das für uns extrem schwierig ist, das auseinanderzudividieren.

Ich gebe mal ein Beispiel: Eine Patientin mit einer Multiplen Sklerose hat Covid-19 und berichtet im Nachgang dann zum Beispiel von Fatigue oder von Konzentrationsstörungen. Wir kennen ja auch Fatigue und Konzentrationsstörungen bei der Multiplen Sklerose, primär. Das ist ja auch ein Symptom, was bei dieser Erkrankung bestehen kann. Und das auseinanderzudividieren, was ist jetzt hier Grunderkrankung oder neurologische Folgeerkrankung nach der SARS-CoV-2-Infektion, das ist schwierig, vor allem, weil uns ja tatsächlich ein prädiktiver Biomarker bislang fehlt für das Post-Covid-19-Syndrom.

Viruslast

Schulmann: Wie ausschlaggebend ist es denn, ob ich als Infizierte eine hohe Viruslast hatte, Frau Scheibenbogen. Ist dazu schon was bekannt?

Scheibenbogen: Da kommen wir noch mal zu den Risikofaktoren. Da gibt es ja inzwischen doch schon einige Untersuchungen. Und es gibt eine große Studie, die zum Beispiel gezeigt hat, dass auch die Höhe der SARS-CoV-2-Viruslast bei der akuten Infektion ein Risikofaktor ist, um ein Post-Covid-Syndrom zu entwickeln. Interessanterweise aber auch die EBV-Reaktivierung, also auch das EBV-Virus wurde bei einem Teil der Patienten ...

Schulmann: Das Epstein-Barr-Virus, das man auch als Pfeiffersches Drüsenfieber kennt.

Scheibenbogen: Genau, das Epstein-Barr-Virus wurde bei einem Teil der Patienten nachgewiesen. Dazu muss man wissen, dass das ein Virus ist, das fast jeder von uns auch in sich trägt, also ein Herpesvirus, das sich meistens aber im Körper versteckt, keine Krankheitssymptome macht, aber bei Infektionen auch aktiv werden kann. Und man hat gesehen, dass es nicht nur mehr EBV-Virus bei denen gab während der Akuterkrankung, die dann ein Post-Covid-Syndrom entwickelt haben, sondern dass man auch Antikörper messen kann, die auch dafür sprechen, dass EBV reaktiviert wird.

Da kann ich auch vielleicht noch mal im Zusammenhang mit Mechanismen darauf eingehen, was das eigentlich heißen kann, dass EBV reaktiviert wird. Wir kennen weitere Risikofaktoren und haben in unserer Studie ja Patienten gesehen, die eigentlich bis zum Erkrankungsbeginn gesund waren, also kaum Vorerkrankungen mitgebracht haben. Und da haben wir auch noch mal geschaut: Gibt es da auch immunologische Faktoren? Denn das Immunsystem spielt ja eine ganz wichtige Rolle, wie gut wir mit so einer Infektion fertig werden.

Und da haben wir in der Tat gesehen, dass wir bei einem Teil der Patienten Immundefekte finden. Und das ist interessanterweise vor allem ein Mangel an Komplementfaktor, nennt sich Mannose-bindendes Lektin. Das ist ein Komplementfaktor, der uns gerade dann hilft, wenn wir es mit einem neuen Erreger zu tun haben. Diesen quasi zu binden, schneller zu neutralisieren. Und wenn man diesen Mangel hat, dann hat man ein Risiko, dass man mit Virusinfektionen nicht ganz so schnell fertig wird. Diesen Mangel haben wir immerhin bei 25 Prozent derer gefunden, die ein Post-Covid-Syndrom entwickelt haben.

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Passend dazu gab es auch eine Studie aus Zürich, die auch gezeigt hat: Wenn man niedrigere Immunglobuline hat, die haben das für das IgM beschrieben und auch das IgG3, das sind unterschiedliche Formen von solchen Immunglobulinen oder Antikörpern, dann hat man auch ein höheres Risiko, ein Post-Covid-Syndrom zu entwickeln. Und was dann natürlich am offensichtlichsten ist, es sind deutlich mehr Frauen als Männer. Also es sind etwa doppelt so häufig Frauen.

Und auch das kann auf das Immunsystem hinweisen, denn wir wissen, dass Frauen häufig ein aktiveres Immunsystem haben und dass dieses aktivere Immunsystem aber eben auch das Risiko mit sich bringt, dass man infolge einer Infektion vielleicht nicht so schnell wieder in ein normales, ausbalanciertes Immunsystem zurückfindet. Und dieses aktivere Immunsystem kann also dann auch ein Risiko mit sich bringen, dass man länger an Entzündungen leidet oder auch Autoimmunreaktionen entwickelt.

Einfluss der Virusvarianten und Reinfektionen

Schulmann: Führen denn unterschiedliche Virusvarianten eher zu Long Covid als andere? Man könnte ja denken, Omikron ist jetzt bei vielen Menschen milder, da ist dann vielleicht auch das Risiko für Long Covid geringer. Frau Franke, ist dazu schon was bekannt?

Franke: Da gibt es aber bislang keine wirklich validen Daten zu, dass man das jetzt von den verschiedenen Varianten unterscheiden könnte. Tatsächlich sehen wir in der Sprechstunde und auch im Netzwerk Patienten und Patientinnen aus allen Pandemiewellen mit unterschiedlichen Varianten in der Akutinfektion erkrankt und sehen jetzt auch keine Häufung von speziellen Symptomen in Abhängigkeit von der Variante der Akutinfektion.

Ich glaube, man kann für Omikron sagen, dass doch relativ viele Personen, die jetzt akut erkrankt waren, ja auch geimpft waren zum Zeitpunkt der Infektion. Und man wird jetzt sehen, wir haben jetzt Anfragen auch von den Patienten, aber wir haben auch noch viele Patienten, die noch nicht geimpft waren und auch erkrankt sind, und man wird dann sehen, ob die Patienten andere Symptome bieten oder ob die Patienten überhaupt dann tatsächlich auch im Sinne eines Post-Covid-19-Syndroms erkrankten.

Scheibenbogen: Ich kann dazu vielleicht noch ergänzen, wir haben in Deutschland auch eine sehr aktive Patientenorganisation, Long Covid Deutschland, und die sammeln ja auch Daten. Und von denen habe ich auch die Rückmeldung, dass sich doch jetzt auch nach Covid weiterhin viele melden mit anhaltenden Symptomen, sodass man auch davon ausgehen muss, dass auch Omikron genauso Long Covid auslösen kann. Und dass auch bei Geimpften, zwar nicht mehr so häufig, wie die Studien zeigen, auf die wir gleich noch zu sprechen kommen, aber dass auch nach Impfung doch auch Long-Covid- oder Post-Covid-Syndrome auftreten können.

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Eine Frau sitzt erschöpft auf einem Sofa © Colourbox Foto: Aleksandr

Statistisch genesen, chronisch krank - Initiative Long Covid Deutschland

Informationsseite der bundesweiten Initiative für die Belange von Long-Covid-Betroffenen. extern

Schulmann: Genau, über die Impfung im Detail würde ich gerne später auch noch mal sprechen. Nimmt denn das Risiko für Long Covid bei einer Reinfektion zu? Jetzt haben wir ja unter anderem auch hier im Podcast schon von Sandra Ciesek und Christian Drosten gehört, dass wir um mehrere Infektionen wahrscheinlich nicht herumkommen in den nächsten Monaten und Jahren.

Reinfektionen

Und es gibt ja jetzt auch schon immer mehr Menschen, die sich schon das zweite oder auch sogar das dritte Mal angesteckt haben. Steigt für sie dann das Risiko oder nimmt es vielleicht sogar ab?

Franke: Vielleicht fange ich an, das mal versuchsweise zu beantworten. Tatsächlich, auch da fehlen uns Daten. Wir sehen, dass uns für ganz viele Fragen einfach noch die wissenschaftliche Grundlage fehlt, diese ausreichend zu beantworten. Aber was man sicherlich sagen kann, ist, dass es Patienten gibt, die nach der ersten Infektion ein Post-Covid-19-Syndrom entwickelt haben und es sich dann nach einer erneuten Infektion auch noch mal von der Symptomatik her verschlechtert hat.

Auf der anderen Seite muss man auch sagen, dass gerade dieser fluktuierende Verlauf des Post-Covid-19-Syndroms mit Symptomen, die mal stärker und mal weniger stark ausgeprägt sind, auch mit zur Definition der WHO gehört und somit nicht immer ganz auf die vielleicht erneute Reinfektion zurückzuführen sein kann. Das gleiche gilt ja auch für Patienten, die ein Post-Covid-19-Syndrom haben und sich dann geimpft haben.

Es gibt Patienten, die berichten vielleicht sogar über eine Verbesserung der Symptome. Allerdings, ich persönlich habe solche Patienten nicht. Ich frage danach immer alle meine Patienten. Aber meine Patienten haben mir das nicht rückgemeldet, dass es nach der Impfung zu einer Besserung der Symptomatik gekommen wäre. Wenngleich aber auch nicht zu einer Verschlechterung.

Schulmann: An dieser Stelle vielleicht einmal noch kurz der Hinweis: Kinder und Jugendliche scheinen ja deutlich seltener betroffen zu sein als Erwachsene, sind aber wohl vor dem Risiko nicht ganz gefeit. Über Kinder werden wir aber heute in dieser Folge nicht sprechen, weil Sie beide sich in Ihrem Alltag, in Ihrem Arbeitsalltag, ausschließlich mit Erwachsenen beschäftigen. Dann würde ich ganz gerne auch zu den Symptomen übergehen. Sie haben ja gerade schon, Frau Franke, unterschieden zwischen Long Covid und Post Covid.

Symptome bei Long und Post Covid

Muss man da auch unterscheiden zwischen den Symptomen, die Long Covid betreffen, und die Post Covid betreffen? Oder geht es da wirklich nur um den zeitlichen Rahmen? Sie haben es gerade schon einmal ausformuliert, aber ich würde Sie bitten, das noch einmal zu machen.

Franke: Ja, natürlich. Die Symptome sind bei Long Covid und bei Post Covid vergleichbar und verändern sich eigentlich nicht, je nachdem, ob das jetzt Long Covid oder Post Covid ist. Das ist tatsächlich eine zeitliche Definition. Die WHO hat im Oktober letzten Jahres eine ganze Reihe von Symptomen, die gehäuft auftreten bei Post Covid-19 mit in die Definition aufgenommen, als klinische Falldefinition untermauert.

Und die Kardinalsymptome sind die Fatigue, die belastungsabhängige Luftnot und die Konzentrationsstörung und dann aber auch eine ganze Reihe von anderen Symptomen, die kardiologisch sein können, also Herzrasen, Herzstolpern, dann auch Hautveränderungen, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, Veränderungen des Haares, was tatsächlich mit Haarausfall einhergehen kann. Eine ganze Reihe von Symptomen, die nach der Definition, wie gesagt, für Post Covid drei Monate nach der akuten Infektion neu oder residuell bestehen für mindestens zwei Monate, und die auch diesen fluktuierenden Charakter haben, also mal stärker ausgeprägt sind und mal weniger stark ausgeprägt sind. Das wäre Teil der Definition.

