NachGedacht: Das funkelnde Fähigkeits-Feuerwerk
Neue Situationen erfordern neue Worte. Der vergangene Wahlsonntag hat einen besonders interessanten Begriff hervorgebracht. Alexander Solloch erweist sich als sprechfähig.
Heute waren die Müllwerker in Hannover besonders müllwerkfähig: Durch welche von asphaltierfähigen Straßenbauarbeitern gebaute Nebenstraße man auch fuhr, der Müllwagen war schon da und versperrte einem den Weg. Dieser Stillstand war auch ganz schön, da konnte man mal in Ruhe zur Brötchentüte auf dem Beifahrersitz greifen und denken (sofern man schon denkfähig war): "Wie backfähig sich der Bäcker heute wieder gebärdet!"
Das Ringen um Sprechfähigkeit
Angesichts dieses funkelnden Fähigkeits-Feuerwerks wollen die Parteien nun so langsam auch keine Frösche mehr sein: Die einen versichern mit verschwenderischer Insistenz, sie seien ja schon längst "sprechfähig", die anderen sagen die Erlangung einer "Sprechfähigkeit" immerhin für dieses Wochenende zu. Die Zeit sollen sie sich auch bitte nehmen, um zu verinnerlichen, dass "sprechfähig" noch nicht der ist, der über Redefähigkeit verfügt. Die war ja schon am Sonntagabend im Übermaß vorhanden. Da zeigte sich, was passiert, wenn man sich in zu kurzer Zeit zu viele Gerhard Schröder-Horrorfilme reinpfeift: Markus Söder etwa stellte eine eindeutige "Klatsche" für Olaf Scholz fest, da der keine Regierung mit der Linkspartei bilden könne. In diesem Moment wurde Scholz klar, dass sein Traum vom Klassenkampf geplatzt war. Das vorher von den Systemkoordinatoren des Willy-Brandt-Hauses nicht programmierte Zucken in Scholzens linkem Mundwinkel zeigte an, dass sein Ringen um Sprechfähigkeit noch ein paar Tage länger dauern könnte.
Anfängliches Entsetzen weicht heller Freude
Soll es ruhig, das ist alles nicht schlimm. Das Publikum kann durchaus noch ein bisschen warten - und so langsam anfangen, sich zu freuen. Denn ist es nicht so? Das anfängliche Entsetzen über das Wahlergebnis, von dem man zunächst gar nicht wusste, was es bedeuten und worauf es hinauslaufen könnte, weicht doch allmählich heller Freude. Müsste man nicht sogar die "Weisheit des Wählers" rühmen? Das schien so ein bodenlos blöder Spruch satter Wahlgewinner zu sein, die ihre knapp 41 Prozent abgeräumt hatten und sich auf ihren Triumph noch die nötigen sechs Prozent FDP häuften, auf dass das immer so weiter, immer so weitergehe. Wenn solche Langeweile das Ergebnis war, das eine atomisierte Stimmvolkmasse zustande gebracht hatte - wie konnte man da von der "Weisheit des Wählers" sprechen?
Lasst uns unsere Feierfähigkeit entdecken!
Noch immer ist es auf dem Grunde tiefster Rationalität unsinnig, den 46 Millionen Einzelentscheidungen deutscher Wählerinnen und Wähler just eine Weisheit zuzusprechen. Und dennoch! Bevor wir uns gleich alle wieder in unsere zeitgemäßen Verkarstungen eingraben, dürfen wir uns ganz kurz alle miteinander liebevoll anlächeln und sagen: gut gemacht! Alles, was jetzt passiert, muss in der erhabensten aller menschlichen Disziplinen ausgehandelt werden: im Gespräch, einem Gespräch, aus dem man als anderer Mensch hinausgeht, als man hineingegangen ist, weil es eben keinem Drehbuch folgt. Wenn drei bis vier Parteien einander beschnuppern, um festzustellen, wer wie riecht und überhaupt: zu welch aufreizend feinen Differenzierungen die Nase in der Lage ist, lässt man sie nur mal - unverstopft von Vorurteilen - frei agieren, dann steckt die Demokratie gerade nicht in ihrer allerschlechtesten Phase.
Sprechfähig wird die Politik und riechfähig. Lasst uns unsere Feierfähigkeit entdecken!
Schlagwörter zu diesem Artikel
Bundestagswahl
