Wie Corona muslimische Gemeinden verändert
Die Folgen der Corona-Pandemie haben auch die Religionsgemeinschaften hart getroffen. Wie gehen muslimische Gemeinden damit um? Ein Besuch in der islamischen Gemeinschaft der Jama’at-un Nur in Hannover.
Nurdan Kudu ist eine aktive junge Muslima. An der Uni macht sie gerade ihren Master in Biologie, in ihrer Gemeinde gibt sie islamischen Religionsunterricht und engagiert sich in der Jugendarbeit. Der Schwerpunkt dort hat sich während der Pandemie verändert, sagt die 28-Jährige: "Vor allem der seelsorgerische Bereich. Wir haben Jugendliche von fünf bis 18 Jahren, und vor allem bei den Jüngeren habe ich gemerkt, dass sie die Pandemie sehr gestresst hat. Wenn wir im Unterricht über Krankheiten reden, fragen sie, warum es Corona gibt und wann das endlich weggeht. Sie wollen keine Masken mehr benutzen. Wir unterhalten uns erstmal darüber, wie sie sich fühlen, was sie denken."
Der Unterricht ist lange Zeit komplett digital gelaufen, sagt Nurdan Kudu. Auf Dauer wäre das aber nichts. So sieht es auch die 17-jährige Beyza: "Vor der Pandemie hatten wir zusammen Unterricht. Man hat sich fertig gemacht, ist losgefahren und hat sich mit den Freunden getroffen. Jetzt ist es so, dass wir vom Bett direkt zum Schreibtisch gehen und noch mit Pyjamas vor der Kamera sitzen - das ist natürlich eine ganz andere Atmosphäre."
Auch der 16-jährigen Sara fehlt der persönliche Kontakt: "Bevor die Pandemie angefangen hat, war es so: Wenn es in der Woche einem sehr schlecht ging, wegen Schule oder wegen persönlichen Problemen, ist man am Samstag und Sonntag hier gewesen und es ging einem automatisch wieder besser, weil man hier mit Leuten zusammensaß, die einen verstehen können. Das fehlt einem sehr."
Folgen der Pandemie: Ältere besonders betroffen
Gelitten haben aber auch die Älteren, sagt Avni Altiner, stellvertretender Vorsitzender der Jama’at-un Nur-Gemeinde und Landesvorsitzender der Muslime in Niedersachsen: "Das ist auch eine Hürde für ältere Menschen, wenn sie mit dem digitalen Werkzeug nicht umgehen können. Und jetzt kann man einen Schnelltest machen und denjenigen einen Besuch abstatten."
Rauf Ceylan, Professor am Institut für islamische Theologie in Osnabrück, beobachtet die Auswirkungen von Corona auf die Gemeinden. Wissenschaftliche Forschungen dazu gebe es zwar nicht, einige Trends seien aber klar zu erkennen. Etwa, dass Ältere von den Folgen der Pandemie besonders betroffen seien: "Eigentlich stellen die Moscheen die einzigen Anlaufstellen dar, so eine Art Seniorenzentrum: nicht nur, um dort zu beten, sondern sich in der Teestube aufzuhalten, andere Gläubige aus der ersten Generation zu treffen und sich auszutauschen. Durch den Lockdown ist das völlig weggefallen in der ersten Phase."
Hinzu kommt, so Ceylan, dass viele Rentnerinnen und Rentner zwischen Deutschland und der Türkei pendelten. Auch das sei während der Pandemie nicht möglich gewesen. Aber man habe aus der Ferne Nachrichten erhalten, dass Freunde oder Bekannte verstorben oder krank seien: "Wie gehen diese Menschen mit der Frage Tod, Krankheit, mit dieser Ungewissheit um - das wurde kaum thematisiert und es wurde kaum Hilfe angeboten."
Finanzielle Probleme in vielen Gemeinden
Die Pandemie hat in muslimischen Gemeinden aber auch neue Themen vorangebracht. Nurdan Kudu aus der Jama’at-un Nur-Gemeinde bringt es so auf den Punkt: "Uns hat die Pandemie vieles gesagt: dass wir mehr wertschätzen, dass wir gesund sind, und dass wir mehr auf die Umwelt achten müssen. Ich habe mehr nachgesinnt über die Dinge, die man vor der Pandemie nicht so gemacht hatte. Vor allem bezüglich der Umwelt habe ich mir sehr viele Gedanken gemacht."
Finanziell wird die Gemeinde in Hannover die Corona-Krise ohne größere Einbußen überstehen, sagt Avni Altiner. Rauf Ceylan hingegen beobachtet, dass viele muslimische Gemeinden ein großes Problem haben: "Zum einen gibt es den Kern - das sind die Mitglieder, die bleiben auch, die zahlen. Aber überwiegend finanzieren sich die Gemeinden auch durch die informellen Mitglieder, die einmal in der Woche zu den Freitagsgebeten kommen. Die sind ja völlig weggeblieben und damit auch die Spendengelder, die für die Moscheen sehr wichtig sind, um überhaupt um die Strukturen intakt zu halten. Insofern war das ein sehr großer Einbruch."
Nach Corona müssen also auch die Moscheegemeinden erst einmal herausfinden, was für sie die neue Normalität ist.
Schlagwörter zu diesem Artikel
Coronavirus