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Jemand macht eine Strichliste neben der Abbildung von Viren. © picture alliance, panthermedia Foto: Image Broker

Podcast mit Drosten und Ciesek: Links zu Corona-Studien

Im Podcast Coronavirus-Update mit Christian Drosten und Sandra Ciesek werden viele Studien erwähnt. Hier finden Sie eine Linksammlung. mehr

Schulmann: Wie kann man denn Fatigue beschreiben? Die Unterscheidung von Müdigkeit ist da nicht immer einfach.

Scheibenbogen: Fatigue ist etwas, was Ihnen erst mal der Patient schildert und der sagt auch nicht: Ich leide an Fatigue, sondern der nutzt meistens schon den Begriff, dass er entweder müde ist oder erschöpft ist oder nicht mehr so leistungsfähig. Fatigue ist ein relativ kompliziertes Symptom, weil es eben erst mal nicht so leicht messbar ist auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite auch so häufig vorkommt bei vielen unterschiedlichen Erkrankungen.

Und sich deswegen viele auch schwertun, Fatigue richtig einzuordnen, sowohl von der Frage, wo es jetzt herkommt, als auch, wie schwer die Fatigue ist. Und da muss man, glaube ich, auch noch mal darauf hinweisen: Diese Fatigue ist wahrscheinlich das häufigste Symptom überhaupt von Long Covid und Post Covid, dass die WHO da auch eine ganz sinnvolle Ergänzung gemacht hat. Sie hat nämlich gesagt: Wir sprechen vom Post-Covid-Syndrom, wenn die Menschen auch relevant im Alltag eingeschränkt sind. Und das bildet auch so das Spektrum der Fatigue ab.

Man kann davon so krank sein, dass man gar nicht mehr in der Lage ist, berufstätig zu sein. Und da ist es dann wirklich ganz wichtig, dass man sich genauer anschaut: Was ist das für eine Fatigue? Und ganz wichtig ist immer, erst mal zu schauen: Gibt es da einen Zusammenhang mit anderen Erkrankungen oder hat es was mit Schlafmangel zu tun? Das ist bei den meisten Menschen, die am Post-Covid-Syndrom erkrankt sind, aber nicht der Fall.

Was die meisten schildern, ist, dass die Fatigue oft einhergeht auch mit kognitiven Störungen, also dass das in schwerster Form als Gehirnnebel beschrieben wird, dass man sich nicht mehr konzentrieren kann, nicht mehr gut erinnern kann, auch Wortfindungsstörungen hat. Und was auch oft damit einhergeht, ist die sogenannte Belastungsintoleranz. Das ist ein Symptom, das auch relativ uncharakteristisch erst mal ist und was man auch versuchen muss, dann so am Alltag festzumachen. Und viele schildern, dass schon ganz einfache Alltagsdinge wie jetzt einkaufen zu gehen oder die Kinder zu versorgen nicht mehr gut möglich ist. Ganz viele können auch keinen Sport mehr machen.

Post-Exertional Malaise

Und die Belastungsintoleranz geht oft auch einher mit der sogenannten Post-Exertional Malaise. Das ist auch so ein ganz sperriger Begriff. Das heißt übersetzt, dass, wenn man versucht, Alltagsdinge zu machen, dass es dann zu einer Verschlimmerung der Symptome kommt. Das heißt, die Fatigue kann schlimmer werden, die Schmerzen, die auch oft damit einhergehen, diese kognitiven Störungen. Es kann zu einem richtigen Crash kommen, und der kann tagelang dauern. Der kann so schwer sein, dass man also tagelang im dunklen Zimmer liegen muss, weil man oft auch sehr reizempfindlich ist.

Und diese Trias von schwerer Fatigue, Belastungsintoleranz mit Post-Exertional Malaise, das ist dann eine Symptom-Konstellation, die ist schon relativ charakteristisch für das Chronische Fatigue-Syndrom oder ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom/d. Red.). Und das ist das, was wir in der Tat bei vielen der Patienten sehen, die sich bei uns vorstellen. Wir sehen, dass etwa die Hälfte an dieser Konstellation von Fatigue-Belastungsintoleranz leidet, auch das Vollbild des post-infektiösem Fatigue-Syndroms hat. Da kommen dann noch weitere Symptome hinzu, da kommen dann auch die Schmerzen hinzu. Da kommen ganz häufig auch noch Kreislaufbeschwerden hinzu.

Das ist, glaube ich, auch für das Verständnis ganz wichtig. Wenn ein Patient sagt, er ist nicht mehr so leistungsfähig, er leidet an Erschöpfung, dass man das zunächst immer abgrenzt: Kann er noch aktiv sein? Geht es ihm vielleicht sogar besser, wenn er jetzt mehr macht? Es gibt ja auch viele Formen von Fatigue, da geht es einem besser, wenn man körperlich aktiv ist, wenn man Sport treibt. Oder es ist eine Form, wo das gar nicht mehr geht und wo es sogar zu einer Verschlechterung kommt.

Schulmann: Wie viele Menschen betrifft diese Fatigue?

Scheibenbogen: Wenn man in den großen Studien schaut, dann sind es etwa die Hälfte bis zwei Drittel. Das ist das häufigste Symptom von Post Covid. Aber da sind jetzt auch nicht alle so schwer betroffen. Die, die wir bei uns sehen, das sind Patienten, die haben wir von vornherein natürlich schon deswegen gesehen, weil sie an Fatigue leiden.

Und da sehen wir, dass etwa die Hälfte derer das Vollbild des Chronischen Fatigue-Syndroms hat und die andere Hälfte meistens auch viele Symptome, also auch Belastungsintoleranz, auch Schmerzen, auch kognitive Störungen, aber nicht diese schwere Post-Exertional Malaise und die Diagnosekriterien für CFS nicht erfüllen.

Franke: Wenn ich da noch kurz ergänzen darf: Genau, das würden wir auch so sehen für unsere Sprechstunde. Natürlich hat jede Sprechstunde ihren eigenen Bias. Natürlich, wenn wir solche Patienten haben, die so schwer erkrankt sind an Fatigue, an Post-Exertional Malaise leiden, Belastungsintoleranz, dann steht ja die neurologische Symptomatik, also die Konzentrationsstörung jetzt vielleicht in dem Fall, oder die Kopfschmerzen, die bestehen können, parallel. Aber die stehen ja nicht im Vordergrund.

Das heißt tatsächlich, in unserer Sprechstunde sehen wir viele Patienten, die Fatigue angeben, aber nicht so schwer erkrankt sind, wie es jetzt gerade geschildert worden ist, mit Crashs und ausgeprägter Belastungsintoleranz. Wenngleich aber doch durch Konzentrationsstörungen als führendes Symptom, deswegen stellen sie sich natürlich auch bei uns in der Neurologie vor, so eingeschränkt sind, dass sie zum Beispiel nicht so ihrem Berufsleben nachgehen können, wie sie das vorher von sich gewohnt waren.

Schulmann: Daraus ergibt sich jetzt schon das Bild, das ist ein großer Begriff - Long Covid, Post Covid -, der das Krankheitsbild von Menschen einschließt, die einerseits gar nichts mehr machen können, so wie sie es vorher gemacht haben und die viele Stunden am Tag mehr schlafen müssen als vorher. Aber auch das Krankheitsbild von Patientinnen umfasst, die vielleicht "nur nicht mehr riechen können". Müsste das dann nicht besser ausdifferenziert werden? Das ist ja auch gerade dann wichtig für die Menschen, die schwere Fälle von Long Covid oder Post Covid haben.

Scheibenbogen: Man versucht auch schon, es ein bisschen in Schubladen einzuordnen. Das ist auch ganz wichtig für die Erforschung der Mechanismen, dass man auch erst mal anhand der Symptome versucht, aus diesem großen Überbegriff Post-Covid-Syndrom Subtypen zu definieren. Und was wir schon relativ gut definieren können, ist das Chronische Fatigue-Syndrom, das möglicherweise die schwerste Form des Post-Covid-Syndroms ist. Auch relativ gut abzugrenzen sind solche Erkrankte, bei denen man doch Auffälligkeiten findet in der Organdiagnostik.

Es sind durchaus auch jüngere Patienten dabei, die zum Beispiel dann eine chronische Lungenerkrankung entwickeln oder auch mal eine Myokarditis, eine Herzmuskelentzündung entwickelt haben. Oder, was sicher Frau Franke gleich noch mal ergänzen kann, es gibt auch einige, die neurologische Erkrankungen haben oder auch klassische Autoimmunerkrankungen, die man kennt. Aber die allermeisten, wenn man sie genau untersucht auf Lungen-, auf Herzfunktion, auf Organfunktion, haben da erst einmal keine Auffälligkeiten, sodass wir die anhand der Symptomkonstellation versuchen in Untergruppen einzuordnen.

Und da gibt es eine weitere Untergruppe, die man inzwischen auch ganz gut kennt. Das sind Menschen, die eine Störung der Kreislaufregulation haben, das sogenannte posturale Tachykardiesyndrom. Die, wenn sie sich hinstellen, Probleme haben, ihren Herzschlag und ihren Blutdruck aufrechtzuhalten. Da wird das Herz viel zu schnell oder der Blutdruck fällt ab und das ist eine Erkrankung, die kennt man auch schon lange auch nach anderen Infektionen, also posturales Tachykardiesyndrom oder auch die posturale Hypertonie, dass der Blutdruck abfällt nach dem Stehen.

Und der große Vorteil ist, wenn man solche Unterformen von Erkrankungen definiert, kann man in solchen Patienten natürlich sehr viel besser dann auch die Ursachen, die Krankheitsmechanismen untersuchen und kann auch sehr viel besser Konzepte entwickeln, wie man diese Form der Erkrankung auch gezielt behandeln kann.

Franke: Ja, das würde ich absolut so mitunterschreiben. Das ist auch wichtig, weil wir uns ja mit einer großen Anzahl von Patienten befassen, die aber ja eigentlich als primären Ansprechpartner den Hausarzt haben. Und es ja tatsächlich vom Hausarzt dann weitergeht zum vielleicht Facharzt, der die Patienten dann sieht. Und dann stellt sich direkt die Frage: Welche Patienten sollen tatsächlich in einer Spezialsprechstunde gesehen werden?

Und diese Eingruppierung nach der Schwere, nach der Symptomatik ist ganz wichtig. Und ich glaube, da liegt es tatsächlich auch an uns, noch mal die Kriterien etwas zu schärfen. Damit wir wirklich auch dann die Patienten gut führen und von den Hausärzten und von den Fachärzten dann auch die Patienten in die Sprechstunde geschickt werden, die das auch benötigen.

Schulmann: Es gibt aber nicht bestimmte Symptome, die immer auftauchen bei Long Covid oder Post Covid, also bei jeder Patientin, bei jedem Patienten. Oder?

Scheibenbogen: Also die Fatigue ist schon das häufigste Symptom und auch die tritt nur bei etwa zwei Drittel auf. Es gibt auch Patienten, die haben zum Beispiel nur den gut bekannten Geschmacksverlust, der über Monate noch bestehen bleiben kann. Es gibt auch Patienten, die haben nur mit Atembeschwerden zu tun.

