i,Slam: Gesellschaftskritik in Versform
Fromm, gewaltbereit, unterdrückt: Viel wird über muslimische Jugendliche geschrieben und gesprochen - zumeist negativ. Immer öfter melden sie sich selbst zu Wort. Die Gruppe "i,Slam" aus Berlin zum Beispiel bietet jungen Muslimen eine Bühne. In der Tradition des amerikanischen Poetry-Slam, einer Art Dichterwettkampf.
Leila, 24, studiert Jura an der Freien Universität und ist Mitbegründerin von "i,Slam" - einer Gruppe junger Muslime aus Berlin, die es vor fünf Jahren leid waren, dass Politiker und Medien immer über Muslime redeten, aber selten wirklich mit ihnen. Seitdem stellen sie sich auf die Bühne und verschaffen sich Gehör, mit Poetry-Slam.
Poetry-Slams sind literarische Wettbewerbe, bei denen man selbst verfasste Beiträge vorträgt. Dabei werden die Texte nicht einfach gelesen, sondern performt, also mit Stimme und Rhythmus vorgetragen. Das hinterlässt nicht nur bei den Zuschauern Eindruck. "Wenn man in bestimmten Strukturen aufwächst, in denen es nicht einfach ist, ein gesundes Selbstbewusstsein, eine gesunde Identität zu entwickeln, dann hinterlässt das Spuren, bis ins Erwachsenenalter hinein", erzählt Leila. "Und 'i,Slam' hat mein Selbstbewusstsein auf eine ganz andere Ebene gehoben und auch meine Identität gestärkt. Man ist dann auch nicht alleine und merkt: Krass, das sind ganz viele, die dieselben Erfahrungen teilen wie du."
Auch außerhalb Deutschlands erfolgreich
Seit der Gründung vor fünf Jahren ist viel passiert. "i,Slam" betreut mittlerweile mehr als 70 Künstlerinnen und Künstler. Und sie sind erfolgreich, werden so oft für Auftritte und Kooperationen angefragt, dass sie kaum hinterherkommen. Auch in die USA und nach Tunesien wurden sie schon eingeladen. Es gibt lokale Gruppen in Frankfurt und München und seit Anfang des Jahres eigene Räume in Berlin-Mitte: ein kreativer Rückzugsort, offen für jeden und alle Kunstformen, erklärt Mitbegründer Youssef Adlah: "Es ist wichtig, dass es 'safe places' gibt, wo Leute, die Opfer sind von Diskriminierung, Rassismus und strukturellem Rassismus, sich zurückziehen können. Das sind nicht nur Muslime, das sind viele. Und die sind herzlich eingeladen, hierherzukommen und sich hier wohlzufühlen."
"Alles begann mit einem Wort"
Zwar kommt Poetry-Slam ursprünglich aus Chicago, ist aber eine Kunstform, die der islamischen Kultur nicht widerspricht. Der Koran ist in Versform verfasst, seine Gebete gehören vorgetragen, und die Offenbarung beginne sicher nicht umsonst mit der Aufforderung an den Propheten Mohammed: "Lies, im Namen des Herrn", erklärt der Berliner Imam Abdul Kamouss, der die Arbeit von "i,Slam" begrüßt und unterstützt: "Das ist genau ein Hinweis von Gott, die Schreibfeder ist hoch geehrt, etwas heiliges, zu achten, zu respektieren. Die Schreibfeder ist die Quelle des Wissens. Und hat keine Grenzen. Sei es in Kunst, Kultur, Spiritualität, der Wissenschaft. Denn was die größte Rolle spielt, ist die Völkerverständigung durch das Wort. Ich glaube an das miteinander Sprechen. Denn nur wenn wir Worte austauschen, können wir uns verstehen."
Und so ist auch der Leitspruch von "i,Slam": "Alles begann mit einem Wort." "Meiner Meinung nach muss Kunst dazu da sein, wirklich etwas zu verändern in der Gesellschaft", findet Leila. "Weil letztlich, wenn man Kunst betreibt und ausübt, dann macht man Kultur und damit ist man auch Teil des Erbes des Landes. Und je nachdem, was für eine Kultur man schafft, hinterlässt man auch seine Spuren, was wieder nachfolgende Generationen beeinflussen wird. Deswegen sollte das schon in eine Richtung gehen, die auch zum kritischen Denken in irgendeiner Weise auffordert."
