Wenn der Muezzin ruft - Eindrücke aus Norddeutschland
Minarette statt Kirchentürme? Muezzinrufe statt Kirchenglocken? AfD-Politiker Alexander Gauland sieht Deutschland bedroht: "Das Minarett und der Ruf des Muezzin sind für uns Ausdruck ebenjenes politischen Anspruchs an die Gesellschaft, den wir nicht haben wollen", so Gauland kürzlich in einem Interview. Solche Äußerungen entfachen erneut die Diskussion um öffentlich vorgetragene Gebetsrufe in Deutschland - die sehr selten sind.
Galerie ersetzt Minarette
Der Teppich, auf dem Hatice Öztürk steht, ist angenehm flauschig. Rot, beige und türkis. Mit Ornamenten verziert, wie auch die Kacheln an den Wänden. Die Eyup-Sultan-Moschee in Ronnenberg bei Hannover hat sogar eine Kuppel und einen prachtvollen Kronleuchter. Sie war einmal ein Fabrikgebäude. Hatice Öztürk ist stellvertretende Vorsitzende der Türkisch-Islamischen Gemeinde zu Ronnenberg. "Hier sind wir im Herzen unserer Moschee", erklärt Öztürk. "Das ist der Gebetssaal, wo wir Muslime uns fünf Mal am Tag zum Gebet treffen und gemeinsam das Gemeinschaftsgebet verrichten. Das Gebet wird von unserem Religionsgelehrten in der Funktion eines Imams, als Vorbeter, angeleitet."
"In dieser Moschee haben wir eine Galerie des Muezzins, also des Gebetsrufers", so Öztürk weiter. "Das ist in den meisten Moscheen in Deutschland so. Man hat diese Lösung gefunden, weil man keine Minarette bauen konnte oder durfte. In der Moschee wird der Gebetsruf ausgerufen und die Gemeinde wird dann zum Gebet eingeladen."
Sie fände es schön, wenn der Muezzin auch ab und an draußen zu hören wäre. Aber sie freut sich dafür umso mehr, wenn das beim Sommerfest einmal im Jahr der Fall ist - abgesprochen mit der Gemeinde: "Das wird uns zum Beispiel erlaubt. Das ist etwas Besonderes für uns und auch für die nicht-muslimischen Nachbarn und Freunde, weil die das dann auch erleben und dieses Gefühl mitfühlen können. Das ist einfach besonders."
Wie der Muezzinruf entstand
Weil der Gebetsruf in den allermeisten Fällen nicht von Minaretten erklingt, behelfen sich Muslime in Deutschland oft mit einer App, die sie an das Pflichtgebet erinnert.
Laut Überlieferung verhält es sich mit dem Muezzinruf so: "Als in Medina die erste Moschee gebaut wurde, direkt nach der Auswanderung, als die Muslime dort sesshaft wurden, hat man überlegt, wie man die Menschen zum Gebet zusammenbringt", erzählt die islamische Theologin Halima Krausen. "Jemand machte den Vorschlag, dass die menschliche Stimme das Schönste wäre, zum Gebet zu rufen. Also wurde Bilal - das war damals ein freigelassener Sklave, der sich dem Islam angeschlossen hatte - beauftragt, zum Gebet zu rufen."
Die Worte des Gebetsrufs sollen beruhigen
Halima Krausen lehrt an der Uni Hamburg. Zum Vorwurf von Kritikern, der Gebetsruf verkünde einen Herrschaftsanspruch oder sei gar ein Schlachtruf, sagt sie: "Das ist ja ein Missbrauch. Der Gebetsruf ist nie als Schlachtruf benutzt worden, sondern immer formal als Gebetsruf - sonst für nichts." Mit dem Satz "Allahu Akbar" verbinden viele Menschen terroristische, islamistisch-motivierte Taten und missdeuten ihn deshalb als Aufruf zum Töten. Er ist aber Teil des Gebetsrufs und seine Bedeutung eine andere, sagt Krausen: "Gott ist größer als das, was mich beschäftigt. Gott ist größer, als was ich mir von ihm vorstelle, was ich mir überhaupt vorstelle, als das, was mir im Moment wichtig zu sein scheint, größer als meine Probleme, größer als meine Sorgen. Dass man loslässt, dass man Abstand nimmt davon."
Der Gebetsruf wiederholt fünfmal am Tag dieselbe Satzfolge. Die Aussprache ist besonders wichtig. Was sich von Gebet zu Gebet verändert, ist die Länge der Töne, der Worte. Dafür hat Muhammed Güllüce eine entsprechende Ausbildung gemacht. Er wohnt seit einem Jahr in Deutschland und ist als Religionsgelehrter für Fragen rund um den Islam zuständig. Die Worte des Gebetsrufs, des Azan, sollen beruhigen, sagt der Imam. Der Azan führe zu Frieden, zu Wohlgefühl in einem Menschen. Es sei egal, ob man Muslim sei oder nicht oder ob man es verstehe oder nicht. "Man wird emotional mitgenommen, wenn jemand den Azan gut vorträgt oder aus dem Koran liest."