Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk © picture alliance/dpa Foto: Kay Nietfeld

"Beleidigte Leberwurst": Ukraines Botschafter Melnyk in der Kritik

Stand: 04.05.2022 16:06 Uhr

Der Ton macht die Musik. Eine Diplomatie-Diskussion hat der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk ausgelöst. Er hatte Bundeskanzler Olaf Scholz öffentlich als "beleidigte Leberwurst" bezeichnet.

von Andrea Schwyzer

Zum Hintergrund: Olaf Scholz hat entschieden, vorerst nicht nach Kiew zu reisen, weil Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zuvor von seinem geplanten Ukraine-Besuch ausgeladen wurde. Unter diesen Umständen wolle Scholz nicht nach Kiew fahren. Botschafter Melnyk kommentierte diese Entscheidung gegenüber der dpa mit den Worten: "Eine beleidigte Leberwurst zu spielen, klingt nicht sehr staatsmännisch." Die Reaktionen folgten prompt.

"Frechheit" Scholz als beleidigte Leberwurst zu bezeichnen

Er sei ein Lautsprecher, einer, der mit Worten kämpft. Der "undiplomatischste Diplomat", ein "Lobbyist". Kritiker und Medien finden viele Bezeichnungen für den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk. Dass er Bundeskanzler Olaf Scholz als "beleidigte Leberwurst" abstempelte, empfinden manche als "Dreistigkeit", "Frechheit" oder "Unverschämtheit". Es sind Worte, die in Kommentarspalten und auf Twitter zu lesen sind, die sich aber auch mit der Meinung vieler Politikerinnen und Politiker decken. Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse bezeichnete Melnyks Äußerung als "befremdlich", Johann Wadephul, stellvertretender Unionsfraktionschef sagte dazu "unangemessen" und der Linken-Außenpolitiker Gregor Gysi "indiskutabel". Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki verteidigte den Bundeskanzler mit den Worten: "Olaf Scholz ist keine Wurst, er ist der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland". Und auch aus der Ukraine selbst kommen kritische Töne: Wladimir Klitschko schrieb auf Twitter, die "undiplomatischen Äußerungen" Melnyks hätten Öl ins Feuer gegossen.

Fürsprache für den ukrainischen Botschafter

Der ukrainische Botschafter erhält aber auch Fürsprache - zum Beispiel von Christine Althauser, bis 2021 deutsche Generalkonsulin in Schanghai und davor Botschafterin in Nordmazedonien. Sie sagte dem ZDF: "Die Ukraine lebt spätestens seit dem 24. Februar in einem unvorstellbaren Alptraum. Putin hat das Schachbrett der internationalen Ordnung umgeworfen. Dass sich in so einer Situation die Tonlage etwa des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk verändert, finde ich verständlich." Klartext sei angebracht, so Althauser. Immerhin befinde sich die Ostukraine seit 2014 im Krieg mit Russland. Melnyks Auftreten wertet sie deshalb als "Jetzt hört uns endlich mal zu!"

Schwindet die Solidarität mit der Ukraine?

Auch die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann versucht sich in die Lage von Andrij Melnyk hineinzuversetzen. Auf NDR Info sagte sie: "Die große Sorge von ihm - ich habe mich auch mit ihm häufig darüber unterhalten - man könnte nicht mehr hinschauen, man könnte vergessen, wenn der Krieg länger geht, dass man dann irgendwann hier in Europa und auch in Deutschland 'Business as usual' macht und deswegen tritt er so auf." Was aber möglicherweise kontraproduktiv ist: Die Gefahr besteht, dass die Solidarität mit der Ukraine in der deutschen Bevölkerung schwindet, angesichts solcher Polemik, erklärt Strack-Zimmermann. "Ich habe das dem Botschafter mal in einem Spiegel-Interview gesagt, dass ich befürchte, dass man nachher mehr über ihn und seine Wortwahl spricht, als über seine Inhalte. Die Gefahr besteht. Aber wir täten gut daran, mit der deutschen Nabelschau aufzuhören und uns den wichtigen Dingen zu widmen: Dem Krieg und mit welchen Maßnahmen wir ihn beenden können." Nichtsdestotrotz: Wenige Stunden nach dem verbalen Angriff von Botschafter Melnyk landete das Stichwort Leberwurst bei Twitter auf Platz 1 der Trend-Themen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 04.05.2022 | 17:15 Uhr

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