Zwischen den Stühlen: DITIB und der Einfluss der Türkei
Viele Jahre galt der größte deutsche Islamverband DITIB als verlässlicher Partner. Doch seitdem Präsident Erdogan immer mehr nach der Alleinherrschaft greift, gerät auch die DITIB immer stärker unter Druck. Wie groß die Nähe zu Ankara ist, zeigen nicht zuletzt die Spitzel-Vorwürfe. Die Bundesanwaltschaft ermittelt, Politiker fordern, die Zusammenarbeit mit dem umstrittenen Verband auf Eis zu legen. Auch in Hamburg wird über die Auflösung des Vertrags mit den muslimischen Verbänden diskutiert.
Ein Beitrag von Reiner Scholz
Freitagsgebet in einer DITIB-Moschee in Pinneberg bei Hamburg. Rund 600 Gläubige sind gekommen. Einer von ihnen ist Seref Ciftci, der Vorsitzende der Gemeinde. Angesprochen auf die heftige öffentliche Kritik am Islamverband DITIB, stellt Ciftci klar: In der Moschee werde keine Politik geduldet, man sei nur religiös: "Seit wir in Deutschland sind, fühlen wir uns zu Hause. Wir haben Pflichten für Deutschland, sage ich mal so. Weil wir hier leben, müssen wir uns natürlich an die Gesetze halten."
Die zentrale Aussage der heutigen Predigt: Ein Muslim darf nicht betrügen. Das ist so gut wie richtig. Wären da nicht die jüngsten Ereignisse. DITIB-Imame spionierten in Nordrhein-Westfalen im Auftrag der türkischen Religionsbehörde Diyanet nicht nur Gläubige in der Moschee, sondern auch Lehrer an staatlichen Schulen aus. Moschee-Vorstand Ciftci möchte sich dazu nicht äußern.
Sedat Simsek, der Vorsitzende von DITIB-Nord, wird dagegen konkret: "Diyanet ist in Bedrängnis und wir müssen den Fall auf jeden Fall aufklären. Wir leben in einem Land mit einer Stasi-Vergangenheit und da kann man nicht so einen Blödsinn machen. Und wenn es wirklich solche Leute gibt, dann müssen sie sofort rausgeschmissen werden. Das ist eindeutig Amtsmissbrauch. Ich könnte auch nicht so einem Imam vertrauen. Nachher bin ich der nächste, der bespitzelt wird."
DITIB - Ein Verband am Scheideweg
Der Moscheeverband gerät immer mehr unter Druck. In Niedersachsen zum Beispiel wurde der Vertrag mit den muslimischen Verbänden auf Eis gelegt. In Hamburg wird darüber diskutiert, den bereits bestehenden Islamvertrag aufzulösen. Immer lauter werden die Forderungen, dass sich DITIB von der Türkei lösen müsse.
Das sei für den Verband eine ganz neue Lage, sagt Norbert Müller, der Rechtsbeistand der Schura in Hamburg. Die Schura ist ein Dachverband vieler Moscheen. DITIB ist nicht Mitglied, mit ihr arbeite man aber gut zusammen: "Bei der DITIB hat sich in den letzten zehn Jahren ein ziemlicher Veränderungsprozess vollzogen. Das muss man auch erst mal zur Kenntnis nehmen, auch in der jetzt aufgeregten Diskussion. Ich kann mich an Zeiten erinnern, wo die Konsulate und Religionsattachés wirklich den DITIB-Verband von vorne bis hinten kontrolliert und angeleitet haben. DITIB hat sich da tatsächlich ein Stück weit freigeschwommen. Sie haben eine Organisationsreform durchgeführt, Landesverbände gegründet, die auch vereinsrechtlich vollständig selbständig in Deutschland verortet sind, auch von der Führungs- und Organisationsstruktur."
Die Ereignisse in der Türkei
Der Moscheeverband sitze derzeit zwischen allen Stühlen. Das wurde etwa vor kurzem deutlich, als einige Jugendliche mit türkischen Wurzeln in sozialen Netzwerken Karikaturen verbreiteten, die in Deutschland für viel Aufregung sorgten. Zu sehen war darauf, wie ein Mann, offenbar ein Muslim, einen Weihnachtsmann verprügelt. "Das ist nicht die DITIB", sagt Norbert Müller, "das sind auch nicht die Funktionäre, die sich so etwas einfallen lassen - DITIB hat sich auch sofort distanziert - sondern das sind die Mitglieder. Und da schwappt natürlich ganz viel rüber, was im Moment in der Türkei abläuft."
Im Strudel dieser Ereignisse ist der Verband in Deutschland offenbar gespalten. Hinter vorgehaltener Hand kritisieren führende Mitglieder der Landesverbände im Norden, dass die Zentrale in Köln abhängig sei von Ankara. Dort würden türkische Religionsattachés den Ton angeben. Die Landesverbände pochen auf mehr Eigenständigkeit. So gesehen könnte der Sturm, der derzeit über die Moscheegemeinschaft hinwegfegt, sogar denjenigen helfen, die den türkischen Einfluss zurückdrängen wollen.
Sedat Simsek, der Chef der DITIB-Nord: "Wir müssen bessere Strukturen schaffen, die eine bessere Integration der Moscheen in diese Gesellschaft ermöglichen. Wie aber die Umsetzung ist, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Aber, dass wir uns mehr in unsere Gesellschaft einbringen sollten, das ist so die generelle Vorstellung."
Klärende Gespräche in Ankara geplant
Demnächst, so heißt es, würde eine Delegation von DITIB-Funktionären nach Ankara reisen, um ein klärendes Gespräch mit der Religionsbehörde Diyanet zu suchen. Ob sie von der überhaupt empfangen werden, ist keineswegs sicher. Viele Mitglieder der DITIB-Landesverbände, auch im Norden, würden lieber heute als morgen auf die Import-Imame aus der Türkei verzichten. Das sei aber nicht so leicht. Denn die Moscheen hätten nicht das Geld, gute, in Deutschland ausgebildete Imame zu bezahlen. Da müsse der deutsche Staat helfen.