Ein Paar hält verschränkte Hände in die Kamera © IMAGO / Westend61

Sex und Islam: Therapeutin räumt mit Vorurteilen auf

Stand: 29.07.2022 00:00 Uhr

Sex und Islam hört sich nach unvereinbaren Gegensätzen an. Sabiha Küman tritt gegen Vorurteile an. Spaß, Lust, Partnerschaftlichkeit und Sexualität gehören im Islam untrennbar zusammen, sagt sie.

von Kadriye Acar

Sebiha Küman sitzt - zum Teil online, zum Teil in Präsenz - vor einer Gruppe von circa 30 Frauen und einem Mann. Die 49-jährige Sexualtherapeutin ist in ihrem Element: "Herzlich willkommen. Ich bin gespannt, was für Euch Sexualität ist," sagt sie. In einem vierwöchigen Seminar versucht sie zu klären, was Sexualität überhaupt ist. Es wird viel gelacht, erzählt, diskutiert. Das Thema Sex geht alle an - auch die Muslime. "Jeder macht es irgendwie und jeder tut so, als gäbe es keinen Sex," so Küman.

Der Islam gilt als prüde und lustfeindlich. Das Thema Sex ist in den Familien und den Moscheen weitgehend tabuisiert. Zu Unrecht, so die Therapeutin. Denn im Islam ist Sex kein Tabuthema: "Es wird sogar als Gottesdienst gesehen, wenn Mann und Frau sich vereinen und miteinander schlafen. Es dient nicht nur der Fortpflanzung, sondern auch dem Vergnügen, der Partnerschaftlichkeit und des Spaß habens. Natürlich ist das schon sehr tabu behaftet und sehr wenig aufgeklärt. Das ist heute eines meiner Hauptanliegen. Jeden zu motivieren, selber zu gucken, wie ist es eigentlich mit mir und meiner Sexualität."

Bedürfnissen beider Partner gerecht werden

Im Seminar konnte nicht geklärt werden, warum es so tabuisiert ist. "Ich finde es schade," sagt Zehra, eine Teilnehmerin, "wir sind Muslime und wir haben eigentlich das perfekte Beispiel als Person unseres Propheten. Der ist die Sache ganz locker angegangen. Ich verstehe nicht, warum sich das so entwickelt hat, wie es jetzt ist. Aus einer Überlieferung - vielleicht kennen die anderen das auch - dass da eine Frau zu dem Propheten hingegangen ist und gesagt hat: Ich finde meinen Mann abstoßend, ich möchte nicht mehr mit ihm zusammenleben. Und der Prophet hat sie mehrmals gefragt, damit es nicht direkt so einen Cut gibt, aber im Endeffekt konnte sie sich scheiden lassen, weil sie ihn so abstoßend fand. Das ist im weitesten Sinne auch sexuell bedingt, dass sie ihn nicht anziehend findet und es war gar nicht so ein Tabu, wie wir es eigentlich erleben. Das hat sich im Laufe der Zeit entwickelt und wurde dann zum Tabu-Thema."

Zumal die islamische Tradition es anders kennt. Der Rechtsgelehrte Ibn-al-Hadsch, der eher für seine Ernsthaftigkeit bekannt ist, betonte zum Beispiel die Bedeutung des Vorspiels. Und dass auch die Bedürfnisse der Frau gestillt werden müssen - und nicht nur die des Mannes. Wenn nicht, kann sie sich scheiden lassen, sagt Sebiha Küman: "Rein theoretisch ja, das ist ein berechtigter Trennungsgrund, weil im Islam die Sexualität eine wesentliche Rolle spielt und die Bedürfnisbefriedigung für beide elementar ist. Natürlich würde ich jetzt nicht sofort zur Scheidung gehen, sondern schauen: Was stimmt denn da nicht? Warum kann er es nicht? Will er es oder weiß er es nicht? Lässt die Frau es nicht zu? Da gibt es ja verschiedene Aspekte. Aber rein theoretisch ja, kann sie sich scheiden lassen."

Kommunikation zentrale Rolle in der Partnerschaft

Eine mögliche Erklärung für die Tabuisierung: Die Männer haben die Deutungshoheit über die Religion und damit auch über das Thema Sexualität, meint Küman: "Da hat im Laufe der Jahre der patriarchische Islam überhand genommen und es sind wenig Musliminnen zu Wort gekommen. Selbst aufgeklärte Menschen haben ihre Tabus. Die Frage ist ja, wo nehmen die Männer das Wissen her und wie oft predigen die Gelehrten das in den Moscheen? Wie viel haben sie vom Elternhaus mitgenommen? Auch da muss es unbedingt eine Revolution, einen Diskurs geben, dass man da auch das thematisiert und offen anspricht."

Am Ende spielt auch bei Musliminnen und Muslimen Kommunikation eine zentrale Rolle - wie in anderen Partnerschaften auch.

 

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Die Kuppel des Felsendoms in Jerusalem © NDR

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 29.07.2022 | 15:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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