Und es gibt dann Patienten, die haben ganz komische Kombinationen. Ich habe vor Kurzem eine Patientin gesehen, deren Hauptproblem war, dass sie immer wieder Fieberschübe hatte, das ging einher mit Haarausfall. Also es gibt da ganz viele unterschiedliche Symptome und Symptomkonstellationen, die auftreten können.

Schulmann: Und die Symptome, die auftreten im Zusammenhang mit Long Covid und Post Covid, das sind ja aber nicht zwingend diejenigen, die auch schon während der akuten Covid-19-Infektion aufgetreten sind, oder?

Scheibenbogen: Nicht zwingend. Aber es ist schon so, dass eben gerade die Fatigue auch in der akuten Phase der Erkrankung oft sehr belastend ist. Und auch die kognitiven Störungen, die haben ja ganz viele. Und dann auch die Beschwerden, die durch die Infektion der Atemwege kommen, also Husten, Luftnot, das ist etwas, was wir in der akuten Phase oft haben, aber auch bei den Post-Covid-Patienten noch bestehen bleibt.

Franke: Und dann gibt es einige Symptome, die sicherlich auch als Prädiktoren zu sehen sind. Das heißt, Symptome, die in der Akutinfektion auftreten, zum Beispiel Kopfschmerzen, und dann tatsächlich auch dafür prädispositionieren, dass man einen chronischen Spannungskopfschmerz als Post-Covid-Residuum entwickelt. Also das ist schon auch von Daten, von großen Kohorten-Studien ganz gut unterlegt.

Wir sehen bei einer Vielzahl von Patienten, gerade während der Akutinfektion und dann noch im weiteren Verlauf, also in den ersten drei bis sechs Wochen nach der Akutinfektion, wirklich eine verlängerte Rekonvaleszenz. Also dass die Patienten sich immer noch nicht wirklich fit fühlen, auch noch Konzentrationsstörungen haben, Kopfschmerzen haben. Und dass sich das aber tatsächlich bei der Vielzahl der Patienten, auch was die Erschöpfung angeht, in den ersten zehn Wochen eigentlich dann zurückbildet.

Und dann, was darüber hinausgeht, das muss man sicherlich ganz genau angucken. Aber deswegen ist auch erst die Diagnostik, die weiterführende Diagnostik mit Bildgebung oder Blut- und Nervenwasseruntersuchung dann tatsächlich erst sinnvoll, wenn es zwölf Wochen nach der Akutinfektion überschreitet.

Diagnostik

Schulmann: Dass es so viele verschiedene Symptome gibt, das macht ja wahrscheinlich die Diagnose auch nicht einfacher. Und bei manchen Patientinnen, kann ich mir vorstellen, gerade die sich in der ersten Welle infiziert hatten, fehlt dann vielleicht auch der Nachweis, dass da eine Covid-19-Erkrankung vorlag, weil ja da lange nicht so viel getestet wurde wie in den vergangenen Monaten. Wie wird denn zurzeit die Diagnose Long Covid beziehungsweise Post Covid gestellt?

Scheibenbogen: Es ist schon so, dass wir natürlich auch fragen, wann die Infektion stattgefunden hat und ob es zu dem Zeitpunkt einen PCR-Test gab. Und bei denen, die keinen PCR-Test haben, versuchen wir, die Infektion über einen Antikörpertest dann später nachzuweisen. Man kann also inzwischen unterscheiden, ob Antikörper durch eine Impfung hervorgerufen wurden oder durch eine Infektion. Das ist der Nachweis gegen das nukleäre Protein des Virus. Und dann wird die Diagnose letztendlich gestellt aufgrund der Symptomkonstellation.

Und dann ist natürlich auch immer noch mal wichtig, zu schauen: Gibt es nicht irgendwelche anderen Dinge in der Vorgeschichte, die vielleicht auch schon einen Hinweis geben. Wie Frau Franke gerade sagte, die Patientin, die Multiple Sklerose hat, da würde man zunächst natürlich immer mal schauen, inwieweit die Symptome nicht doch durch die Grunderkrankung kommen, vielleicht dann durch Covid verschlechtert wurden. Aber das hat natürlich auch die Chance, dass man durch die Behandlung der Grunderkrankung auch die Symptome wieder in den Griff bekommt.

Keine klaren Diagnosekriterien

Und es gibt bis heute keine klaren Diagnosekriterien, was gehört jetzt alles zum Post-Covid-Syndrom und wo muss man es vielleicht doch im Zusammenhang mit den Umständen sehen? Wir wissen ja natürlich, dass diese zwei Jahre Pandemie auch für viele sehr belastend waren und dass gerade solche Symptome wie Fatigue, wie Konzentrationsstörungen, wie Schlafstörungen auch noch ganz andere Ursachen haben können. Und da kann man eigentlich dann im Einzelfall das oftmals auch nicht ganz sicher auf die Virusinfektion zurückführen.

Da muss man sich dann die Daten aus den großen Studien anschauen und dann sieht man einfach, dass ein Teil der Betroffenen auch solche Symptome entwickeln kann durch die Pandemiesituation. Und das heißt, wir haben auf der einen Seite natürlich die Menschen, die schwer krank sind, wo das auch ganz klar ist. Wir haben aber auf der anderen Seite auch diejenigen, die leichter betroffen sind und wo das erst mal nur aufgrund der klinischen Konstellation wahrscheinlich ist.

Biomarker

Und da ist dann ganz entscheidend, dass wir wirklich auch Biomarker entwickeln, die uns am Ende anzeigen: Was ist da los? Was ist die Ursache der Symptome? Und die uns dann auch perspektivisch erlauben, die Diagnose zu sichern. Und wenn wir dann mal die Ursachen kennen für die Symptome, dass es natürlich am Ende auch die Möglichkeit gibt, es zu behandeln.

Schulmann: Also ein bestimmter Marker wurde da noch nicht identifiziert. Das heißt, man kann nicht so wie bei anderen Krankheiten vielleicht über die einfache Blutabnahme darauf testen?

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Virensymbole fliegen um die Silhouette einer Person. (Bildmontage) © picture alliance Foto: lamianuovasupermail, stevanovicigor

Coronavirus-Update: Die häufigsten Hörerfragen

In unserem Podcast mit Christian Drosten und Sandra Ciesek beantworten wir Ihre Fragen zum Coronavirus. In dieser Übersicht sehen Sie, in welchen Folgen Sie die Antworten zu den häufigsten Hörerfragen finden. mehr

Scheibenbogen: Na ja, wir haben schon einige Marker inzwischen. Und ähnlich wie das klinische Bild sehr bunt ist, haben wir auch hier inzwischen schon verschiedene Marker, sodass wir auch davon ausgehen müssen, dass das Post-Covid-Syndrom keine einheitliche Erkrankung ist, sondern dass es unterschiedliche Dinge gibt, die dazu führen.

Und wir haben bislang aber noch nicht den einen Marker, den Sie jetzt im Labor messen können und der dann ganz klar sagt: Das ist Post-Covid-Syndrom. Aber das ist etwas, was momentan intensiv erforscht wird und wo wir, denke ich, auch dann irgendwann dazu kommen, dass wir auch über bestimmte Biomarker die Diagnose sichern können.

Pathophysiologische Mechanismen

Franke: Genau. Es gibt ja viele verschiedene Ansatzpunkte, was die pathophysiologischen Mechanismen angeht. Zum einen ist es das Virus vielleicht selbst oder eine anhaltende, unspezifische Entzündung, die dazu führt, dass die verschiedenen Symptome auftreten. Ist es etwas, was gefäßbedingt ist, vielleicht auch mit einer verminderten Perfusion, also Versorgung mit Blut, einhergehen kann? Oder es ist etwas, das doch autoimmunologisch, also vielleicht sogar Virus-getriggert ist, zu einer Antikörperbildung kommt, die verschiedene Symptome verursacht?

Das kennen wir auch von anderen Erkrankungen, zum Beispiel der Herpes-simplex-Enzephalitis, also von anderen viralen Erkrankungen. Ich glaube, da gibt es tatsächlich wahrscheinlich nicht den einen Schlüssel für die Pathophysiologie. Aber das ist ja, wie Frau Scheibenbogen sagte, Gegenstand von aktueller Forschung. Und es wäre auf jeden Fall sehr hilfreich, wenn man solche Marker tatsächlich für die Routine hätte und vielleicht anhand dieser Marker dann auch für die Patienten eine bessere Einschätzung bezüglich Prognose und Dauer der Symptomatik, und natürlich auch daraus therapeutische Implikationen ableiten könnte.

Vielleicht muss man noch mal eine Sache ergänzen. Diese Symptome, da haben wir jetzt ja drüber gesprochen, sind sehr unspezifisch, sehr bunt, sehr breit, sind von vielen verschiedenen Disziplinen in der Medizin eigentlich primär behandelt, sodass es auf der einen Seite hier ganz wichtig ist, dass man sich sehr gut vernetzt und interdisziplinär arbeitet. Das ist, glaube ich, auch schon sehr gut gelungen an vielen Stellen.

Klinische Zuordnung

Und dass man dann tatsächlich diese klinische Zuordnung wirklich gut erhebt. Denn es gibt auch Studien, auch unter anderem, wie wir eben schon mal kurz zitiert haben, aus England, vom britischen statistischen Amt, die schon auch gezeigt haben, dass auch Patienten, die nicht an Covid erkrankt waren, über ähnliche Symptome berichten. Es gibt auch eine französische Studie dazu, die gezeigt hat, dass Patienten, die annahmen, an Covid-19 erkrankt gewesen zu sein, über ähnliche Symptome berichtet haben.

Und dass es einfach extrem schwierig ist, im Zusammenhang mit dem PCR-Nachweis, der ja irgendwie das Kriterium erst mal erfüllt oder dem Antikörpernachweis mit S- und N-Antigen, ob jemand geimpft ist oder ob jemand infiziert war mit SARS-CoV-2- Und es gibt ja auch die Patienten, die auch einen positiven PCR-Nachweis haben, aber gar keine Antikörper entwickelt haben, trotz der Infektion. Das macht es noch mal sehr viel differenzierter und im Zweifelsfall auch nicht einfacher.

Scheibenbogen: Ich würde da vielleicht gerne einfach noch vielleicht so zwei, drei aktuelle Beispiele ergänzen, in welche Richtung es geht, was Marker angeht für die Erkrankung. Und was man auch schon in mehreren Studien gezeigt hat. Also das eine ist sicher das Immunsystem, das ist ja auch naheliegend. So eine Infektion, die das Immunsystem so stark hochfährt und oftmals auch über Wochen anhält, auch bei den Jüngeren, dass das Immunsystem da über eine gewisse Zeit noch aktiv bleiben kann. Und da wissen wir auch gut, dass, wenn das Immunsystem arbeitet, dann geht das fast immer einher mit Fatigue.

Und da gibt es große Studien, die das auch untersucht haben und das ist auch immer ganz wichtig, dass auch die richtigen Kontrollgruppen mit untersucht waren. Und die Kontrollgruppen, das müssen solche Menschen sein, die auch Covid hatten zum selben Zeitpunkt, die dann aber wieder ganz genesen sind. Und da kann man eben sehen, dass solche Entzündungsfaktoren oftmals noch mehr als ein halbes Jahr nach der Infektion erhöht bleiben bei denen, die das Post-Covid-Syndrom haben.

