Barbara Vinken im Portrait © picture alliance / dpa | Horst Galuschka

Was sagt Mode über unsere Gesellschaft aus?

Stand: 30.07.2022 06:00 Uhr

Die "New York Times" hat vor ein paar Jahren das "Zeitalter des Hässlichen" in der Mode ausgerufen. Was sagt diese Ästhetik der Mode über uns und unsere Gesellschaft aus?

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von Barbara Vinken

Häufig wird beklagt, dass sich die meisten Leute nicht mehr anziehen und folglich nicht angezogen sind. Dass wir, gleichgültig gegen den Blick der anderen, nur noch unsere eigene Bequemlichkeit, die strikteste Funktion unserer Kleider im Blick haben. Mit einem ästhetisch, sagen wir vorsichtig, nicht gerade überwältigenden Ergebnis: Nur noch wenige wissen (oder vielleicht sollte man sagen, nur noch wenige interessiert), was gut geschnitten ist und sitzt. Sweatshirts, Jogginghosen, Leggings, Turnschuhe sind zur nicht unbedingt schmeichelnden Norm geworden. Das gibt unseren Städten oft einen ziemlich deprimierenden Anstrich. Generalstabsmäßig für Wind, Wetter und Extremtemperaturen ausgerüstet, bewegen wir uns durch die Welt. In der Großstadt tun wir mitten in der Zivilisation so, als wären wir im Fitnessstudio oder unterwegs in der wilden Wüste oder auf gefahrvoller Polarexpedition. Die anderen, die Passanten, haben wir dabei völlig aus dem Blick verloren.

Die Revolution der Kleider

Aber: Ist die pure Funktionalität, die reine Bequemlichkeit, die so unübersehbar aus unseren Kleidern spricht, weniger ein funktionaler als paradoxerweise ein ästhetischer Sprechakt? Ostentativ sagen wir den anderen, dass wir keinen Wert darauf legen zu gefallen. Dass wir das nicht nötig haben.

Dieser Sprechakt hat Tradition. Er kommt mit der Moderne, die ich hier einmal um die Französische Revolution herum beginnen lasse, in Mode. Wie alles, so hat diese Revolution auch die Kleider revolutioniert. Trennten diese davor die Stände, so trennten sie danach die Geschlechter. Der moderne Mensch, und das war jetzt ein Mann, wollte modisch nie sein. Sein Stil liegt darin, jeden Stilwillen abzulehnen. Der moderne Mann zeigt mit seinen Kleidern, dass er Wichtigeres zu tun hat, als seine Gedanken auf das zu verschwenden, was er trägt. Ein Geistesmensch, wie Nietzsche sagte. Oder doch jemand, der wie ein Geistesmensch aussehen will.  Jemand, der nicht durch Farben und Federn, Samt und Seide - kurz, durch die Blume oder andere Ornamente spricht -, sondern schnörkellos nichts als sich selbst ausdrückt. Ein Stil, dessen Stilsicherheit darin liegt, sich zum Verschwinden zu bringen, nicht ins Auge zu fallen.

Der Anzug kommt in Mode

Das Kleidungsstück, das zum Inbegriff der Moderne und zum internationalen Erfolgsschlager wurde, weil es nichts als den Charakterkopf unterstreicht, war der Anzug. Der Anzug stellt Geist gegen Körper. Die Kunst der modernen Kleidung liegt darin, übersehbar zu werden, um die Persönlichkeit zu unterstreichen. Klar zu machen, dass es nicht auf den Schein - die schöne Oberfläche, die Kleider - sondern auf das Sein ankommt.

Der den Körper verdeckende Anzug setzt den Bürger damit vom waffentragenden, adeligen Mann ab. Der nämlich, sicher kein Geistesmensch, stellt in seinen Kleidern vor allen Dingen einen so fähigen wie schönen Körper aus, der geschmückt, verziert, ins rechte Licht gesetzt wird. Im bürgerlichen Zeitalter rückt nur noch die Frauenmode den Körper mehr oder weniger gekonnt ins Licht - und das dann auch nicht zum puren Vergnügen, sondern für den Heirats- oder Sexmarkt, auf dem es zur Sache geht. Mit dem bürgerlichen Zeitalter ist Frauenmode auch bisweilen als Hurenmode verschrien gewesen.

Die große männliche Entsagung

Der britische Psychoanalytiker John Carl Flügel hat den Anzug nicht so enthusiastisch wie Nietzsche begrüßt und den Umbruch, den die Französische Revolution in der Kleiderordnung mit sich brachte, witzig in einem Bonmot gefasst. Die große französische Revolution, die Great French Revolution führt zur großen männlichen Entsagung - the great male renunciation. Bis zur Revolution waren die Männer das schönere, das herausgeputztere, das prunkendere Geschlecht. Männer, Aristokraten, zeigten in ihren Kleidern Körper, nicht den verarbeiteten und vernutzten Körper der Bauern und Landarbeiter, sondern einen Körper, der zeugen, tanzen, fechten, reiten, jagen, laufen, Ball spielen und vor allen Dingen die Waffen führen kann. Ungehemmt zeigte man, was man hatte - und oft mehr, als man hatte. Man ließ den phallischen, mit Waffen ausgestatteten Körper durch seine Kleider, over-sexed und over-dressed, unmissverständlich sprechen. Kleider schmückten und feierten diesen Körper - und halfen bei der Formgebung durchaus nach. Das Korsett machte die Taille auch der Männer schlanker, die Schamkapsel unterstrich das Hervorragende des männlichen Geschlechtes, seine Gutbestücktheit. Zur Produktion dieses Körpers waren also Ballettmeister wie Schneider nötig.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Gedanken zur Zeit | 30.07.2022 | 13:00 Uhr

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