NDR Kultur Literaturredakteur Alexander Solloch vor einer Backsteinwand. © NDR Foto: Manuel Gehrke
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AUDIO: Die "Rutscht-mir-doch-den-Buckel-runter"-Phrase (3 Min)

NachGedacht: Die "Rutscht-mir-doch-den-Buckel-runter"-Phrase

Stand: 19.05.2023 06:00 Uhr

Wägt Eure Worte! Angeregt von den Herren Habeck und Graichen ein paar Gedanken dazu von Alexander Solloch, die zu ignorieren zweifellos ein schwerer Fehler wäre …

von Alexander Solloch

Einmal war ich aus naiver Neugier auf die Welt so doof, die kleinen Wohlfühlinseln des Netzes zu verlassen und mich mal anderswo umzuschauen, Twitter, Insta, die üblichen Meinungsforen der üblichen Nachrichtenportale. Schnell überschwemmte mich die übliche Woge des Hasses, in der man nur absaufen kann, wenn man sich nicht ganz schnell am eigenen Schopfe da wieder herauszieht. So viele Worte, die nichts wollen als die Zerstörung des anderen! Ob sie tatsächlich von Menschen stammen oder von künstlicher Blödheit, ist nicht in jedem Fall leicht zu sagen. Naja, die künstliche Blödheit beherrscht die Kommaregeln wohl besser.

Robert Habeck: Der etwas andere Politiker

Zurzeit scheint es kaum Dringenderes im Internet zu geben, als den Grünen Pest und Tod und Teufel an den Hals zu wünschen - in einem rhetorisch so gigantisch gewalttätigen Ausmaße, dass man als doch eher gewaltverachtender Mensch beinahe geneigt ist, die Grünen jetzt erst recht ein bisschen zu streicheln. Aber dann sagt die im Reflexionsstreik befindliche Außenministerin wieder einen Satz, der hinten und vorne nicht hinhaut, und der Wirtschaftsminister muss wieder darüber weinen, dass die Welt seinen oh so besonderen Politikansatz nicht begreift - und man denkt, och nö, rutscht mir doch alle mal den Buckel runter!

"Rutscht mir doch den Buckel runter!", das ist ja genau das, was uns Robert Habeck gerade mitteilt, nur eben etwas anders formuliert, er ist immerhin der etwas andere Politiker! Seinen Staatssekretär Graichen hat er - vorm letztlich doch unausweichlichen Rausschmiss - mit der Phrase zu schützen versucht, er habe "einen Fehler" gemacht, im Vertrauen darauf, dass gegen einen Fehler niemand etwas Ernsthaftes einzuwenden hat, Fehler sind menschlich, nicht wahr, jeder macht mal Fehler, und ist der Fehler nicht sogar in den Rang einer intellektuellen Hochleistung gerückt, seit es die "Fehlerkultur" gibt?

Staatssekretär Graichen: Der eine Fehler zu viel

Zerknirscht sagt Habeck nun, nachdem er ihn doch entlassen musste, Graichen habe "einen Fehler zu viel" gemacht. Nur, wie hat man sich bitte das Zustandekommen dieser Fehler vorzustellen? Herr Graichen versucht mit aller Macht, beim Stellenbesetzungsverfahren den Kandidaten durchzusetzen, der am wenigsten mit ihm verbandelt ist, hebt aber dann an der falschen Stelle den Arm, und auf einmal - so ein Mist! - ist sein Trauzeuge Chef der Staatlichen Energieagentur?

Herr Graichen will seiner Schwester zum Geburtstag nur einen Blumenstrauß schenken, aber weil sein Navi ausgefallen ist, verirrt er sich auf dem Weg in den Blumenladen ins Projektförderungsbüro des Ministeriums und unterschreibt versehentlich einen Förderantrag, der einer Umweltschutzorganisation 600.000 Euro einbringt, in deren Vorstand seine Schwester sitzt? Schlimm, was einem auch mit bestem Willen so passieren kann im Alltag; da bleibt man wirklich lieber im Bett.

Fehlerkultur oder Irreführungskultur?

Aus solchen womöglich ja doch allzu bereitwillig begangenen "Fehlern" lässt sich aber nichts lernen. Also sind es auch keine; hat sich was mit "Fehlerkultur". Was hier passiert, fällt eher in den Zuständigkeitsbereich der Irreführungskultur. Wenn Habeck von "Fehlern" spricht, sagt er tatsächlich: "Geht weg, rutscht mir den Buckel runter, ich denke nach!"

Man sollte über Fehler nicht quatschen, sondern sich mal was trauen und welche begehen - so richtig schöne Qualitätsfehler, die einen selbst erst einmal gehörig durchschütteln und verdattern - und auf diese Weise eine neue Kultur begründen, die Verdatterungskultur.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NachGedacht | 19.05.2023 | 11:20 Uhr

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