Das ist zum Beispiel gezeigt worden für das Interferon-alpha, was ja so ein Entzündungsfaktor ist, der auch in Reaktion auf eine Virusinfektion gemacht wird. Es wurde aber auch gezeigt, dass Immunzellen weiterhin aktiv sind, also sogenannte T-Zellen. Das sind diejenigen, die ja auch das Virus abwehren und auch bestimmte Formen von Zellen, die solche Entzündungsfaktoren machen. Bei Monozyten ist gezeigt worden, dass die anhaltend aktiv sind.

Das haben wir auch in unserer Studie gesehen, dass etwa die Hälfte derer, die das Post-Covid-Syndrom hat, anhaltend solche Entzündungsfaktoren im Blut hat. Zu Viren gibt es, wenn man sich das über ein halbes Jahr hinaus anschaut, eigentlich keine Daten, die das wirklich noch klar belegen, dass also immer noch Virus im Körper persistiert, der weiterhin in der Lage ist, sich zu teilen, Körperzellen zu infizieren. Man hat allerdings Virusreste gefunden, eher in Form von so kleinen Eiweißstückchen und das auch wieder in einer Form der Monozyten. Und das ist etwas, was natürlich auch erklären könnte, dass das Immunsystem bei einem Teil der Patienten noch so aktiv ist.

Gestörte Gefäßfunktion

Und dann ein ganz wichtiger Befund, glaube ich, ist die gestörte Gefäßfunktion, die man auch bei den Jüngeren sieht. Und da muss man wissen, dass SARS-CoV-2 ein Virus ist, das so viele unterschiedliche Körperzellen infizieren kann und eben auch Gefäße infizieren kann. Und dass Gefäße auch relativ schlecht heilen und man langanhaltend sieht, dass die Funktion gerade der kleinen Gefäße sich noch nicht wieder richtig erholt hat. Das kann man messen mit Ultraschalltechniken.

Und das haben wir auch gesehen, bei vielen jüngeren Patienten waren die kleinen Gefäße noch nicht wieder richtig gut durchblutet und infolgedessen kommt es möglicherweise auch zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff der Organe, also der Muskulatur zum Beispiel. Und das kann natürlich auch die Fatigue erklären. Und das kann natürlich auch erklären, dass immer noch ein bisschen Entzündung im Körper ist, was möglicherweise auch in den Gefäßen sitzt. Auch dafür gibt es erste Daten.

Und gerade diese Minderversorgung der Muskulatur mit Sauerstoff kann auch erklären, dass diese Fatigue nicht nur ein Gefühl ist, sondern dass man die wirklich auch gut messen kann, dass also bei vielen auch die Handkraft vermindert ist. Und das gibt natürlich auch wieder erste Ansätze, wie man Post-Covid-Syndrom vielleicht am Ende behandeln kann, indem man gezielt Medikamente gibt, die das Immunsystem modulieren, oder indem man gezielt Medikamente gibt, die die Durchblutung verbessern.

Schulmann: Jetzt sind wir schon fast mittendrin in den Ursachen für Long Covid und Post Covid. Bei der Gefäßhypothese waren Sie jetzt schon. Ich würde ganz gern noch einmal auf die neurologischen Symptome zu sprechen kommen. Welche Methoden haben Sie da zur Verfügung, um da die Diagnose zu stellen? Und was sind da vielleicht auch die Hintergründe und Mechanismen zu?

Franke: Wenn Patienten sich bei uns in der Sprechstunde vorstellen, dann steht dem Ganzen erst mal voran, dass wir uns viel Zeit nehmen für eine umfassende Anamnese und auch eine körperliche Untersuchung. Und dann gemeinsam mit dem Patienten entscheiden, auch unter Berücksichtigung der schon erfolgten Diagnostik, was ist notwendig an Diagnostik zu machen? Wir orientieren uns an den Leitlinien, die uns zur Verfügung stehen. Wir haben ja von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie Leitlinien, an die wir uns halten und nach denen wir dann auch symptomorientiert die Diagnostik und Behandlung einleiten.

Ich würde das jetzt mal an einem Beispiel festmachen wollen. Also eine Patientin, die 40 Jahre alt ist, anhaltend Konzentrations- und Gedächtnisstörungen hat: Wir würden dann in der Sprechstunde eine orientierende Gedächtnistestung machen und schauen, ob wir das auch objektivieren können. Wir fragen immer auch nach anderen Erkrankungen, von denen wir wissen, dass es auch mit Gedächtnisstörung einhergehen kann. Wir fragen auch immer nach der Stimmungslage, also ob eine Depression besteht, weil auch Depressionen mit kognitiven Einschränkungen einhergehen können.

Wir würden dann mit der Patientin besprechen, ob es sinnvoll ist, auch eine Bildgebung zu machen, als zum Beispiel ein MRT vom Kopf, um strukturelle Veränderungen auszuschließen. Denn ich verstehe die Sprechstunde tatsächlich auch so, dass wir auch andere Erkrankungen weiterhin beachten sollten, damit wir diese dann ausschließen können und dann nicht nur einen zeitlichen Zusammenhang zur Covid-19-Erkrankung schließen und dann eine Diagnose stellen, sondern tatsächlich auch vielleicht andere Ursachen ausschließen können.

Nervenwasseruntersuchung

Wir haben bei einigen Patienten auch eine Nervenwasseruntersuchung durchgeführt. Das ist für uns in der Neurologie ein ganz wichtiges Untersuchungswerkzeug, weil das Nervenwasser natürlich am Gehirn und an den Nerven dran ist und uns ganz viele wichtige Informationen liefert. Genauso wie das Blut natürlich auch, aber das Nervenwasser in dem Fall spezifischer, weil wir im Nervenwasser Neurodegenerationsmarker nachweisen können, wenn diese vorhanden sind.

Aber, und das ist tatsächlich auch Gegenstand unserer wissenschaftlichen Untersuchung bei Patienten, die über anhaltende Konzentrations- und Gedächtnisstörungen berichten und auffällige Untersuchungsergebnisse in dieser Gedächtnistestung haben, orientiert dann auch an der vertieften neuropsychologischen Testung, wir bei diesen Patienten tatsächlich auch Autoantikörper im Nervenwasser nachweisen können, immerhin bei etwa 30 Prozent dieser Patienten.

Und wenn wir einen Hinweis auf eine Immunbeteiligung haben, also zum Beispiel einen Autoantikörpernachweis oder eine erhöhte Zellzahl, die wir jetzt nicht anders zuordnen können oder eine Gesamteiweißerhöhung im Nervenwasser festzustellen ist, dann würden wir tatsächlich auch eine als individuellen Heilversuch durchgeführte immunmodulatorische Behandlung empfehlen. Das heißt, daraus würde sich dann tatsächlich auch eine therapeutische Behandlung ableiten lassen.

Wenn wir jetzt Patienten haben, die über chronische Spannungskopfschmerzen klagen und die auch die Kriterien eines chronischen Spannungskopfschmerzes erfüllen, dann würden wir analog zu den Leitlinien zum Kopfschmerz auch eine prophylaktische Behandlung bei dem Patienten empfehlen oder auch weitere Diagnostik, wenn das dann notwendig ist. Und das gleiche gilt für Patienten, die mit schmerzhaften Missempfindungen der Fußsohlen und der Hände kommen. Das heißt, auch hier würden wir dann elektrophysiologische Untersuchungen durchführen und mit den Patienten gemeinsam schauen, dass wir andere Erkrankungen auch mittels Blutuntersuchung ausschließen.

Bildgebende Diagnostik

Schulmann: Solche Möglichkeiten, bildgebende Diagnostik, MRT, spielt das eine Rolle?

Franke: Tatsächlich ist das MRT für uns ganz wichtig. Bildgebende Diagnostik des Kopfes, also ein cMRT bei Patienten mit anhaltenden, über viele Wochen andauernden Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen. Es ist wichtig zum Ausschluss von strukturellen Veränderungen des Gehirns, die wir bei den Patienten, die wir bislang untersucht haben, so gut wie nie finden. Also wir finden eigentlich bei Patienten mit mildem Akutverlauf der Covid-19-Erkrankung keine Veränderung des Gehirngewebes in der strukturellen MRT-Bildgebung.

Bei Patienten, die intensivpflichtig waren während der Akutinfektion ist das schon mal anders. Da findet man zum Beispiel Mikroblutungen im Gehirngewebe, aber das ist sicherlich auch der intensivmedizinischen Behandlung zuzuschreiben, die das mit sich bringt, weil man zum Beispiel starke Blutverdünnung benötigt, während man eine ECMO hat oder andere intensivmedizinische Behandlung erhält.

Schulmann: Das war ja vor einigen Monaten mal die Schlagzeile: Das Virus kann ins Gehirn gelangen.

Franke: Tatsächlich ist das auch so. Das Virus ist auch in pathologischen Untersuchungen nachgewiesen worden in Gehirnen von Patienten, die akut erkrankt waren und schwere Verläufe hatten, verstorben sind auch an der Akuterkrankung. Da konnten Neuropathologen auch Virusbestandteile nachweisen. Ich glaube, man muss dabei immer berücksichtigen, was sind das für Patienten, die ja dann auch so einen schweren Verlauf hatten und verstorben sind?

Die haben ja intensivmedizinische Behandlung erhalten, somit ja auch verschiedene Therapien und Untersuchungen gehabt, sodass das Virus vielleicht auch an Orte gekommen ist, wo es sonst bei Patienten mit mildem Akutverlauf nicht unbedingt hinkommt. Aber die Eintrittspforte über die Nase und den Riechnerv ist auch bei Patienten mit mildem Verlauf nachgewiesen worden. Und man kann auch hier Hinweise für Mikroglia-Aktivierung, das heißt, letztendlich Entzündungsmarker nachweisen, vor allem im Riechnerv und auch im Hirnstamm.

Fatigue

Schulmann: Wie diagnostizieren Sie, Frau Scheibenbogen, Patientinnen in der Fatigue-Sprechstunde?

Scheibenbogen: Bei uns kommen die Patienten und haben meistens schwere Fatigue, sind stark im Alltag beeinträchtigt. Und wir versuchen, die Fatigue dann zum einen über Fragebögen zu erfassen, dass wir also auch schauen: Wie ausgeprägt ist die Fatigue? Was kann man im Alltag noch leisten? Aber wir versuchen auch, die Fatigue zu messen, zu objektivieren.

Fatigue: Messung der Handkraft

Und da haben wir eine relativ einfache Untersuchungstechnik, wir messen die Handkraft. Und da sehen wir, dass bei vielen Erkrankten auch die Handkraft, die muskuläre Kraft vermindert ist und dass das auch einhergeht mit der Schwere der gefühlten Fatigue. Es gibt dann viele Symptome, die mit der Fatigue einhergehen, die wir auch mithilfe von Fragebögen erfassen, also wie schwer ausgeprägt sind die kognitiven Störungen? Wie schwer ausgeprägt sind die Schmerzen?

Und dann, ganz wichtig, um diese Fatigue weiter abzuklären, ist, dass wir auch Labordiagnostik machen. Wir schauen uns auch bekannte Ursachen an, die die Fatigue beeinflussen können. Das sind zum Beispiel Mangelzustände, so was wie Eisenmangel, Vitamin-B-Mangel, Vitamin-D-Mangel, Schilddrüsenfunktionsstörungen, die auch relativ häufig vorkommen, also etwa zehn Prozent der Post-Covid-Syndrom-Patienten, die wir sehen, haben auch eine Schilddrüsenentzündung, eine sogenannte Hashimoto-Thyreoiditis. Das können wir häufiger diagnostizieren.

