neue musik

Fluid Identity - Olga Neuwirth

Dienstag, 14. Juni 2022, 21:00 bis 22:00 Uhr

Ihre Kindheit öffnete ihr "einen Fantasieraum, den man einfach erschlossen hat und das ist wunderbar!" schwärmt Olga Neuwirth. Sie ist 1968 in Graz geboren. Der Vater war Jazzpianist, die Mutter verkehrte in Schriftstellerkreisen der Wiener Gruppe.

Komponistin Olga Neuwirth © picture alliance/dpa/Universal | Universal Foto: picture alliance/dpa/Universal | Universal
Olga Neuwirth ist Professorin für Komposition an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien.
Vom Blitz getroffen

Mit ihren Werken hebt Olga Neuwirth vermeintlich verbindliche Gesetze der Tradition aus den Angeln und hat so - für ihre Generation und die Komponierenden nach ihr -genreübergreifende neue Spielräume geöffnet. Ihre Arbeitsbedingungen definiert sie unmissverständlich: "Ich brauch einen großen Raum, in dem ich wühlen kann, und manchmal wird er auch von Wut bestimmt. Wut über politisch-soziale Probleme, die habe ich, seit ich eine Jugendliche war, weil ich immer schon viel gelesen hab und mich über sozialpolitische Probleme auch sehr aufregen kann. Es ist ein Teil von mir und deshalb ist das auch ein Teil meiner Kunst."

Elfriede Jelinek prägte Olga Neuwirth

Eine Begegnung als Schülerin mit Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek bei einem Komponierkurs sei prägend für ihre Karriere gewesen. "Als Jelinek für diese Workshops mit Hans Werner Henze in dieses Kaff in der Südsteiermark kam, hab ich natürlich ihre Bücher gelesen. Und für mich war das einfach, wie wenn man vom Blitz getroffen wird, weil man sagt: das ist genau das, was mich interessiert." Mit Elfriede Jelinek verbindet sie mittlerweile eine kämpferische Künstlerfreundschaft.

Und der volle wilde Wohlklang der Musik von Hans Werner Henze und seine überbordende, ins Surreale wuchernde Fantasie haben sie so begeistert, dass sie viele Handwerke beherrschen wollte: sie studierte Komponieren, Film und Malerei in San Francisco, Elektronik am Pariser IRCAM und in Wien. Sie komponiert, fotografiert, malt, schreibt Bücher, experimentiert und forscht.

Harte Schnitte und akustische Überfälle

Ihre musikalische Palette bestückt sie für jedes Werk neu. In "Orlando" nach einem Roman von Virginia Wolff, findet Olga Neuwirth androgyne Klänge für die zentrale Transgender-Figur. Sie übermalt dabei musikalische Welten und nutzt Quellen aus barocker Cembalomusik bis zur Countertenor-Pop-Ikone Klaus Nomi, von Gustav Mahler bis Disco, von Henry Purcell bis Freddy Mercury. Dazwischen setzt sie mit harten Schnitten Punk und Vogelgezwitscher. Mit übermächtigen raumgreifenden Filmen und zum Teil lautstarken akustischen Überfällen schafft Olga Neuwirth Abenteuer für die Konzertsäle - so in "The Outcast" nach Herman Melvilles Moby Dick - einem packenden Melodram gegen Intoleranz und Hass.

Akustisches Labyrinth Venedig

Die zentrale akustische Blaupause für ihre sehr eigene, packende kunstvolle Art der musikalischen Verführungen ist Venedig. "Die Glocken, die läuten immer, und das Phänomen, wenn man geht und sie kommen aus einer anderen Richtung und verändern sich, je näher man an die Quelle kommt, das sind rein akustische Phänomene, die mich immer unglaublich fasziniert haben an dieser Stadt Venedig. Und Glocken, die waren ja damals ein Kommunikationsmittel, wie heute Twitter." Olga Neuwirths Markenzeichen ist das Unberechenbare. Sie selbst liebt diese Verwandlungen, ihre "Fluid Identity" und "Liquid Architecture": "Es geht bei mir immer um dieses ständige Zerfallen, nichts ist fix."

Nobelpreis der Musik

Am 2. Juni bekommt Olga Neuwirth im Münchner Prinzregententheater den Ernst von Siemens Musikpreis, der "Nobelpreis der Musik", der mit 250.000€ dotiert ist. Das Ensemble Intercontemporain spielt unter der Leitung von Matthias Pintscher, die Laudatio hält die österreichische Autorin Raphaela Edelbauer.

Eine Sendung von Margarete Zander.

 

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Neben einem Schallplattenspieler liegen Kopfhörer. © Photocase Foto: cosendolas

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Die Sendung informiert über aktuelle Trends und Renaissancen in der zeitgenössischen Musik, präsentiert Komponistenporträts, Festivalberichte, CD-Tipps und mehr. mehr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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