Stand: 16.08.2019 12:47 Uhr

"Tiere haben im Islam einen hohen Stellenwert"

Am Donnerstag haben Musliminnen und Muslime in aller Welt den Abschluss des Opferfestes gefeiert, des höchsten islamischen Festes. Es erinnert an den Propheten Ibrahim oder Abraham. Ein traditioneller Bestandteil dieses Festes ist ein rituelles Tieropfer, in Erinnerung an den Widder, den Abraham Gott anstelle seines Sohnes geopfert hat. Das Tier wird geschächtet, also ausgeblutet - und zwar teilweise auch ohne Betäubung. Das ist in Deutschland eigentlich verboten, zum Opferfest wurden aber - auch in Niedersachsen - Ausnahmegenehmigungen erteilt. Wenn es nach der mitregierenden CDU geht, soll es diese Genehmigung in Zukunft nun nicht mehr geben. Das hat die Landtagsfraktion beschlossen. NDR Kultur hat mit Emine Oğuz, Geschäftsführerin des niedersächsischen islamischen Landesverbandes DITIB, gesprochen.

Frau Oğuz, was würde dieses Verbot für Musliminnen und Muslime bedeuten?

Die Religionspädagogin Emine Oguz im Porträt. © Emine Oguz
Emine Oğuz ist Geschäftsführerin der DITIB in Niedersachsen und Bremen.

Emine Oğuz: Ich glaube, generell muss erst einmal gesagt werden, dass der größte Teil der Muslime in Niedersachsen bereits mit Betäubung schächtet. Laut Migrationsbeauftragter des Landes Niedersachsen, Frau Schröder-Köpf, sprechen wir hier von einer Zahl von circa 200 Tieren dieses Jahr - und das bei 300.000 Muslimen in Niedersachsen. Die Zahl ist also wirklich jetzt in Relation gesehen nicht sehr groß. Nichtsdestotrotz ist es trotzdem beunruhigend, zu erfahren, dass die CDU hier geltendes Bundesrecht brechen möchte und das Grundrecht auf freie Religionsausübung einschränken möchte.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende, Dirk Toepffer, sagte, eine Betäubung sei auch nach muslimischen Riten nicht notwendig. Wie wichtig ist es denn, auf die Betäubung zu verzichten?

Oğuz: Generell ist das Schächten die einzig zulässige Methode im Islam, Tiere zu schlachten und dann anschließend ihr Fleisch zu verzehren. Die Betäubung, die bereits in vielen Ländern vorausgesetzt wird, ist quasi eine analoge Auslegung des islamischen Rechtes. Viele Muslime, die Betäubung anerkennen, legen eigentlich den Koran nur analog aus, weil das geltende Recht des Landes natürlich Vorrang hat. Eine Betäubung ersetzt aber nicht die religionsgesetzlichen Voraussetzungen. Viele Muslime, die wirklich nur ohne Betäuben schächten möchten, greifen dann auf benachbarte europäische Länder zurück, wo dies noch erlaubt ist. Auch in Niedersachsen machen das viele Muslime.

Die CDU-Fraktion beruft sich auf das Tierwohl, da die Tiere beim Schächten unnötig leiden. Haben Sie dafür Verständnis?

Oğuz: Ja, die Sorge um das Tierwohl ist sehr zu begrüßen, das finden wir gut, weil auch im Islam die Tiere einen sehr hohen Stellenwert haben. Im Koran werden die Geschöpfe Gottes nicht unterschieden. Wie Menschen werden auch Tiere und auch Pflanzen gleichermaßen respektiert. Im Koran sind ganze Suren nach Tieren benannt und auch ihnen gewidmet.

Es ist schlichtweg falsch, wenn das Vorurteil vermittelt werden soll, dass Muslime sich nicht um das Tierwohl sorgen. Gerade das professionelle Schächten, durch das das Tier bewusstlos wird, gewährleistet ein qual- und schmerzloses Töten des Tieres. Eine Betäubung kann dies nicht immer garantieren.

Die Debatte um das Schächten ist ja nicht neu. Warum kommt dieser Vorstoß jetzt?

Oğuz: Das müssen Sie die CDU fragen. Für uns ist es einfach nur überraschend, dass hier gerade zum Opferfest diese Debatte geführt wird. Das Opferfest ist kein Tierschlachtfest der Muslime. Es geht, wie Sie bereits gesagt haben, zurück auf Abraham, den gemeinsamen Propheten aller drei großen monotheistischen Religionen. Wir sind einfach nur enttäuscht darüber, dass hier noch nicht einmal vorher ein Austausch mit den Muslimen und Juden stattgefunden hat, so dass man sich vielleicht über eventuelle Meinungsunterschiede hätte austauschen können. Wir können nur über die Intention der CDU hier spekulieren und das wollen wir nicht. Deshalb finden wir diesen Vorstoß auch nicht aufrichtig und auch nicht professionell.

Auch im Judentum ist das Schächten von Tieren ein wichtiges religiöses Ritual. Der Zentralratspräsident Josef Schuster warnte davor, dass sich die CDU hier bewusst in die Nähe der AfD begebe. Diese hatte vor einiger Zeit bereits ebenfalls das Verbot von Schächtungen ohne Betäubung gefordert. Teilen Sie diese Sorge?

Oğuz: Ich teile sie nicht nur, sondern unterstütze sie auch. Um ehrlich zu sein sind wir ganz froh darüber, dass wir Muslime hier nicht alleine stehen in der Gesellschaft. Wir haben uns in Niedersachsen auch mit dem Landesvorsitzenden der jüdischen Gemeinde, Herrn Fürst ausgetauscht, und wir haben beschlossen, dass wir hier gemeinsam gegen diesen Vorstoß handeln möchten.

Das Gespräch führte Philipp Cavert, NDR Kultur

Ein jüngeres Rind liegt im Stall auf Stroh. © NDR Foto: Astrid Wulf
AUDIO: "Tiere haben im Islam einen hohen Stellenwert" (4 Min)
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Ein Lamm liegt auf einer Wiese und schaut in die Kamera © dpa Foto: Carsten Rehder

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 16.08.2019 | 15:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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