Die dann auch mit einer Unterfunktion der Schilddrüse einhergehen kann, die auch die Fatigue mit beeinflussen kann. Dann schauen wir uns Entzündungsmarker an, gibt es also noch Entzündungen im Blut? Auch da sehen wir bei einem Teil der Patienten, dass gerade so was wie Interleukin-8, was ein Entzündungsfaktor ist, der auch von Gefäßen gemacht wird, bei vielen noch erhöht ist. Dann schauen wir auch nach Autoantikörpern. Und es gibt auch etwa ein Viertel der Patienten, die erhöhte Autoantikörper hat, die man auch von anderen Autoimmunerkrankungen kennt, so was wie ANA-Antikörper oder Phospholipid-Antikörper oder Antikörper gegen die Schilddrüse.

Und wir schauen aber darüber hinaus auch nach Autoantikörpern, die man im Zusammenhang mit dem Chronischen Fatigue-Syndrom schon lange kennt. Das sind Autoantikörper, die sich zum Beispiel gegen Stressrezeptoren richten, die also über Adrenalin quasi die unbewussten Körperfunktionen steuern. So was wie Atmung, so was wie Herzschlag. Und solche Autoantikörper findet man bei einem Teil der Patienten verändert. Und wir sehen auch schon, dass die Höhe solcher Antikörper dann auch mit der Schwere der Symptome korreliert, was für uns auch ein Forschungsschwerpunkt ist, von dem wir uns erhoffen, dass wir hier auch Medikamente entwickeln können.

BC-007-Medikament

Und eins, was in diese Richtung geht und was ja auch schon durch die Presse gegangen ist, ist dieses BC-007-Medikament, was gerade solche Autoantikörper wohl auch neutralisieren kann. Und ein anderes Therapieverfahren, wo wir jetzt auch schon bald eine Studie beginnen können, ist mit der Immunadsorption, mit der man solche Autoantikörper aus dem Körper waschen kann.

Schulmann: Das heißt, beim Chronischen Fatigue-Syndrom handelt es sich im Grunde um ein Autoimmunproblem, also eine andauernde überschießende Immunantwort, die weiterhin bleibt, obwohl das Virus eigentlich längst verschwunden ist.

Scheibenbogen: Wir beschäftigen uns schon seit vielen Jahren mit dem Chronischen Fatigue-Syndrom, das nach EBV-Infektionen auch auftritt oder nach Grippe auftritt. Da haben wir inzwischen viele klare Hinweise, dass es sich um eine Autoimmunerkrankung handelt, die wahrscheinlich auch über Autoantikörper vermittelt wird. Da sind die Autoantikörper gegen die Stressrezeptoren diejenigen, mit denen wir und andere uns momentan intensiv beschäftigen, und die auch das Krankheitsbild gut erklären können.

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Viele Fragezeichen um einen Kopf. © picture alliance Foto: Sergey Nivens

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Wir haben beim Chronischen Fatigue-Syndrom immer auch eine Störung dieser Stresssteuerung, dieses sogenannte autonome Nervensystem, was dafür verantwortlich ist, dass wir atmen, dass unser Herz schlägt, aber auch, dass unser Kreislauf das Blut immer dahin tut, wo wir es gerade brauchen. Wenn wir zum Beispiel laufen, brauchen wir mehr in der Muskulatur. Wenn wir uns konzentrieren, dann brauchen wir mehr Blut im Gehirn.

Und das alles ist durcheinandergekommen beim Chronischen Fatigue-Syndrom. Und da gehen wir davon aus, dass das bedingt ist durch eine gestörte Steuerung der adrenergen Rezeptoren und da scheinen dieser Autoantikörper, die auch bei Gesunden dieses System mitsteuern, in ihrer Funktion durcheinandergekommen zu sein.

Schulmann: Wir haben jetzt über die Autoimmun-Hypothese gesprochen, über die Gefäße-Hypothese und über mögliche Ursachen für die neurologischen Symptome. Gibt es noch andere mögliche Ursachen, die in Betracht kommen für Long Covid und Post Covid?

Unspezifische Inflammation

Franke: Wir hatten kurz über die unspezifische Inflammation gesprochen. Wir selber haben auch eine Untersuchung gemacht mit den neurologischen Kollegen der Uniklinik Köln. Und haben bei Patienten, die über anhaltende Konzentrationsstörungen geklagt haben, die Anzahl der SARS-CoV-2-Antikörper im Liquor bestimmt und konnten da nicht nachweisen, dass es da zu vermehrter SARS-2-Antikörper-Produktion im Liquor kommt und somit das ursächlich gemacht werden kann.

Das ist vielleicht nur etwas, was wir nachgewiesen haben, was es nicht ist. Das gleiche gilt vielleicht auch noch mal, das ist jetzt auch eher für die neurologischen Symptome, aber wir haben tatsächlich gesehen, dass während der Akutinfektion Neurofilament, also ein Marker für axonalen Schaden, also für Nervenzellenschaden, wenn man so möchte, im Gehirn, erhöht ist bei Patienten. In Follow-up-Untersuchungen lässt sich das aber dann nicht nachweisen. Das heißt, wir können glücklicherweise nicht davon ausgehen, dass ein Nervenzelluntergang oder Nervenzellenschaden ursächlich ist für die Konzentrationsstörungen bei Post Covid-19, einfach, weil dieser Marker, das Neurofilament, dort nicht erhöht gemessen wird.

Scheibenbogen: Dann ist die Gerinnungsfunktion auch noch so ein Forschungsgebiet.

Blutgerinnungsstörungen

Es gibt ja auch einige Veröffentlichungen, die darauf hinweisen, dass die Blutgerinnung noch aktiviert ist beim Post-Covid-Syndrom. Bei Akut-Covid sieht man das ja, dass es zu einer deutlichen Steigerung der Gerinnungsaktivität kommt. Patienten haben ja auch häufiger Thrombosen. Wenn wir bei unseren Patienten gucken, die mehr als ein Jahr erkrankt sind, sehen wir nur noch sehr selten Auffälligkeiten in der Blutgerinnung. Wir sehen manchmal noch dieses sogenannte D-Dimer leicht erhöht, was ein Hinweis darauf sein kann, dass es noch Reste von Gerinnseln gibt.

Aber das ist bei den allermeisten Patienten, wenn man dann genauer schaut, nicht mehr nachweisbar, sodass wir nicht davon ausgehen, dass anhaltende Gerinnungsstörungen oder Thrombosen ein relevantes Problem sind. Es gibt allerdings ein Behandlungsverfahren, was auch gerade in Deutschland bei vielen Patienten schon eingesetzt wurde. Das ist die sogenannte HELP-Apherese. Das ist eine Technik, bei der man ja auch darauf abzielt, gerade solche kleinen Gerinnsel aus dem Blut zu waschen.

Und auch da gibt es bislang keine Daten aus klinischen Studien, sodass man das momentan schwer beurteilen kann. Es gibt aber Patienten, die berichten, dass es ihnen damit besser geht. Und das ist etwas, was man sicher dann noch mal genauer anschauen muss. Was wir aber auf jeden Fall sehen, und da gibt es auch Marker, ist, dass die Durchblutung der Gefäße nicht auszureichen scheint. Wir haben also Marker, die anzeigen, dass die Sauerstoffversorgung vermindert ist.

So was wie Endothelin zum Beispiel. Das ist bei vielen Patienten also auch nach einem Jahr noch erhöht. Und wir müssen da jetzt auch solche Therapien entwickeln, die die Gefäßdurchblutung verbessern können. Ob das nun wirklich diese HELP-Apherese ist oder ob es vielleicht auch die Sauerstoff-Hochdruck-Therapie ist. Auch da gibt es einige Zentren, die so etwas machen, und Patienten, die auch berichten, dass ihnen das hilft.

Oder ob es vielleicht doch eher Medikamente sind, die die Gefäßfunktion verbessern. Das ist ganz wichtig, dass man das jetzt systematisch in Studien untersucht. Auch deswegen ganz wichtig, weil wir ja anfangs gesagt haben, es gibt unterschiedliche Formen vom Post-Covid-Syndrom. Und auch das muss man sich genau anschauen, welche Patienten man in welchen Studien behandelt. Bei welchen Patienten das helfen kann und bei welchen Patienten das vielleicht nicht helfen kann.

Therapiestudien

Und das ist etwas, wo wir uns jetzt auch hier stark machen, dass wir wirklich sagen: Wir müssen Therapiestudien machen. Wir müssen das auch sehr gut erfassen, welche Patienten wir behandeln, wie wir die Therapieerfolge messen, welche Biomarker wir messen. Das ist sehr aufwendig inzwischen, solche klinischen Studien zu machen. Da haben wir jetzt wieder neue Vorgaben von der EU, wie klinische Studien auszusehen haben.

Aber ohne das wird es nicht gehen, sonst kommen wir nicht weiter, um Medikamente wirklich am Ende zur Zulassung zu bringen, um diese vielen Patienten behandeln zu können. Bislang ist die Behandlung, über die wir jetzt noch gar nicht gesprochen haben, ja in erster Linie symptomorientiert und wir können vielen Patienten damit auch nur bedingt helfen.

Schulmann: Manche Patientinnen berichten aber auch, dass es ihnen nach einer akuten Krankheitsphase wieder gut ging und dass sie dann aber nach einem längeren Zeitraum plötzlich wieder Symptome bekommen haben. Wie kann das passieren? Was ist da der Mechanismus dahinter?

Scheibenbogen: Wir hören das häufig im Zusammenhang mit dem Wiederaufnehmen der Berufstätigkeit oder wenn man sich wieder voll um seine Familie kümmert. Und da haben wir auch die Erfahrung gemacht, wenn wir uns das nach anderen Virusinfektionen anschauen, dass auch ME/CFS oftmals erst mal wieder zur Ruhe kommen kann nach der Akutinfektion und dass es dann nach Monaten wieder zu einer Verschlimmerung kommt.

Und andere mögliche Ursachen sind auch Infekte, die dann neu auftreten. Entweder ist es noch mal Covid oder es ist auch ein anderer Infekt. Und dann ist es manchmal auch so, dass dann erst die Erkrankung richtig losgeht. Also, dass anfangs nur so eine Phase war, dass man sich zwischendurch noch mal erholt hat und dass man dann chronisch erkrankt. Und auch so etwas gehört zum Post-Covid-Syndrom.

Franke: Tatsächlich bei diesen Patienten, die so abgesetzt von der Akutinfektion dann noch mal eine Verschlechterung oder sogar erst den Beginn beschreiben, häufig ist das bei unseren Patientenberichten so drei, vier Monate nach der Akutinfektion, wo dann erst die Beschwerden aufgetreten sind oder besonders stark ausgeprägt waren. Tatsächlich kennen wir das ja auch von anderen Erkrankungen, gerade wenn es etwas autoimmunologisch Vermitteltes ist.

