Stand: 13.10.2016 14:54 Uhr

Vorsichtige Annäherung

von Ita Niehaus

Muslimische Flüchtlinge und der Islam in Deutschland

Was bedeutet das, als Muslim seinen Glauben zu leben in Deutschland, in einem nicht islamisch geprägten Land? Was ist zum Beispiel anders als in Syrien? Fragen, die sich vor allem zahlreiche fromme muslimische Flüchtlinge stellen. Denn anzukommen in Hamburg, Kiel oder Osnabrück - das heißt für sie viel mehr, als nur eine neue Sprache zu lernen und Arbeit zu finden. Eine wichtige Anlaufstelle auf der Suche nach Antworten sind Moscheegemeinden wie die Ibrahim-Al-Khalil Moschee in Osnabrück.

Ibrahim Abou Younes und andere syrische Flüchtlinge organisieren Arabisch-Unterricht in der Ibrahim-Al-Khalil Moschee in Osnabrück. Damit ihre Kinder lernen, den Koran zu lesen und zu verstehen. Die syrischen Flüchtlinge bilden inzwischen die große Mehrheit unter den Mitgliedern der internationalen Moscheegemeinde. Ibrahim Abou Younes kam mit seiner Frau und vier Kindern vor mehr als anderthalb Jahren nach Osnabrück. "Uns geht es gut", sagt der syrische Lehrer. "Die Leute hier in Deutschland sind sehr nett. Mit der Religionsfreiheit hier - das ist sehr gut. Besser als in unserem Land." Es sei ihm wichtig, seinen Kindern Offenheit und Toleranz zu vermitteln.

Ibrahim Abou Yournes unterrichtet Kinder in Arabisch in der Ibrahim-Al-Khalil Moschee in Osnabrück. © NDR
Ibrahim Abou Yournes ist es wichtig, Offenheit und Toleranz zu vermitteln.

Für Ibrahim Abou Younes und seinen 16 Jahre alten Sohn Mohammad ist der Glaubensalltag in einem nicht islamisch geprägten Land wie Deutschland gar nicht so anders als in Syrien. "Man redet Arabisch in der Moschee, man betet, macht all das, was man auch in Syrien machen würde", stellt Mohammad fest. "Die Leute hier arbeiten viel", fügt sein Vater hinzu. "Vielleicht gibt der Glauben in unserem Land den Leuten ein bisschen Zufriedenheit."

Mohammad besucht die neunte Klasse in einem Gymnasium. Er kann nicht nachvollziehen, dass so viele Deutsche Angst vor dem Islam haben. Aber er hat gelernt, damit umzugehen. Auch im Unterricht. "Wir haben darüber gesprochen, wie die Ungläubigen gesehen werden", erzählt er. "Und dann meinten sie, dass im Islam die Ungläubigen getötet werden sollen. Aber ich habe dann gesagt, man muss den Vers in seinem historischen Kontext sehen."

Islamische Identität - deutsche Sprache

Die Sendung zum Nachhören
Ein Muslim betet © imago
4 Min

Vorsichtige Annäherung

Deutschland ist für viele muslimische Flüchtlinge ein Sehnsuchtsort. Verbunden mit großer Hoffnung auf einen Neuanfang. Doch was bedeutet Muslim sein in Deutschland? 4 Min

Für die Gemeinde seien die vielen neuen Mitglieder eine Bereicherung, meint Yasser Abou Archid vom Vorstand der Ibrahim-Al-Khalil Moschee: "Wir versuchen, den Leuten klar zu machen, dass wir seit Jahren eine bestimmte Atmosphäre haben. Eine Atmosphäre der Ausgewogenheit, der Pluralität. Die Menschen müssen das Gefühl haben, wir leben hier nicht in einer Enklave, sondern in einer religiösen Einrichtung, die eine islamische Identität hat, aber wo auf Deutsch gedacht und gesprochen wird."

Es sei nicht immer einfach, die Werte der deutschen Gesellschaft zu vermitteln. Denn viele bringen auch ihre eigenen religiösen Vorstellungen mit. "Da merkt man durchaus, dass sie der Ansicht sind, dass der Mann höhergestellt ist", sagt Yasser Abou Archid. "Wir müssen den Leuten immer wieder klarmachen, dass die Ehemänner ihren Frauen die Gelegenheit geben müssen, ihr Haus zu verlassen, Deutsch zu lernen."

Orientierungshilfe für Neuankömmlinge

Die meisten Flüchtlinge sind verunsichert. Auch deshalb hat Mouhanad Khorchide, der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie in Münster, nun ein neues Buch geschrieben, mit dem er sich vor allem an die Neuankömmlinge wendet: "Muslim sein in Deutschland. Deutsch - Arabisch" - so der Titel: "Ich möchte ein positives Bild über den Islam vermitteln, wo Barmherzigkeit im Mittelpunkt steht und wo ich Ihnen Zugang verschaffe, ihre Religion als fromme Muslime zu leben, ohne das Gefühl zu haben, ich gehe Kompromisse ein und verzichte auf einen Teil meiner Religion, damit ich hier in Deutschland leben kann."

Buchtipp

Muslim sein in Deutschland: Deutsch - Arabisch
von Mouhanad Khorchide
Herder Verlag, 2016
Seiten: 176
ISBN: 978-3-451-37598-9
Preis: 14,99 Euro

Khorchide beantwortet grundsätzliche Fragen, wie etwa nach der Rolle Gottes. Er geht aber auch auf die Wahrnehmung des Islam in Deutschland ein und auf ganz praktische Fragen. Zum Beispiel, ob man einer Frau die Hand geben darf. Ganz bewusst verweist der islamische Religionspädagoge immer wieder auf den Koran: "Damit die Muslime sehen, das ist kein verwestlichter Muslim, der uns sagen will, was der Westen von uns  will, sondern das ist der Selbstanspruch unserer Religion, unseres Korans an uns selbst."

Mohammad Abou Younes aus Osnabrück kennt das neue Buch noch nicht, aber er kann sich gut vorstellen, dass es hilfreich ist. Und er hat auch einen Ratschlag für Neuankömmlinge: "Man muss das Richtige und Gute von seiner Religion zeigen als Moslem."

Übersicht
Die Kuppel des Felsendoms in Jerusalem © NDR

Freitagsforum

Reportagen aus dem Alltag von Muslimen, Berichte über innermuslimische Debatten und Beiträge von Gastautoren zu aktuellen Themen. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 14.10.2016 | 15:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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