Der Infektiologe Leif Erik Sander von der Charité Berlin. © Charité | Wiebke Peitz Foto: Charité | Wiebke Peitz

Corona-Podcast: Impfungen werden im Herbst 2022 wieder relevant

Stand: 21.06.2022 12:00 Uhr

Der Infektionsimmunologe Leif Erik Sander erklärt im NDR Info Podcast Coronavirus-Update, warum die für Herbst erwarteten Impfstoff-Updates keine Gamechanger werden und weshalb er Hoffnungen in Vakzine setzt, die als Nasenspray verabreicht werden können.

von Ines Bellinger

Steigende Infektionszahlen, viele krankheitsbedingte Ausfälle in Betrieben - der Sommer verläuft mit Blick auf die Corona-Pandemie etwas anders als die zwei vergangenen. Die rasante Verbreitung der hochansteckenden Omikron-Sublinien BA.4 und BA.5 beobachten Mediziner und Forschende aufmerksam. Wird sich das wieder anziehende Infektionsgeschehen auch auf die bislang ruhige Lage in den Krankenhäusern auswirken? "Wir nehmen vereinzelt wieder Patienten mit schwereren Lungenentzündungen auf", berichtet Sander in der neuen Podcast-Sonderfolge aus der Berliner Charité. "Ich glaube nicht, dass wir eine Überlastung des Gesundheitssystems bekommen werden, der Sommer wird aber sicher nicht ganz so entspannt wie in den letzten Jahren."

Das Coronavirus © CDC on Unsplash Foto: CDC on Unsplash
AUDIO: Neue Podcast-Sonderfolge: Hybridimmunität (77 Min)

Funktioniert Hybridimmunität auch unter neuen Sublinien?

Viele werden sich in dieser Sommerwelle womöglich erstmals, andere erneut anstecken. Zumindest für Geimpfte könnte das bedeuten, dass sie die vielzitierte Hybridimmunität aus Impfung plus Infektion erlangen. Aber gilt diese Idee des robusteren Schutzes vor Sars-CoV-2 überhaupt noch mit den neuen Untervarianten?

Sanders Charité-Team hat mit einer Gruppe um Florian Klein in Köln eine Studie zur Omikron-Untervariante BA.1 durchgeführt. "Wenn jemand vormals infiziert und dann geimpft war, sah man auch sehr gute neutralisierende Antikörper gegen die Omikron-Variante. Das war ähnlich gut ausgeprägt wie nach drei Impfungen", sagt Sander.

Man müsse beim Konzept Hybridimmunität jedoch immer die verschiedenen Konstellationen berücksichtigen, unter denen Immunität erworben wurde: In welcher Welle war jemand infiziert? Wie war das jeweilige Impfschema? Wie groß war bei einer Durchbruchsinfektion der Abstand zur letzten Impfung? Es gibt keine Faustformel für eine möglichst breite Immunität, aber vereinfacht gesagt, reift das Immunsystem besser, wenn man sich nicht direkt nach einer Impfung ansteckt.

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Wissenschaftlich belegt ist bereits, dass eine BA.1-Infektion nicht vor einer Ansteckung mit den neuen Sublinien BA.4 oder BA.5 schützt. Aber: "Die Gefahr von Reinfektionen besteht bei Coronaviren ohnehin, das wissen wir von den endemischen Coronaviren", sagt Sander. Im Wettlauf mit der wachsenden Immunität in der Bevölkerung werde das Virus gezwungen, sich zielgerichteter zu verändern, um der Immunantwort auszuweichen und noch Wirtszellen zu finden.

Die entscheidende Frage bleibe: Wie schwer wird die Erkrankung sein? "Wir haben neben den neutralisierenden Antikörpern ja auch Gedächtniszellen im Körper, die wir sehr schnell aktivieren können. Ich würde davon ausgehen, dass man trotzdem noch einen sehr guten Schutz vor einer schweren Erkrankung hat", sagt Sander.