Also wenn solche Patienten sich bei uns in der Sprechstunde vorstellen, da muss ich sagen, da bin ich immer besonders hellhörig, wenn das so eine abgesetzte Verschlechterung ist. Und würde dort auch noch mal genau gucken, ob ich nicht doch etwas finde, was mich Hinweise finden lässt auf was Autoimmunologisches oder immunologisch Vermitteltes.

Einfluss der Impfung auf Long Covid

Schulmann: Ich würde gerne, wie vorhin angesprochen, auch noch einmal auf die Rolle der Impfung zu sprechen kommen. Es gibt ja die ZOE-Studie, die in "Lancet Infectious Diseases" erschienen ist. Die legt nahe, dass vollständig geimpften Personen ja nicht nur gut geschützt sind vor einem schweren akuten Covid-19-Verlauf, sondern eben auch vor Langzeitfolgen, also Long Covid und Post Covid. Ist das etwas, was Sie in Ihren Sprechstunden auch beobachten? Also sind es wirklich eher die Ungeimpften, die zu Ihnen kommen, Frau Scheibenbogen?

Scheibenbogen: Klar, in der ersten Phase waren es natürlich nur Ungeimpfte, aber wir sehen jetzt auch Erkrankte trotz Impfung. Wobei es gerade bei solchen Fragen auch ganz wichtig ist, dass man sich die Daten aus großen kontrollierten Studien anschaut und nicht so sehr das, was man selbst aus der Sprechstunde mitnimmt. Und wenn man sich jetzt gerade diese Studien aus Israel anschaut, dann kann man zusammenfassend schon sagen, dass die Impfung auch vor Long Covid schützt.

Da gibt es natürlich auch wieder, muss man sagen, unterschiedliche Studien. Es gibt solche Studien, die sich das meistens nach zwei Impfungen nur angeschaut haben. Und da gibt es dann Daten, die sagen, dass das eine etwas 50-prozentige Verminderung des Risikos, Long Covid zu entwickeln, mit sich bringt. Aber es gibt auch Studien, die zeigen, dass man einen nahezu vollständigen Schutz hat durch die Impfung.

Das heißt, wir haben zumindest, und diese Studien sind ja alle noch aus der Deltavirus-Zeit, einen gewissen Schutz vor Long- und Post-Covid-Syndrom durch die Impfung. Ob das jetzt auch noch für Omikron gilt, da sehen wir jetzt natürlich, dass es auch bei Geimpften sehr häufig zu Infektionen kommt, die dann auch wieder ein, zwei Wochen recht krank machen können, ob das auch noch für Omikron gilt, das wissen wir momentan noch nicht.

Schulmann: Wie hängt das zusammen? Verhindert die Impfung Long Covid und Post Covid, weil sie einen schweren Verlauf verhindert? Also wir haben ja gehört, dass es häufiger nach schwerem Verlauf auftritt. Oder gibt es einen anderen Mechanismus, mit dem die Impfung quasi direkt gegen Long Covid und Post Covid wirkt?

Scheibenbogen: Ich halte es schon für plausibel, dass die Impfung dazu führt, dass die Infektion weniger schwer und vor allem auch weniger lang verläuft. Und ich denke, dass das mit eines der Hauptprobleme ist, dass wir bei Covid oftmals Infektionsverläufe haben, die über zwei, drei Wochen gehen und dass das dazu führt, dass das Immunsystem so stark aktiviert wird und schwer durcheinandergerüttelt wird und es deswegen sehr viel länger braucht, um wieder zur Ruhe zu kommen.

Es ist ja auch das Immunsystem selbst, was sich kontrolliert, was sich am Ende wieder abschalten muss. Das ist etwas, was sicher durch die Impfung aufgefangen wird, dass die Infektion auch nicht mehr so lange verläuft. Denn auch wenn die Antikörper, die wir durch den Impfstoff haben, uns jetzt nicht gut vor Omikron schützen, wir haben ja auch noch unsere T-Zellen, die dann gerade in der zweiten Woche der Infektion auch eine ganz wichtige Rolle spielen, um die Virus-infizierten Zellen zu finden und zu kontrollieren. Und die sind auch gegen Omikron gut wirksam.

Post Covid nach Impfung?

Schulmann: Man hört aber auch immer mal wieder davon, dass Menschen berichten, sie seien nicht infiziert gewesen, sondern sie hätten nach einer Impfung Long-Covid-Symptome entwickelt. Sehen Sie das auch in Ihrem Klinikalltag, Frau Franke?

Franke: Ja, das ist tatsächlich etwas, was uns so seit dem Herbst letzten Jahres doch vermehrt begegnet. Und dass uns Patienten anschreiben, die von neurologischen Manifestationen nach der Impfung berichten beziehungsweise die in Zusammenhang bringen. Ich glaube, hier gilt genau das gleiche wie für Post Covid. Also nach der Infektion oder nach der Impfung, wir müssen diese Patienten gut untersuchen. Wir müssen die Symptome untersuchen und die mit der uns zur Verfügung stehenden Diagnostik stützen.

Und dann muss man sich über pathophysiologische Mechanismen Gedanken machen, ob es hier einen Zusammenhang gibt. Da fehlen noch sehr, sehr viele Daten. Das kommt mir manchmal so ein bisschen vor wie im Sommer 2020, als die ersten Patienten mit Post Covid kamen und gesagt haben: "Ich habe jetzt seit vielen Wochen nach der Infektion, und jetzt in diesem Fall nach vielen Wochen nach der Impfung, anhaltende Symptome und keiner kann die richtig zuordnen. Mein Hausarzt, auch der Facharzt, der niedergelassene Facharzt hat Diagnostik gemacht, aber kann nichts finden. Aber ich habe die Beschwerden und die beeinträchtigen mich sehr." Und dann kommen sie in unsere Sprechstunden.

Wir haben diese Sprechstunde, die Post-Covid-Sprechstunde, dementsprechend jetzt auch erweitert. Und sehen tatsächlich auch Patienten mit neurologischen Manifestationen in dieser Sprechstunde. Wenn man jetzt so schaut, was sind das für Symptome, die die Patienten häufig berichten? Um für die Neurologie zu sprechen: Dann sind das Patienten, die auch über Konzentrationsstörungen berichten, also zentrale Symptome, wenn man so sagen möchte, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, auch Schwindel.

Und dann gibt es die Patienten, die über periphere Symptome, so würden wir das beschreiben, berichten. Also über Sensibilitätsstörungen, Kribbeln, Missempfindung der Hände und der Füße, teilweise auch aufsteigend. Hier muss man auch andere autoimmunologische Erkrankungen berücksichtigen, die ja auch schon beschrieben sind, also zum Beispiel das Guillain-Barré-Syndrom, was ja auch Post-Impfung beschrieben ist. Aber nicht alle Patienten haben natürlich ein Guillain-Barré-Syndrom. Sondern man muss dann auch gucken: Gibt es ursächlich Ursachen für eine Polyneuropathie, also eine Erkrankung der Nerven, die diese Missempfindungen auslöst?

Schulmann: Und können Sie schätzen, wie viele Menschen davon betroffen sind?

Franke: Nein, das ist tatsächlich zum aktuellen Zeitpunkt nicht sicher abzuschätzen. Und da gibt es auch keine guten Daten zu, weil gerade diese Patienten jetzt wirklich erst richtig erfasst werden. Im Prinzip kann jeder Hausarzt, jeder niedergelassene Arzt, jeder Klinikarzt an das Paul-Ehrlich-Institut diese Symptome melden. Aber das ist zum Teil ja wirklich noch sehr unspezifisch und wird nicht sehr regelhaft im vollen Umfang durchgeführt, sodass uns keine guten Zahlen dazu vorliegen.

Schulmann: Das heißt auch, der Mechanismus, der dahintersteckt, den kennt man auch noch nicht ganz genau?

Franke: Ich würde sagen, es gibt dazu Hypothesen und auch Vorstellungen, wie pathophysiologische Mechanismen ablaufen können, aber da fehlen uns tatsächlich valide Daten.

Scheibenbogen: Es gibt ja einen Bericht von Pfizer, die haben einen Überblick über Nebenwirkungsmeldungen, die bei ihnen eingegangen sind. Die kann man sich anschauen. Es sind inzwischen über 40.000 Berichte, die da eingeflossen sind. Und da sieht man auch die unterschiedlichsten Dinge, die berichtet werden infolge der Impfung. Das ist natürlich erst mal nur das, was die Patienten oder die Ärzte berichten. Man muss das sicher auch systematisch untersuchen. Ich habe auch inzwischen einige Patienten gesehen und ich denke auch, das kann unterschiedliche Ursachen haben.

Auswirkungen von EBV-Infektion

Ich habe zum Beispiel auch Patienten gesehen, die ein Pfeiffersches Drüsenfieber in der Vorgeschichte hatten. Das ist eine schwere EBV-Infektion. Wenn man EBV erst als junger Erwachsener bekommt, dann kann das zu einer schweren Infektionserkrankung führen und ist ein Risikofaktor, auch um Chronisches Fatigue-Syndrom zu entwickeln. Und was auch eine Möglichkeit ist, ist, dass so eine Impfung, gerade dieser mRNA-Impfstoff ist ja ein sehr wirksamer Impfstoff, dass der natürlich auch das Immunsystem aktiviert und dass in diesem Zusammenhang auch EBV-Viren reaktivieren.

Und dass es dann in Folge einer EBV-Reaktivierung auch zu Autoimmunreaktionen kommen kann und dass auch solche Syndrome machen kann. Das ist bei EBV gut untersucht. Das ist ein sehr großes Virus und diese Eiweiße des EBV haben viele Übereinstimmungen mit Körperproteinen. Und wenn dann eine starke Immunreaktion gegen ein Virus ausgelöst wird, dann kann es natürlich immer auch zu solchen Kollateralschäden kommen. Das heißt, es können auch Autoantikörper gegen körpereigene Strukturen reagieren und die können dann auch solche Krankheitsbilder auslösen.

Schulmann: Das ist ja nun auch ein Argument von vielen Impfgegnerinnen. Wie schätzen Sie das ein? Wiegt dieses Risiko so schwer, dass Sie sagen: Lasst uns doch lieber nur die Risikogruppen gegen Corona impfen und nicht mehr alle? Also lässt Sie das skeptisch werden gegenüber der Impfung im Allgemeinen?

Scheibenbogen: Nein, weil ich gehe stark davon aus, dass diejenigen, die nach einer Impfung schon solche Symptome entwickeln, dass das wahrscheinlich die sind, die durch eine Infektion ähnliche oder noch viel schwerere Symptome entwickelt hätten. Wir gehen davon aus, dass eine Impfung eine deutlich weniger und kurzfristige Aktivierung des Immunsystems macht, als es die Infektion ist. Und wir wissen ja auch schon, es gibt bestimmte Menschen, die ein erhöhtes Risiko haben, solche Krankheitsbilder zu entwickeln.

Das sind Frauen, das sind Menschen, die in der Vorgeschichte auch oft schon Autoimmunerkrankungen hatten, entweder selbst oder in der Familie. Das sind auch Menschen mit bestimmten Immundefekten. Und das sind wahrscheinlich auch genau die Menschen, die nach so einer Impfung anhaltende Symptome haben. Aber das ist bislang natürlich nur eine Hypothese. Da gilt es, es noch genauer zu untersuchen. Aber die Empfehlung ist ganz klar für die Impfung.

