Sendedatum: 05.07.2013 15:20 Uhr

Modern und aufgeklärt

NDR Kultur: Der Mehrheitsislam weltweit ist sunnitisch geprägt. Sie sind als Schiitin eher in der Minderheit. Sind denn schiitische Vordenker besonders prädestiniert, einen neuen Islam zu denken?

Muslime beten in einer Moschee. © dpa-Bildfunk Foto: Peter Steffen
Während des Gebets steht man mit dem Gesicht in Richtung der Kaaba in Mekka. Diese Gebetsrichtung wird Qibla genannt.

Amirpur: Nicht unbedingt. Diese neudenkerischen Konzepte sind in einem sunnitischen Islam ganz genau so denkbar. Viele der von mir Vorgestellten in dem Buch sind Sunniten, von den Instrumentarien gleicht sich das zum Teil sehr stark. Manchmal auch nicht; manche Dinge sind in einem schiitischen Kontext eher denkbar, weil zum Beispiel in der Schia die Vernunft eine sehr große Rolle spielt - also eine rationale Korandeutung. Aber es gibt nicht viel, was sich da nicht übertragen ließe.

NDR Kultur: Sie  leben und arbeiten als Wissenschaftlerin in Deutschland. Welche Vorbedingungen, welche Voraussetzungen finden Sie hier für Ihre Arbeit, für dieses Denken und vielleicht auch für eine Umsetzung dieses Denkens in die Realität?

Amirpur: Der in Hamburg lehrende islamische Gelehrte Iman Razvi, der vor kurzem verstorben ist, hat Deutschland immer mal wieder als einen "Denkraum" bezeichnet, weil hier viele Dinge denkbar sind, die so in der islamischen Welt natürlich nicht möglich sind. Der in dem Buch beschriebene Nasr Hamid Abu Zaid beispielsweise musste ins Exil gehen - er stammt ursprünglich aus Ägypten - weil er aufgrund seiner Thesen politische Probleme bekam. Insofern hat man hier durchaus Möglichkeiten erst mal eine solche Theologie zu etablieren und voranzutreiben, die es anderswo nicht gibt.

NDR Kultur: Wie liberal ist denn der Mehrheitsislam in Deutschland?

Amirpur: Ich glaube, dass die meisten Menschen wenig Probleme damit haben sowohl demokratisch als auch Muslime zu sein. Die Demokratie ist ein durchaus akzeptiertes Konzept und wenn man sich Untersuchungen anschaut: Die meisten Muslime in Deutschland haben mehr Vertrauen in die Institutionen dieses Rechtsstaats, als viele christliche Deutsche. Insofern scheint es kein Problem darzustellen, auch wenn es immer als solches dargestellt wird. Dass zum Teil eine konservativere Lebenseinstellung vorhanden ist, das ist nun mal so - aber Konservativismus ist ja nicht gleichzusetzen mit einem Nichtglauben an die Demokratie.

NDR Kultur: Es gibt Untersuchungen, die besagen, dass viele Deutsche Angst haben vor dem Islam. Wie erklären Sie sich diese Angst?

Amirpur: Es ist eigentlich kein Wunder. Es gibt nun mal Terrorismus im Namen des Islams. Das hat stattgefunden. Der Islam ist etwas, was nun mal vielen Menschen fremd ist. Und durch die mediale Berichterstattung oder einfach durch die Ereignisse der letzten Jahre kann es natürlich leicht zu dieser Haltung kommen.

Aber man hat ja auch festgestellt: je mehr persönliche Kontakte es gibt, je mehr Wissen es gibt, desto stärker nimmt diese Angst ab. Auch das haben sehr viele Untersuchungen gezeigt: Wo es quasi keinen Kontakt gibt zu Muslimen gibt, haben die Menschen eine sehr viel höhere Angst vor dem Islam als in den Regionen, wo Muslime und Nicht-Muslime zusammenleben, wo sie sehr viel engen persönlichen Kontakt haben. Da nimmt genau diese Angst radikal ab.

Die Sendung zum Nachhören
Cover des Buches "Den Islam neu denken" © C.H.Beck Verlag
4 Min

"Der Koran ist nicht frauenfeindlich"

Dem Islam wird oft nachgesagt, er habe den Anschluss an Moderne und Aufklärung verpasst - ein Irrtum, wie Katajun Amirpur in ihrem eindrucksvollen Buch zeigt. 4 Min

NDR Kultur: Gibt es Entwicklungen, was den Islam in Deutschland betrifft, die Sie beunruhigen?

Amirpur: Extrem beunruhigen tut mich das nicht. Der Verfassungsschutz hat festgestellt, dass es auch in Deutschland eine gewisse Zunahme einer rechtsradikalen Islamdeutung - dem Salafismus - gibt. Aber die Zahlen, die da genannt werden, und ich glaube, da guckt der Verfassungsschutz ziemlich genau hin, die halte ich jetzt noch nicht für extrem besorgniserregend. Der Mehrheitsislam in Deutschland ist ausgesprochen demokratiekompatibel.

NDR Kultur: Katajun Amirpur, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Claus Röck, Redaktion Religion und Gesellschaft

Übersicht
Die Kuppel des Felsendoms in Jerusalem © NDR

Freitagsforum

Reportagen aus dem Alltag von Muslimen, Berichte über innermuslimische Debatten und Beiträge von Gastautoren zu aktuellen Themen. mehr

  • Teil 1:
  • Teil 2: "Der Mehrheitsislam in Deutschland ist demokratiekompatibel."

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 05.07.2013 | 15:20 Uhr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur Livestream

Der Morgen mit Philipp Schmid

06:00 - 08:30 Uhr
Live hörenTitelliste