Ulrich Kühn © NDR Foto: Christian Spielmann

NachGedacht: Ein Glück, dass es (noch) Kinder gibt

Stand: 26.05.2023 09:04 Uhr

Kinder scheinen nicht mehr so willkommen zu sein wie früher. Oder ist das ein Vorurteil? Leider offenbar nicht. Die Gründe sind teils befremdlich, findet Ulrich Kühn.

von Ulrich Kühn

Kürzlich habe ich hier ein Loblied auf alte Männer gesungen. Bin ich damit für immer durchschaut? Nein, der Mensch ist nicht so fixiert, wie es immer wirkt in unseren überhitzten Debatten, die Evolution hat ihn interessanter bestückt. Sein Herz zum Beispiel: Mal pumpt es gelassen, mal rast es im Kreis, immer aber ist es groß. Im menschlichen Herzen ist Platz für viele.

Nutzungsmöglichkeiten des Herzens

Im Prinzip jedenfalls. Sie kennen das von Ihrem Keller, man kann ihn unterschiedlich nutzen: Man stellt ihn mit Gerümpel voll oder nur einer Sorte Kram. Man kann ihn auch leer stehen lassen. Oder man macht eine Kammer für die schönsten Schätze daraus. Mit dem Herzen exakt dasselbe: Eines läuft über von Emotionskrempel, ins nächste wird nur eine Sorte Liebling gepackt. Manche haben ein Herz so leer, dass es schon kein Herz mehr ist. Und anderen ist das Herz der Raum für ihre besten Schätze, inklusive freche Frätze. Letztgenannter Fall wird seltener.

In einem clever genutzten Herzen dürfte ja Platz für Kinder sein. Falls man es denn möchte. Stattdessen fragen manche, wie enorm die Kohlendioxid-Belastung durch den frischen kleinen Menschen anwachsen würde. Es lässt sich beziffern: 60 Tonnen pro Kind, schwedische Wissenschaftler haben es ermittelt. Im Lande Pippi Langstrumpfs wird jetzt mit solchen Zahlen herumgeschmissen.

Gewollte Kinderlosigkeit

Kein Grund für Hochmut unter Deutschen. Die "Vermächtnis-Studie" bringt es an den Tag: Kinder sind den Deutschen nicht mehr so wichtig. Für die Studie teilten 4.200 Menschen mit, was sie sich für sich und die Gesellschaft wünschen. Und siehe da, während vor acht Jahren die Bedeutung eigener Kinder auf einer Skala von 1 bis 7 noch eine hübsche 6 erreichte, liegt der Wert jetzt bei 4,8. Das klingt wie Ranking-Unfug, aber die "Zeit", mitverantwortlich für die "Vermächtnis-Studie", hat diese Zahlen veröffentlicht, und wenn man sie auf dem Handy nachliest, bekommt man einen Link angeboten zu einem anderen "Zeit"-Artikel.

Er handelt von gewollter Kinderlosigkeit - unter dem sympathischen Titel: "Kinder kriegst du ja nicht mehr weg". Stimmt, wenn sie da sind, bleiben sie, Kinder legen einen fest, und das schränkt Optionen ein. Der Artikel handelt im Kern davon, dass Frauen, die keine Kinder haben möchten, sehr wohl glücklich und erfüllt leben können. Warum sollte man es nicht glauben? Warum auch die Freiheit infrage stellen, sich gegen Kinder zu entscheiden? Das ist aber noch etwas anderes als eine Kosten-Nutzen-Rechnung für den Planeten anhand des zu erwartenden CO2-Ausstoßes.

Kinder sind Glück, keine Klimaschädlinge

Ein weiterer Artikel erzählt dann von einem, der sich den Samenleiter durchtrennen ließ, weil er das Klima retten will, indem er keine Kinder zeugt. Es kommt allerdings noch hinzu, dass ihm Kindergeburtstage lästig sind. Fleisch isst er auch, und er fliegt ab und zu. Das liest sich aufs Ganze leicht irritierend, als wäre der Keller des Herzens zuletzt doch fürs eigene Ich reserviert.

Ich finde ja, dass Kinder keine Klimaschädlinge sind, so wenig wie Alte per se Querulanten. Wer sie für Spaßbremsen halten will, schön, dann aber bitte kein Klima vorschützen. Und da ist noch eine Statistik, irgendwie schaurig-schräg: 1,58 Kinder pro Frau im Jahr 2021. Was, bitte, sind 0,58 Kinder? Kinder sind doch kein Zahlenwerk! Es muss allerdings auch einladend sein, Kinder haben zu wollen. Es muss zum Leben passen, vor allem Frauen wünschen sich das. Da ist die Gesellschaft gefragt. Sie wird reich belohnt.

Ich war jedenfalls gerne Kind und bin bis heute gern auf der Welt, meine Mutter soll das wissen, meine Kinder erst recht, meinem Vater rufe ich's nach, der heute Geburtstag hätte. So naiv-pathetisch es klingt: Ich finde, Kinder sind ein Glück. Manchmal tut es einfach gut, naiv und pathetisch zu sein.

Weitere Informationen
Ulrich Kühn, Claudia Christophersen und Alexander Solloch. © NDR Foto: Christian Spielmann

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NachGedacht | 26.05.2023 | 10:20 Uhr

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