Herkömmliche Impfstoffe wirken auch gegen Omikron-Sublinien

Schlussfolgerungen aus einer Studie des Imperial College London, dass sich unser Immunsystem je nach Erstkontakt mit dem Virus so stark auf eine Variante fokussiert, dass es aus anderen Viruskontakten kaum noch lernen kann (Antigen-Erbsünde), teilt Sander "definitiv" nicht. "Es ist ein großes Glück, dass die herkömmlichen Impfstoffe, die auf der Basis des ursprünglichen Virus entwickelt wurden, weiterhin sehr, sehr gut wirken - auch gegen die neuen Omikron-Sublinien", sagt der Impfstoffforscher. Die wichtigste Impfung sei die dritte, die mit einem gewissen Abstand gegeben wird und nach der die Grundimmunisierung als abgeschlossen gilt. Aber: "Auch wiederholte Impfungen bringen einen zusätzlichen Nutzen."

Kommt vierte Impfung für alle?

Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt einen zweiten Booster vorerst weiterhin nur für über 70-Jährige und Risikopatienten. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) würde diese Empfehlung mit Blick auf den Herbst gern weiter fassen lassen. Gerade wurde eine Studie aus Israel veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass frisch vierfach Geimpfte ein deutlich reduziertes Risiko tragen, sich zu infizieren oder symptomatisch oder schwer zu erkranken.

In Portugal wiederum entfielen die in der Omikronwelle gestiegenen Todesfälle in Relation vor allem auf über 80-Jährige, die nicht geimpft waren. Ähnliche Daten gab es aus Hongkong. "Wir sehen, dieses Virus kann potenziell schwere Verläufe machen und wir sehen einen leicht nachlassenden Impfschutz insbesondere bei den Älteren, die das höchste Risiko tragen", sagt Sander, insofern sei die Stiko-Empfehlung, zunächst die Risikogruppen zu versorgen, nachvollziehbar.

Was aber bedeutet die Impfempfehlung für jene, die sich die vierte Dosis bereits im Frühjahr geholt haben und bei denen aufgrund ihres Alters der Antikörper-Spiegel schneller wieder absinkt als bei Jüngeren? "Die Sorge ist berechtigt", sagt Sander. "Um das Antikörper-Niveau wieder anzuheben, wird wahrscheinlich eine weitere Impfung notwendig sein."

Sander: Impfstoff-Updates werden keine Gamechanger

Langfristig kann es seiner Ansicht nach aber nicht das Ziel sein, die breite Bevölkerung immer wieder nachzuimpfen. Eine Lösung für dieses Problem ist bislang nicht gefunden. Auch nicht mit den für den Herbst angekündigten Impfstoff-Updates. "Die an die BA.1-Variante angepassten Impfstoffe werden einen kleinen zusätzlichen Nutzen bringen, aber das wird meines Erachtens nicht der Gamechanger", sag Sander. Ein klinisches Entwicklungsprogramm werde immer der viralen Evolution hinterherhängen. Das sei allein den langwierigen Zulassungskriterien geschuldet.

Lebendimpfstoff: Gute Ergebnisse im Hamstermodell

Mehr Hoffnung setzt der Forscher in die Entwicklung von Impfstoffen, die zum Beispiel in Form eines Nasensprays auf die Schleimhaut verabreicht werden könnten. So haben Forscher des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin, der Charité und der FU Berlin im Tiermodell mit der Vorstufe eines sogenannten Lebendimpfstoffs gute Ergebnisse erzielt. Dabei wurde das ursprüngliche Sars-CoV-2-Virus im Erbgut so verändert, dass es seine krankmachenden Eigenschaften verliert und sich nur noch schwer vermehren kann. Trotzdem war es in der Lage, im Modell die Atemwege von Hamstern zu infizieren und eine sehr starke Immunantwort auszulösen.

"Diese Arbeit ist noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Aber es ist ein vielversprechender Ansatz dafür, dass die Applikation eines Impfstoffs über die Atemwege zu einem sehr guten Schutz nicht nur vor einem schweren Erkrankungsverlauf, sondern auch vor einer Infektion führen kann", urteilt Sander.

Impfung als Nasenspray wäre "niedrige Schwelle"

Ein weiterer Vorteil: die Verabreichung wäre viel einfacher als bei einer Injektion und es würde pro Dosis auch weniger Impfstoff benötigt. Eine chinesische Gruppe von Wissenschaftlern verfolgt einen ähnlichen Ansatz, wählt als "Taxi" für den Transport der Virus-DNA in den Körper aber einen Vektorimpfstoff. In diesem Fall soll ein für den Menschen harmloses Adenovirus den künstlich hergestellten Bauplan für das Spike-Protein des Coronavirus einschleusen, damit es in den menschlichen Zellen die Produktion von Antikörpern anstupsen kann. Der Impfstoff wurde Probanden per Inhalation verabreicht, die vorher zweimal mit CoronaVac, einem inaktivierten Vakzin, geimpft worden waren. Laut Sander bildeten die Probanden sehr starke Impfantworten aus.

