Kommentar: Bahnstreik ein rücksichtsloser Egotrip
Der Lokführerstreik bei der Deutschen Bahn hat viele Pendlerinnen und Pendler in dieser Woche kalt erwischt. Dieser Tarifstreit trifft zu viele unbeteiligte Menschen, meint Oliver Wutke in seinem Kommentar.
Eines vorneweg: Ich halte die Forderungen der Lokführergewerkschaft GdL für berechtigt - und nicht für überzogen! Und ich kann den Ärger von Beschäftigten über das Bahn-Management verstehen. Boni für die Chefs trotz Milliardenverlusten in der Krise: Das ist ein völlig falsches Signal.
Vier Gründe gegen den Streik
Trotzdem finde ich, dieser Bahnstreik ist ein ziemlich rücksichtsloser Egotrip auf dem Rücken der Allgemeinheit! Das hat vier Gründe: Erstens der Zeitpunkt. Für anderthalb Jahre lag Corona wie erstickender Mehltau über dem Land. Jetzt können Menschen und Wirtschaft gerade wieder durchatmen. Wir können Sommerferien genießen. Die Produktion läuft wieder. Und genau in diesem Moment legen ein paar Lokführer das wichtigste Massenverkehrsmittel des Landes lahm, behindern mitten in der Urlaubszeit Reisepläne und Lieferketten.
Gegenteil von Pandemie-Bekämpfung
Zweitens die Infektionsgefahr. Völlig überfüllte Pendlerzüge sind das genaue Gegenteil von Pandemie-Bekämpfung. Drittens das Streikmotiv. Gewerkschaft und Bahnkonzern liegen in der Sache gar nicht so weit auseinander. Dass dieser Tarifstreit seit Monaten so unversöhnlich geführt wird, hat noch einen anderen Grund: Die kleine und durchsetzungsstarke Spartengewerkschaft GdL kämpft ums Überleben und braucht dringend mehr Mitglieder und Einfluss im Konzern.
Fatales Signal: Verlass nur auf das eigene Auto
Und viertens die Folgewirkung. Schon durch die Pandemie hat die Bahn viele Kundinnen und Kunden verloren und muss sie mühsam zurückgewinnen. Jetzt erweist sie sich auch noch als streikgeplagt und unzuverlässig. Das fatale Signal: Verlass ist am Ende nur auf das eigene Auto. So wird das nichts mit der Verkehrswende!
Unmut bei Pendelnden
Für uns hier in Hamburg ist das vielleicht sogar der wichtigste Punkt. Die Stadt erstickt in Staus. Der ganze Süderelberaum ist seit Wochen immer wieder regelrecht abgehängt - erst durch Straßenbaustellen, jetzt durch ausfallende Züge. Und neue, große Wohngebiete in Wilhelmsburg und Neugraben-Fischbek verschärfen die Lage noch. Der Unmut bei vielen Pendlerinnen und Pendlern ist immens!
Verlässliches Verkehrskonzept nötig
Es ist nicht die Aufgabe des Hamburger Senats eine allzu streikfreudige Kleingewerkschaft einzuhegen. Aber: Die Stadt braucht dringend ein verlässliches Verkehrskonzept für ihre Randgebiete. Schicke neue Radschnellwege reichen nicht! Wie wär's zum Beispiel mit der U-Bahnverlängerung nach Wilhelmsburg und Harburg? Ja, das wird teuer. Und es kommt nicht über Nacht. Aber es ist allerhöchste Eisenbahn, damit anzufangen.
