Stand: 26.10.2018 09:59 Uhr

"Gottes Rute und Teufels Diener"

Luther und die Muslime

Von Michael Hollenbach

Martin Luther war nicht gut auf die Muslime zu sprechen. 500 Jahre nach der Reformation jedoch gehört der Dialog zwischen Protestanten und Muslimen selbstverständlich zum Glaubensalltag. Trotzdem meinen immer noch viele Protestanten, Muslime sollten mal auf Luther schauen - auch der Islam benötige eine Art Reformation.

1529 war die Angst vor einem türkischen Überfall auf Mitteleuropa groß. Martin Luther sah die Bedrohung vor allem als Chance der Christenheit zur Buße, zur Abkehr von den Papisten. In seiner Schrift "Wider die Türken" heißt es:

"Der Türke ist Gottes Rute und des Teufels Diener, da gibt es keinen Zweifel." Martin Luther

Luther setzt sich mit den "Muselmanen", wie er die Muslime nennt, auseinander, ohne je mit einem Muslim Kontakt gehabt zu haben. Erst später - gegen Ende seines Lebens - regt er an, den Koran ins Deutsche zu übersetzen. Detlef Görrig ist bei der Evangelischen Kirche in Deutschland zuständig für den interreligiösen Dialog: "Es war ihm schon wichtig, sich mit der Schrift auseinanderzusetzen. Allerdings aus dem Interesse, ihn durch seine eigenen Mittel zu widerlegen."

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Mouhanad Khorchide © WWU / Peter Grewer

Mouhanad Khorchide: Luther macht Muslimen Hoffnung

Vor 500 Jahren veröffentlichte Martin Luther seine 95 Thesen. Ist es auch für Muslime wichtig, sich heute noch mit Luther auseinanderzusetzen? Ja, sagt Mouhanad Khorchide. mehr

"Die Christen mögen sehen, was für ein verfluchtes, schändliches Buch der Koran sei, voller Lügen, Fabeln und allerlei Gräuel." Martin Luther

"Er hatte den Eindruck", so Detlef Görrig weiter, "wenn man diese Schrift bekannt macht und Leuten zur Kenntnis gibt, dann werden sie ihre Schlüsse daraus ziehen und sich gegen diese Religion wenden."

Detlef Görrig will keinesfalls die Äußerungen Luthers über Muslime zur Grundlage des interreligiösen Gesprächs machen. Eine gute Basis könnte vielmehr Luthers Theologie sein: der Bezug auf die Bibel - sola scriptura. "Können wir nicht mit Muslimen darüber nachdenken: Was heißt denn dieser unbedingte Schriftbezug, den wir im Christentum haben? Was heißt dieser Christusbezug für Muslime?"

Eine Reformation für den Islam? Nein, danke.

"De facto halte ich die Position, Luther zu übertragen auf den Islam, für nicht gut", sagt dagegen der Islamwissenschaftler Muhammad Sameer Murtaza. "Weil wir sehen - ob das Wahabiten sind, ob das die Muslimbrüder sind oder militante Bewegungen - sie alle haben dieses Prinzip von sola scriptura. Es gibt Bewegungen, die sich an Luther orientiert haben, und wir sehen die Folgen und die sind nicht gut."

Murtaza, Mitarbeiter der von dem katholischen Theologen Hans Küng gegründeten Stiftung Weltethos in Tübingen, sieht Luther und die Folgen kritisch: Die Reformation habe zu einer Spaltung der Kirche geführt, zu den Bauernkriegen, zu Johannes Calvins Gottesstaat, schließlich zum 30-jährigen Krieg. Erst 1648, als beide Konfessionen erschöpft waren, sei ein Frieden möglich geworden: "In dem Moment, wo man sagte 'weniger Religionen', wurde der Platz geschaffen für die Aufklärung in Europa. Insofern frage ich mich, ob wir unsere eigene Geschichte eigentlich wirklich kennen."

Seine Schlussfolgerung: Eine Reformation für den Islam? Nein, danke: "Insofern erhoffe ich mir, dass wir Muslime einen anderen Weg einschlagen würden, anstatt das europäische Modell zu kopieren."

"Auch Christen können von Muslimen lernen"

Das sieht die Frankfurter Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter ganz ähnlich. Sie verweist darauf, dass der Islam - zum Beispiel während des Mittelalters in Andalusien - schon ein goldenes Zeitalter der Aufklärung durchlebt hat: "Der Islam könnte vielleicht sich seiner eigenen Geschichte erinnern und anknüpfen an Zeiten, in denen Rationalität, Streitgespräche, Pluralität praktiziert worden sind. Zeiten, in denen man sich nicht permanent darum gekümmert hat, ob etwas halal, nämlich erlaubt, oder haram, also verboten, ist.

Der zunehmende Fundamentalismus innerhalb des Islam könnte eine neue Aufklärung gebrauchen, aber dafür benötige man nicht den Protestantismus, meint auch Muhammad Sameer Murtaza. Ihn störe ohnehin, dass der interreligiöse Dialog von der christlichen Perspektive dominiert werde. Sein Vorschlag: Lieber im interreligiösen Dialog über alltägliche Probleme reden statt über abstrakte Theologie. Und er ist der Überzeugung: Christen können genauso gut von Muslimen lernen wie umgekehrt.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 26.10.2016 | 15:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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