NachGedacht: Europäische Union - Ein Apparat im Selbstverteidigungsmodus
Korruption, Lobbyismus, undurchsichtige Machenschaften in Brüssel. Die Europäische Union ringt um ihr Image. Taumelt die europäische Idee? Das fragt sich, aus gegebenem Anlass, Claudia Christophersen.
Es ist nicht zu fassen: Säcke voller Geld, was für eine Formulierung und was für eine Vorstellung. Dagobert Duck, der Entenhausen-Kapitalist, hätte seine Freude gehabt.
Wohnungsdurchsuchung der griechischen Abgeordneten Eva Kaili
Schauplatz Brüssel: Jung, schön, erfolgreich. Eva Kaili, Vizepräsidentin des EU-Parlaments, griechische Abgeordnete. Die belgische Polizei hatte in ihrer Wohnung Taschen oder eben Säcke voller Geld, rund 150.000 Euro, gefunden. Brüssel also als Hort von undurchsichtigen Machenschaften, Korruption, Geldwäsche.
Geld hängt immer mit einer Gegenleistung, einem Gegenwert zusammen. Katar soll gezahlt haben, um Einfluss auf Entscheidungen in Europas Politik zu nehmen. Kaili und ihre Mitstreiter hatten, das war wohl aufgefallen, seltsam anmutende Reden über den Wüstenstaat Katar geschwungen, das aus vielerlei Gründen umstrittene Land, in dem die Welt sich gerade zum Fußballspielen trifft. Inzwischen ist Kaili festgenommen, sitzt in Untersuchungshaft, ist all ihrer Ämter enthoben, wurde in Turbo-Geschwindigkeit vom EU-Parlament als Vizepräsidentin abgesetzt.
Brüssel: Beliebtes Sujet für Romanautor Robert Menasse
Die schöne griechische Hochglanzpolitikerin - sie ist Geschichte. Eine gelungene Steilvorlage für Populisten und Europaskeptiker. Und ausreichend Stoff für schonungslose Romane. So einen schrieb schon 2017 Robert Menasse: "Die Hauptstadt". Damit wirbelte der Österreicher durch die Feuilletons und erhielt schließlich hochbejubelt den Deutschen Buchpreis. Der launige Österreicher zieht darin alle Register, beschreibt Kuriositäten eines Büro- und Verwaltungsapparates, der als zweifelhaft in Verruf geraten ist. Irgendetwas stimmt in der belgischen Hauptstadt nicht.
Sinnbild dafür wird im Roman ein Schwein, das plötzlich da ist, durch die Straßen rennt und alle in Aufregung versetzt. Auch bei Menasse ist eine Griechin Protagonistin des Geschehens: Fenia Xenopoulou, Beamtin in der Generaldirektion Kultur. Sie wird mit der Aufgabe betraut, den Ruf ihrer Behörde aufzupolieren. Es werden Ideen entwickelt, die Geschichte verzweigt sich in viele kleine Verästelungen, Unschönes kommt zutage, das am Ende besser vergessen, vertuscht, verschleiert wird. Soweit der Roman von Robert Menasse.
Korruption ist Gift für die Demokratie
Im echten Brüssel sind Fassungslosigkeit, Empörung und Schock groß. Katarina Barley, ebenfalls wie gerade noch Kaili, Vizepräsidentin, formulierte den weisen Satz: Korruption ist Gift für die Demokratie. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, half nicht nur mit bewertenden Statements, sondern schaute in ihren Werkzeugkoffer, zog das Instrument heraus, zu dem Menschen greifen, wenn sie nicht mehr so richtig weiterwissen, aber noch Tatkraft zeigen möchten: Man gründet eine Arbeitsgruppe.
Die Arbeitsgruppe, die Ursula von der Leyen vorschwebt, nennt sich Ethikgremium. Ihr sei es eben wichtig, klare Regeln, klare Standards zu haben und überall gleiche Kontrollmechanismen. Was das wiederum im Klartext heißt, könnten vielleicht dann doch erst einmal Arbeitsgruppen erkunden.
Robert Menasse hat übrigens kürzlich wieder einen Polit-Roman geschrieben: "Die Erweiterung". Wieder geht es um Europa, dieses Mal mit Fokus auf die westlichen Balkanstaaten und ihren Wunsch, der EU beitreten zu wollen. Natürlich alles fiktiv, aber doch merkwürdig zum Greifen real.