Und wir haben noch keine genauen Zahlen, aber ich denke, wir können auch relativ sicher davon ausgehen, dass das Risiko, so etwas nach einer Impfung zu entwickeln, sehr, sehr viel geringer ist, als Post-Covid-Syndrom nach einer Infektion zu entwickeln. Da wissen wir schon, es betrifft jeden Zehnten. Und wir haben ja relativ gute Daten aus den Zulassungsstudien. Da sind solche Impfreaktionen, solche länger anhaltenden Impfreaktionen ja nur sehr, sehr selten beschrieben worden. Und wir sehen so etwas natürlich jetzt im größeren Umfang, weil ja auch so viele Menschen geimpft wurden.

Franke: Genau, wir würden uns für ein absolutes "Pro Impfung" aussprechen wollen und das auch allen unseren Patienten und Patientinnen in der Post-Covid-Sprechstunde empfehlen. Wenn dies jetzt auch noch nicht erfolgt ist, dass die Impfung trotzdem sicher ist und dass wir uns absolut für die Impfung aussprechen.

Therapiemöglichkeiten

Schulmann: Und spielt es eine Rolle, damit wären wir dann jetzt schon beim großen Thema Therapie, ob die Long- oder Post-Covid-Symptome durch eine Erkrankung ausgelöst wurden oder durch die Impfung?

Scheibenbogen: Momentan ist es ja so, dass wir bei den allermeisten Erkrankten sowieso nur eine symptomorientierte Behandlung machen. Das heißt, wir können natürlich Dinge behandeln wie Schlafstörungen, die auch häufig mit einhergehen. Wir können Schmerzen behandeln. Wir gucken auch, gibt es Mangelzustände, die man behandeln kann? Aber diese symptomorientierte Behandlung unterscheidet ja dann erst mal nicht: Was ist jetzt der Auslöser gewesen? Sondern: Was sind die Hauptbeschwerden und wie kann man den Erkrankten da am besten helfen?

Und wenn wir dann über gezielte Therapien sprechen, dann ist es auch wirklich wichtig, dass wir die Ursachen kennen, dass wir also wissen, was wollen wir da jetzt eigentlich behandeln? Wollen wir jetzt ein aktives Immunsystem behandeln? Wollen wir also ein Medikament haben, was eher die Entzündung bremst? Wollen wir ein Medikament haben, was gegen Autoantikörper gerichtet ist? Wollen wir ein Medikament haben, was die Durchblutung verbessert?

Das heißt, wir behandeln beim Post-Covid-Syndrom momentan die Symptome. Das Ziel ist aber wirklich, dann die molekulare Ursache zu behandeln, weil das alleine wird uns am Ende auch die Möglichkeit geben, dass wir auch die Patienten, die jetzt teilweise seit zwei Jahren so schwer krank sind, zu heilen.

Franke: Am Anfang steht sicherlich, dass wir die Patienten erst mal gut klinisch versuchen zuzuordnen, dann die Diagnostik durchführen und dann schauen, ob wir symptomorientiert behandeln können. Wir haben uns schon zu einem ganz frühen Zeitpunkt mit den Kollegen der Psychosomatik verbunden, weil wir doch auch glauben, dass wir den normalen Weg, den wir sonst immer gehen, dass wir versuchen, erst mal alles somatisch abzuklären und Diagnostik durchzuführen und dann gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt noch die Kollegen der Psychosomatik mit dazu bitten, um unterstützende, auch nicht medikamentöse Strategien dem Patienten zu erläutern, dass wir eigentlich nicht so lange warten wollen, sondern dass wir parallel arbeiten wollen.

Und nicht, weil wir jetzt noch nicht die Möglichkeit haben, kausal zu behandeln, sondern weil wir glauben, dass die Patienten davon auch schon zu einem frühen Zeitpunkt, auch schon, während die Diagnostik durchgeführt wird, profitieren können. Unsere Kollegen der Psychosomatik haben verschiedene Post-Covid-Gruppen, wo auch Krankheitskonzepte erläutert werden und auch der Austausch mit anderen betroffenen Patienten als sehr hilfreich empfunden wird. Deswegen gilt es zum einen, die Diagnostik durchzuführen, die klinische Phänotypisierung. Dann zu schauen, ob ich etwas kausal behandeln kann, wie zum Beispiel, wenn ich einen Hinweis für eine Immunbeteiligung habe, oder sonst symptomatisch behandeln kann und dann dem Patienten zusätzlich noch Therapieangebote der Psychosomatik anzubieten.

Scheibenbogen: In dem Zusammenhang ist es auch noch mal ganz wichtig, auch dieses Symptom der Belastungsintoleranz gut zu erfragen.

Behandlungskonzept Pacing

Wenn es also wirklich dazukommt, dass man auch nach leichten Belastungen schon eine Zunahme der Beschwerden hat, dann muss man auch ein Behandlungshandlungskonzept umsetzen, das sich Pacing nennt. Das heißt, dann muss man auch schauen, wie viel kann ich im Moment noch machen? Und muss vermeiden, sich zu überlasten. Und das ist etwas, was auch nicht so ganz einfach ist in der Umsetzung, denn das ist individuell ja auch unterschiedlich. Und da versuchen wir, den Erkrankten dann auch Hilfestellung zu leisten.

Da haben wir Informationsmaterial, da haben wir Tagebücher. Man kann auch über Pulsuhren erst mal versuchen, sich nicht zu überlasten. Und das ist ein ganz wichtiges Konzept bei Belastungsintoleranz. Denn wenn man gerade in der Anfangsphase der Erkrankung immer wieder versucht, in den normalen Alltag zurückzukehren, wenn es schon dadurch immer wieder zu diesem Crash kommt, dann kann man sich auch immer weiter verschlechtern. Diese Pacing-Strategien umzusetzen, ist ein wichtiger Aspekt in der Anfangsphase der Erkrankung.

Und da ist es so, dass viele Ärzte sich leider damit auch gar nicht gut auskennen und bei Fatigue oftmals die generelle Empfehlung gegeben wird, Sport zu machen. Und da ist es leider so, dass Patienten auch immer wieder berichten, dass sie dann kranker aus der Reha zurückkommen, als sie hingegangen sind. Das ist etwas, was wir auch anbieten, wo wir Informationsmaterial haben. Wir haben eine Informationsseite vom Post-Covid-Netzwerk der Charité. Wir haben auch vom Fatigue-Zentrum der Charité solche Informationsseiten, da haben wir zum Beispiel einen Flyer für das Pacing.

Schulmann: Welche Behandlungsansätze gibt es denn für die Fatigue oder auch die Kurzatmigkeit?

Scheibenbogen: Für die Kurzatmigkeit gibt es einen ganz schönen Behandlungsansatz. Wenn man sich die jungen Patienten anschaut, die über Kurzatmigkeit berichten und wenn man dann die Lungenfunktion misst, dann stellt man fest, dass die meistens in Ordnung ist. Das heißt, es liegt gar nicht so sehr an der Lunge, dass dieses subjektive Gefühl der Atemnot auftritt.

Kurzatmigkeit durch muskuläre Schwäche

Eine mögliche Ursache ist, dass es die muskuläre Schwäche ist, denn die Muskeln, die signalisieren dem Gehirn auch: "Ich brauche mehr Sauerstoff, also atme schneller." Und durch dieses zu schnelle Atmen kommen dann auch wiederum Prozesse im Körper durcheinander. Also es kommt dazu, dass dann die Muskulatur auch eher ansäuert und dass das Ganze dadurch weiter angestoßen wird. Da kann man eigentlich ganz gut gegensteuern durch Atemtechniken. Es gibt da spezielle Programme, die auch schon relativ früh angeboten wurden.

Und wir haben vom Charité-Fatigue-Zentrum auch ein digitales Angebot, wo man Atemtechniken lernen kann. Das ist etwas, womit man auch bei vielen Patienten eine Verbesserung dieser Symptome erreicht. Fatigue zu behandeln, ist schwieriger. Fatigue zu behandeln ist deswegen auch so schwierig, weil Fatigue keine einheitliche Ursache hat. Um Patienten zu helfen mit Fatigue, gibt es einige wichtige Fragen, die man zunächst stellen muss. Zum einen die Frage nach der Belastungsintoleranz und dem Pacing. Das hatte ich ja gerade schon ausgeführt.

Zum anderen natürlich auch die Frage nach dem Schlaf. Also bekommt jemand ausreichend Schlaf? Denn diese Erkrankungen bringen oft mit sich, dass man, obwohl man auf der einen Seite so erschöpft ist, dass man trotzdem keinen Schlaf findet. Und da hat man dann auch einen ganz guten Behandlungsansatz. Man kann Schlaf auch behandeln über solche verhaltenstherapeutischen Ansätze. Man kann also lernen, zum Beispiel durch Entspannungstechniken besser einzuschlafen, oder auch, wenn man nachts wach wird, wieder einzuschlafen.

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Oder aber man kann auch Medikamente geben. Und es gibt auch Medikamente, die nicht die klassischen Schlafmittel sind, aber einfach die den Schlaf unterstützen, die man auch längerfristiger geben kann. Dann kann aber die Fatigue auch dadurch ausgelöst werden, dass die Durchblutung vermindert ist, die Durchblutung sowohl im Gehirn als auch in der Muskulatur. Auch das kann man verbessern, indem man zum Beispiel den Kreislauf unterstützt, indem man mehr trinkt, indem man auch möglichst seine Beine hochlegt, wann immer es möglich ist und vielleicht auch Stützstrümpfe trägt, wenn man doch längere Zeit stehen muss.

Labordaten

Wir schauen uns immer auch das Labor sehr genau an. Es kann sein, dass man zum Beispiel begleitend einen Eisenmangel hat oder dass man einen Vitaminmangel hat. Folsäuremangel sehen wir auch relativ häufig. Wenn man den behandelt, wird die Fatigue oft auch schon etwas besser. Aber bei den allermeisten Patienten mit Fatigue sehen wir jetzt, dass es auch über einen Zeitraum von anderthalb oder zwei Jahren bei vielen zu wenig oder keiner Besserung gekommen ist.

Da ist es dann wirklich so, dass wir die ursächlich behandeln müssen. Und da müssen wir am Ende genau an den Mechanismen ansetzen, die wir schon besprochen haben. Denn sowohl die Entzündung als auch Autoimmunerkrankung als auch die gestörte Gefäßdurchblutung, die können alle auch zu Fatigue führen. Und das müssen wir behandeln, um dann letztendlich auch die Fatigue in den Griff zu bekommen.

Schulmann: Frau Franke, wie ist das bei den neurologischen Symptomen? Wie sehen da die Handlungskonzepte aus?

Franke: Wir behandeln die Patienten symptomorientiert. Also am Beispiel des chronischen Spannungskopfschmerzes würden wir uns gemäß der prophylaktischen medikamentösen Behandlung zur Vorbeugung des Spannungskopfschmerzes orientieren. Bei Sensibilitätsstörung gibt es auch Medikamente, die man einsetzen kann, symptomorientiert, und dann bleibt es bei der Zusatzdiagnostik, ob wir einen weiteren Hinweis dafür finden, dass etwas Zusätzliches noch adressiert werden muss.

