Raus aus der Filterblase! Plädoyer für ein sozialeres Netz
Wer ist schuld am Erstarken des Rechtspopulismus, an der zunehmenden islamistischen Radikalisierung? Und: Welche Rolle spielen dabei die Sozialen Medien - mit ihren Filterblasen, Hasskommentaren und Falschmeldungen? "Wir alle sind das Problem", findet Kübra Gümüsay.
Ein Kommentar von Kübra Gümüsay
Seit dem Wahlsieg Donald Trumps in den USA droht die Stimmung hierzulande zu kippen. Die Angst vor einem weiteren Erstarken des Rechtspopulismus ist groß. Wir debattieren darüber, ob wir politisch zu korrekt waren oder ob wir den Minderheiten zu viel Gehör schenkten. Nein und nochmals nein! Das Streben nach einer gerechteren, pluralen Gesellschaft darf in einer Demokratie nicht verhandelbar sein. Der einzige Vorwurf, dem ich tatsächlich etwas abgewinnen kann, ist dieser: Haben wir es uns in unseren liberalen, progressiven Filterblasen zu gemütlich gemacht? Ja, womöglich.
Filterblasen entstehen mehrheitlich aus zwei Gründen: Erstens, weil wir Menschen ohnehin dazu tendieren, das zu lesen, was uns in unserer Meinung bestätigt. Zweitens, weil Algorithmen auf Google und Facebook ihr übriges tun und unsere Suchergebnisse personalisieren. Das heißt, sie zeigen uns das, was wir vermeintlich sehen wollen. So werden wir aber immer seltener dazu gezwungen, uns mit anderen Meinungen auseinander zu setzen.
Verzerrte Wahrnehmungen
Was also passiert mit einer Gesellschaft, in der sehr unterschiedliche und jeweils sehr verzerrte Wahrnehmungen an Popularität gewinnen? Sie driftet auseinander, weiter und weiter - bis wir uns voneinander abkoppeln. Unsere Wahrnehmungen sind zum Teil derart verzerrt, dass viele Nutzer nicht mehr mit Fakten und Zahlen zu überzeugen sind. Manch einer ist der festen Überzeugung, unsere Gesellschaft würde schleichend islamisiert - oder meint gar, uns stünde bald ein Bürgerkrieg bevor.
Bei vielen Muslimen im Netz beobachte ich, wie das Leid der sogenannten islamischen Welt, aber auch Artikel über islamfeindliche Positionen hier in Deutschland ihre "Timelines" auf Facebook dominieren. Es werden viele Negativnachrichten und eigene diskriminierende Erfahrungen geteilt. Während einige das zum Anlass nehmen, sich zu engagieren, führt das bei vielen anderen zu Resignation, Hoffnungslosigkeit und dem lähmenden Gefühl von Ablehnung. Sie ziehen sich zurück, isolieren sich.
Das Internet scheint zu einem Ort zu verkommen, der entmenschlicht, statt ein Ort der menschlichen Begegnung zu sein. Vor Jahren glaubte ich, das Netz könne ein Weg sein, um sich aus der eigenen sozialen Blase zu befreien, aus dem Kreis von Gleichgesinnten. Schließlich braucht es nur einen Klick, um in die Lebenswelt eines wildfremden Menschen einzutauchen, dem wir offline womöglich nie begegnet wären.
Wir sind das Problem
Was also ist der Weg raus aus unserer sozialen Isolation? Das Internet ist weder per se eine Lösung, noch per se das Problem - wir sind es. Wir müssen uns bewusst werden, dass wir offline wie online in sozialen Blasen leben. Sie machen uns empfänglich für Falschnachrichten und blind für Hass. Deshalb brauchen wir wieder mehr Lust auf Begegnung mit dem uns Fremden. Diese Begegnungen können unseren Horizont erweitern und uns bereichern.
Wer für eine plurale Gesellschaft steht, der sollte auch versuchen, sie zu leben.