"Wenn wir Vektorimpfstoffe oder Lebendimpfstoffe als Nasenspray oder inhalativ geben könnten, ist das eine sehr niedrige Schwelle", sagt Sander. Er gehe davon aus, dass mit diesem Konzept über eine gewisse Zeit auch ein Infektions- und Übertragungsschutz erreicht werden könnte. Lebendimpfstoffe, wie sie beispielsweise auch gegen Masern, Mumps oder Röteln eingesetzt werden, lösen erfahrungsgemäß sehr langlebige und sehr gute Immunantworten aus. Das Problem: Sie dürfen bei Schwangeren und Menschen mit Immunschwäche nicht angewendet werden, weil die Gefahr besteht, dass sich das abgeschwächte Virus möglicherweise doch zu stark vermehren und zu Krankheiten führen könnte.

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Kein lebenslanger Schutz gegen Coronaviren

Einen lebenslangen Schutz werden aber auch Corona- Impfungen, die direkt auf die Schleimhaut gegeben werden, nicht bieten können. "Wir wissen, dass Antikörperantworten auf den Schleimhäuten nicht lange bestehen bleiben. Wenn das Coronavirus eine Weile nicht da war, ziehen sich auch dort die Antikörperantworten wieder zurück. Und wenn es nach einem Jahr wieder zurückkommt, ist man leider auch wieder empfänglich dafür. Das ist bei Atemwegserregern häufiger so", sagt Sander.

Vektorimpfstoffe zu Nasenspray "umbauen" als Ausweg?

Bis zur möglichen Marktreife eines Lebendimpfstoffs, der auf die Schleimhaut aufgetragen werden kann, werden wahrscheinlich ohnehin noch einige Jahre ins Land gehen.

Sander hält daher eine andere Strategie in kürzerer Zeit für vielversprechender: Existierende Impfstoffe (vor allem Vektorimpfstoffe) könnten seiner Ansicht nach so umfunktioniert werden, dass man sie als Nasenspray geben kann. "Man hätte im Grunde einen Ausweg, wenn man in einer drohenden Infektionswelle allen Menschen ab einem gewissen Alter so ein Nasenspray zur Verfügung stellen könnte. Dann hätte man wieder einen Schutz für drei Monate und eine Strategie, die nicht immer über Kontaktbeschränkungen und andere einschneidende Maßnahmen gehen müsste."

Im Herbst kommen wohl wieder Maßnahmen und Impfungen

Für diesen Herbst ist dieser Weg allerdings noch keine Option. Sander geht davon aus, dass Impfungen und andere Maßnahmen spätestens im Oktober wieder relevant werden - abhängig von den Varianten, die dann möglicherweise im Umlauf sind. Zwar bietet bereits eine Dreifachimpfung den allermeisten mit einem gesunden Immunsystem einen relativ sicheren Schutz vor schwerer Erkrankung und Tod. Eine breitere Impfkampagne könnte sich jedoch unmittelbar auf die Infektionszahlen und mögliche Krankenhauseinweisungen auswirken.

Israel boosterte sich aus Deltawelle

Ein solcher Effekt zeigte sich bereits, als sich Israel mit der dritten Impfung quasi aus der Deltawelle herausboosterte. Ähnlich könnte es jetzt mit einer vierten Impfung im Herbst funktionieren, sollte sich dann tatsächlich eine weitere Welle aufbauen. "Wenn wir gezielt eine Impfkampagne machen in eine beginnende Infektionswelle, die möglicherweise auch droht, die Gesellschaft wieder sehr stark zu belasten, dann hat das einen sehr, sehr großen Nutzen - für den Einzelnen, aber auch zum Schutz für die kritische Infrastruktur." Eine Einschränkung macht Sander jedoch: "Auch diese zusätzliche Impfung wird keinen ewigen kompletten Schutz bieten."

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 21.06.2022 | 12:00 Uhr

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