Zum Beispiel, ob es da einen Hinweis für eine Immunbeteiligung gibt, die wir dann noch mal immunmodulatorisch behandeln würden, zum Beispiel mit Kortison oder auch mit Immunglobulin-Gabe, das wäre dann als individueller Heilversuch, weil es hierzu noch keine Studien gibt, die aber tatsächlich, wie vorhin auch schon mal ausgeführt, ganz notwendig sind, dass man das jetzt auch durchführt. Die Patienten, die man in solchen medikamentösen Studien einschließt, auch eventuell Placebo gegen Verum untersucht, um das wirklich gut und stichhaltig zu untersuchen. Aber wie gesagt, das ist sehr komplex, sehr schwierig und steht noch aus.

Heilungschancen

Schulmann: Wie hoch würden Sie generell die Chance auf vollständige Heilung einschätzen?

Scheibenbogen: Auch das muss man wieder unterscheiden, was das für Post-Covid-Verläufe sind. Es gibt da eine ganz aktuelle Studie aus Frankreich, die setzt als Grenze bei Monat zwei schon an. Die sagen, wer nach zwei Monaten noch anhaltende Symptome hat, der hat leider ein hohes Risiko, dass die auch nach zwölf Monaten noch bestehen. Und wenn wir uns unsere Patienten anschauen, die sich in der Post-Covid-Fatigue-Studie befinden, dann sehen wir, dass diejenigen, die das Vollbild ME/CFS haben, jetzt anhaltend über anderthalb, zwei Jahre krank sind und sich insgesamt auch wenig geändert hat an der Krankheitsschwere.

Sie kommen mit ihren Symptomen besser klar, sie kommen im Alltag etwas besser klar, aber die meisten sind so krank, dass sie auch nicht mehr in der Lage sind, ihren Beruf auszuüben oder nur noch mit großer Einschränkung. Die, die das Vollbild von ME/CFS nicht erfüllen, da sehen wir erfreulicherweise, dass es doch einigen ein Stück besser geht. Und da haben wir die große Hoffnung, dass diese Patienten auch heilen, nur durch die symptomorientierte Behandlung.

Medikamentenbedarf

Wobei wir auch da über Verläufe schon von bis zu zwei Jahren reden und auch das natürlich eine extrem lange Spanne ist für diese jungen Patienten, sodass wir gerade für diese Patienten ganz dringend Medikamente brauchen. Und das ist etwas, was wir auch wirklich versuchen, mit Nachdruck umzusetzen. Wir sagen, wir brauchen Therapiestudien mit Medikamenten, die auch schon zugelassen sind. Wir können keine neuen Medikamente entwickeln.

So etwas dauert Jahre, wenn man in der Grundlagenforschung anfängt und dann bis so eine Substanz schließlich zugelassen ist. Nein, wir müssen Medikamente, die schon zugelassen sind, verwenden. Frau Franke hatte ja schon eins genannt, zum Beispiel Immunglobuline. Das sind Ansätze, mit denen man Autoimmunerkrankungen behandeln kann. Nun sind Immunglobuline nur eingeschränkt verfügbar und es ist sicher keine Option für diese vielen Menschen. Aber wir haben andere Therapieverfahren, mit denen man auch Autoantikörper behandeln kann.

Und die Immunadsorption ist ein so Verfahren, was wir in der Vergangenheit auch bei ME/CFS schon angewendet haben in Studien. Und wir sehen auch, dass es vielen Patienten helfen kann. Und der große Vorteil ist mit der Immunadsorption, das ist eine Technik, mit der werden die Autoantikörper einmal rausgewaschen. Man sieht dann auch sehr schnell, ob es jemandem hilft und man kann dann auf dieser Grundlage auch im zweiten Schritt Medikamente anwenden, die dann etwas längerfristig auch wirken und die man dann auch wiederholt geben muss.

Zum Beispiel gibt es Medikamente, die solche B-Zellen ausschalten, die Autoantikörper machen. Und das ist etwas, was wir jetzt auch sagen, das muss letztendlich auch unterstützt werden. Wir brauchen hier eine nationale klinische Studiengruppe, die jetzt sehr schnell mit ähnlichen Studienprotokollen, mit einheitlichen Definitionen der Patienten, mit einem einheitlichen Biomarker-Programm verschiedener solcher Behandlungsansätze prüft und zur Zulassung bringt, damit wir wenigstens in einem Zeitraum von vielleicht acht bis zwölf Monaten schon erste Medikamente hätten, die wirksam sind und die dann auch schnell zur Zulassung bringen können.

Franke: Ja. Das, was Frau Scheibenbogen dargestellt hat, das ist extrem wichtig, dass man das hier tatsächlich vorantreibt. Und dass man das, was man von anderen Erkrankungen weiß, auch übersetzt und mitnimmt für Post Covid, dass man das gut untersucht in solchen Therapiestudien. Zum aktuellen Zeitpunkt geschieht das als individueller Heilversuch. Tatsächlich auch bei Patienten, bei denen wir was nachweisen können, wenngleich wir vielleicht auch noch nicht wissen, was wir alles nachweisen könnten und das noch nicht alles gefunden ist.

Somit ist das schwierig. Ich glaube, solange wir uns noch in diesem Zustand befinden, wo uns einfach diese wirklich essenziellen wissenschaftlichen Daten fehlen, muss man trotzdem auch vorsichtig sein. Und diese Immunadsorption, die Sauerstofftherapie, die Apherese, das sind alles Therapiemöglichkeiten, die genannt sind. Aber wie gesagt, uns fehlen die wissenschaftlichen Daten dafür und deswegen kommen die auch jetzt nicht für jeden Patienten, der an Post Covid-19 erkrankt ist, infrage.

Und als individuellen Heilversuch müsste man das sicher auch mit Vorsicht einsetzen. Aber das ist absolut notwendig, dass das besser untersucht wird. Der Schlüssel wird sein, dass man über die Klärung der Pathophysiologie auch dann therapeutische Implikationen findet und die dann gezielt untersucht.

Gesellschaftliche Auswirkungen

Schulmann: Worauf müssen wir uns denn jetzt in den kommenden Monaten oder Jahren einstellen? Also die Inzidenzen lagen jetzt wochenlang im Tausender-Bereich. Es könnten tatsächlich Hunderttausende betroffen sein von Long Covid oder Post Covid, und damit eben auch chronisch krank sein. Sie haben vorhin gesagt, zehn Prozent der Infizierten sind betroffen. Wie schwerwiegend könnten da die Folgen ausfallen für die Gesellschaft?

Scheibenbogen: Wenn wir diese französische Studie jetzt noch mal zugrunde legen, die doch auch unsere Daten bestätigt, dass viele von den Jüngeren dauerhaft krank sind. Und das mittlere Alter in diesen Studien, das sind ja Menschen, die so zwischen 30 und 50 Jahren sind. Das ist das hauptbetroffene Alter. Das sind Menschen, die dann auch aus dem Berufsleben fallen, die vielleicht auch nicht mehr in der Lage sind, ihre Familien zu versorgen, dann ist das ein Riesenproblem. Es sind ja nicht nur die Krankheitskosten, die entstehen, es sind ja auch die Sozialkosten, die entstehen.

Und wir haben da ein großes Risiko für unser Gesundheitssystem, aber auch für unser Sozialsystem, denn wir sind ja auch noch nicht am Ende angekommen. Es werden ja weitere Patienten erkranken an Post Covid. Und das ist das, was wir momentan auch erleben in unserem Post-Covid-Netzwerk. Es sind so viele Patienten und wir sind auch gar nicht in der Lage, die jetzt alle adäquat zu versorgen. Viele müssen monatelang auf einen Termin bei uns warten. Und dann können wir viele ja auch bislang nicht gut behandeln. Also wir müssen da ganz dringend rauskommen.

Und das eine ist natürlich, dass wir die Versorgungsstrukturen verbessern. Das ist ganz wichtig. Wir müssen den Patienten zunächst mal eine vernünftige Diagnose und eine Perspektive geben. Aber ich kann es auch nur noch mal betonen: Wir müssen in dieser Ausnahmesituation auch etwas unkonventionellere Wege gehen in der Medikamentenentwicklung. Und da haben wir inzwischen schon ganz gute Konzepte, die auch relativ klar vorgeben, dass wir Medikamente brauchen. Einerseits, um solche überschießenden Immunreaktionen zu bremsen.

Wir brauchen Medikamente, die gerichtet sind gegen Autoantikörper. Wir brauchen Medikamente, die die Gefäßdurchblutung verbessern. Solche Medikamente gibt es schon zugelassen von anderen Erkrankungen. Und wir müssen jetzt sehr gute klinische Studien machen, wo wir genau definieren, welche Patienten behandeln wir, wo wir ein sehr umfangreiches Biomarker-Programm machen. Denn am Ende wird es auch so sein, dass solche Behandlungen natürlich auch nicht allen Patienten helfen werden, gerade bei diesem doch noch recht heterogenen Krankheitsbild.

Aber wir lernen quasi an den klinischen Studien. Und am Ende werden wir dann auch schauen können, die Patienten, denen wir geholfen haben, da können wir uns dann die Biomarker anschauen. Wir können also ganz genau schauen: Was war das Auffällige vor der Behandlung und was hat sich gebessert durch die Behandlung? Und auf dieser Grundlage, bin ich ganz zuversichtlich, könnten wir auch relativ schnell passende Medikamente entwickeln.

Politische Unterstützung

Was es jetzt aber braucht, und da braucht es auch Unterstützung von der Politik, es braucht einfach auch Geld. Klinische Studien sind heute sehr teuer. Die pharmazeutische Industrie ist auch noch relativ zurückhaltend. Denen ist das alles auch noch viel zu wenig charakterisiert und viele Krankheitsmechanismen sind auch nicht so im Detail charakterisiert. Und trotzdem denke ich, sind wir gefragt, jetzt relativ bald klinische Studien anzuschieben.

Wir können uns jetzt nicht die Zeit lassen, drei Jahre zu forschen und es dann wirklich im Detail wissen, sondern ich denke, ein Teil dieser Forschung müssen auch klinische Studien sein. Wir müssen weg von dem, was momentan passiert, dass nämlich diejenigen, die die besten Beziehungen haben oder die sich das leisten können, Therapien bekommen, die uns dann auch nicht weiterbringen, weil es letztendlich auch nicht sauber dokumentiert wird, ob die Behandlung wirklich geholfen hat und bei welchem Patienten sie geholfen hat. Und ich glaube, das ist für uns die Chance, da rauszukommen, weil ansonsten werden wir hier über Jahre den Notstand verwalten müssen.

Schulmann: Frau Franke, möchten Sie was ergänzen? Was müssen wir tun, um als Gesellschaft mit einem vielleicht noch blauen Auge davon zu kommen?

Franke: Das wäre absolut ein Ruf an die Politik und auch an die Forschungseinrichtungen, dass sie Therapiestudien zu Post Covid-19 unterstützen, dass sie diese mit auf den Weg bringen und die Kliniker und auch die Arbeitsgruppen von Frau Scheibenbogen und von uns unterstützen in der Untersuchung zur Pathophysiologie, aber dann auch zur effektiven Behandlung dieser Patienten.

Link-Sammlung aller erwähnten Studien in der Sonderfolge

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NDR Info | Das Coronavirus-Update von NDR Info | 12.04.2022 | 17:00 Uhr

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