Stand: 31.05.2018 14:55 Uhr

Über die Schönheit des Islam

von Michael Hollenbach

Wenn es in den Medien um das Thema Islam geht, dann dominieren oft die negativen Schlagzeilen: der Terror des IS und  die Angst vor Anschlägen von Islamisten in Europa. Der Münsteraner Professor Milad Karimi kennt das Imageproblem seiner Religion. Aber statt in der Verteidigungshaltung zu verharren, geht er in die Offensive und preist die Schönheit und Ästhetik des Islam.

Milad Karimi sitzt auf einem Stuhl und schaut lächelnd in die Kamera. © keine rechtlichen Beschränkungen Foto: Peter Grewer
Milad Karimi ist stellvertretender Leiter des Zentrums für Islamische Theologie (ZIT) an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Milad Karimi liebt die Ästhetik. Obwohl es in seinem Büro unterm Dach des Zentrums für islamische Theologie in Münster schwül-warm ist, trägt der 39-jährige ein blaues Sakko mit einem weißen Einstecktuch, darunter eine Weste. Sein Markenzeichen. Und der Professor beginnt gleich von der Schönheit des Islam zu schwärmen. Er habe sich regelrecht in den Koran verliebt. Für ihn ist der Islam keine Gesetzesreligion mit strengen Regeln. "Ohne Schönheit kann man den Islam nicht denken. Gott ist schön und er liebt die Schönheit. Im Koran finden Sie Imperative: `Folgt dem Schönen! Streitet mit den Leuten der Schrift nur in schöner Weise!` Das sind ästhetische Imperative, die man sonst vielleicht nur im Kunstbereich kennt, aber das gehört immer schon zum Selbstverständnis der Muslime."

Buchtipps zum Thema

Es gibt interessante Veröffentlichungen zum Thema. Unsere beiden Lesetipps:

  • "Die Blumen des Koran oder: Gottes Poesie: Ein Lesebuch", Ahmad Milad Karimi, Herder Verlag 2015, 19,99 Euro
  • "Gott ist schön: Das ästhetische Erleben des Koran" (Taschenbuch), Navid Kermani, C.H. Beck 2018, 24.95 Euro

Die Poesie des Koran

Zu dieser Schönheit gehört für Karimi, der in Afghanistan zur Welt kam und mit seiner Familie als 13-Jähriger nach Deutschland floh, vor allem die Rezitation der Koransuren: "Dann gibt es eine Art Partitur zu dem Text. Es ist peinlich genau dargelegt, an welcher Stelle ich pausieren soll, welche Stellen verdoppelt sein können, welche Buchstaben nasaliert vorgetragen werden, wo man ein langes A hält. Und da zeigen sich die unterschiedlichen Schulen." Manche Suren könne man zart und zerbrechlich rezitieren, sagt Karimi. Dieselbe Sure 112 könne aber auch wuchtig und gewaltig vorgetragen werden. Übersetzt bedeutet die Sure:

"Sprich: Gott ist einer, ein ewig reiner, hat nicht gezeugt und ihn gezeugt hat keiner. Und nicht ihm gleich ist einer."

Für Karimi unvorstellbar: die Suren des Koran auf Deutsch zu rezitieren

Milad Karimi hat selbst den Koran ins Deutsche übersetzt. Dabei habe ihm die Poesie von Rainer Maria Rilke geholfen, sagt er. Dennoch kann er sich nicht vorstellen, die Suren auf Deutsch zu rezitieren: "Das ist so, als würde man Shakespeare auf Deutsch lesen. Es gibt tolle deutsche Übersetzungen, aber das Original ist nicht duplizierbar."

Dabei geht es ihm keineswegs um die oft geäußerte dogmatische Ansicht, der Koran dürfe grundsätzlich nicht übersetzt werden. Das eigentliche Problem sei, so Karimi, dass Übersetzungen nur sehr wenig helfen können: "Denn der Koran ist ja nicht irgendein Text, den man aufschlägt, versteht und im Alltag anwendet. Der Koran ist fragmentarisch, der Koran ist lakonisch, der Koran ist sehr verspielt."

Das Freitagsforum zum Nachhören
Kalligraphie von Murad Kahraman © Murad Kahram
4 Min

Über die Schönheit des Islam

Milad Karimi kennt das Image-Problem des Islam und geht in die Offensive: Er preist seine Schönheit und Ästhetik. 4 Min

Ohne eine theologische Ausbildung lasse sich der Koran nicht begreifen. Das heutige Verständnis müsse aber ein anderes sein als jenes aus dem 7. Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel. Es sei fatal, wenn man versuche, ihn buchstabengetreu zu verstehen. 

Ein Angebot, wie man den Islam verstehen kann

Von Fundamentalisten sowohl im Islam als auch im Christentum wird der muslimische Intellektuelle oft angefeindet, wenn er die Schönheit und die Ästhetik des Islam betont: "Die Anfeindungen sind sehr groß", berichtet Karimi. "Auf der einen Seite verstehe ich sie auch. Denn wenn ich von der Schönheit rede in einer Welt, in der wir zumeist vom Islam in einer höchst negativen Art und Weise hören, dann klingt das entweder weltfremd, oder man denkt, das ist ein komischer Kauz, der uns was vorgaukeln will. Ich glaube, beides ist nicht richtig."

Denn Karimi will nicht immer nur seine Religion verteidigen müssen: "Das kann nicht mein Lebensauftrag sein. Mein Lebensauftrag würde darin bestehen, ein Angebot zu machen, wie man den Islam verstehen kann."

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 01.06.2018 | 15:20 Uhr

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