Sendedatum: 05.09.2014 15:20 Uhr

Ein Vertrag mit Signalwirkung

von Reiner Scholz

Vor zwei Jahren betraten der Hamburger Senat und die Verbände der Muslime und Aleviten Neuland. Am 14. August 2012 schlossen sie einen Vertrag über gegenseitige Rechte und Pflichten - der erste seiner Art in Deutschland. Er gilt auch als Vorbild für Verhandlungen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Wie fällt eine erste Bilanz des Vertrages aus?

Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (M.) unterzeichnet in Hamburg im Rathaus einen Vertrag mit islamischen Religionsgemeinschaften, diese sind u.a. vertreten durch Zekeriya Altug für die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (l.) und Hüseyin Mat für die Alevitische Gemeinde © dpa Foto: Angelika Warmuth
Am 14. August 2012 unterzeichneten der Erste Bürgermeister Olaf Scholz (M.) und Vertreter islamischer Religionsgemeinschaften den Vertrag.

"Das Wichtigste war das Signal, das davon ausging, nämlich dass die islamischen Religionsgemeinschaften in dem Sinne als Religionsgemeinschaften auch anerkannt sind", hebt Norbert Müller hervor, der Rechtsbeistand des muslimischen Dachverbandes Schura in Hamburg. "Dass wir einen offiziellen Status haben und uns auf der rechtlichen Gleichstellung befinden. Wir können das in vielen Bereichen sehen, dass der Islam auch in Hamburg vollkommen anders wahrgenommen wird."

Diese Signalwirkung reiche weit über die Hansestadt hinaus, ergänzt Baykal Arslanbuga, der im Bundesvorstand der Alevitischen Gemeinde für Hamburg zuständig ist: "Nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages in Hamburg hat auch Bremen mit den Religionsgemeinschaften Staatsverträge abgeschlossen. Das zeigt, dass Hamburg auch bundesweit eine Vorreiterrolle gespielt hat. Wir bekommen auch Informationen aus anderen Ländern, dass dieses Hamburger Modell mit großen Interesse verfolgt wird. Auch in den USA, in den Niederlanden, wird das Modell mit großer Aufmerksamkeit verfolgt."

Gemeinsamer Religionsunterricht im Fokus

Im Mittelpunkt steht dabei derzeit zweifellos der Religionsunterricht. Eine Arbeitsgruppe beschäftigt sich seit der Vertragsunterzeichnung intensiv mit ihm. Bisher existiert in Hamburg eine einmalige Konstruktion: der Religionsunterricht für alle. Daran knüpfe man an, sagt Jochen Bauer, Fachreferent in der Hamburger Schulbehörde: "Hamburg ist das einzige Bundesland, in dem bis auf wenige Ausnahmen Schüler nicht nach Konfession getrennt Religionsunterricht erteilt bekommen. Sondern es sind Kinder verschiedener Religionen gemeinsam im Klassenverband: Es sind Muslime, es sind Christen, es sind Juden, es sind Aleviten. Gemeinsam wird Religion gelernt. In anderen Bundesländern wird Religion getrennt unterrichtet. Es war lange Zeit ein Religionsunterricht für alle in evangelischer Verantwortung. Es wird auch weiterhin in evangelischer Verantwortung sein, aber nicht mehr nur, sondern auch von Muslimen, von Aleviten und von der jüdischen Gemeinde mitverantwortet."

Konstruktiv am gleichen Projekt

Religion als Unterrichtsfach in der Schule. © dpa Foto: Lutz P. Kayser
Das Ziel: Auch muslimische Religionslehrer sollen Kindern unterschiedlicher Religionen künftig gemeinsamen Religionsunterricht erteilen.

In der Arbeitsgruppe sitzen Vertreter von Organisationen, die viele inhaltliche Differenzen haben, wie etwa Christen und Muslime. Aber es gibt auch innerislamische Konfliktlinien. So werfen die Aleviten den türkischen Sunniten vor, sie über Jahrhunderte - teilweise gewaltsam - unterdrückt zu haben. Und dennoch arbeiten alle konstruktiv an dem gleichen Projekt, hebt Jochen Bauer hervor: "Natürlich werden unterschiedliche Linien erkennbar. Das Interessante ist: Je länger man dabei ist, desto aufgebrochener werden die Diskussionslinien, die man normalerweise erwarten würde. Es ist keineswegs so, dass immer die drei muslimischen Verbände auf der einen Seite stehen gegen die evangelische Kirche, oder liberal gegen konservativ, das ist eher teils sehr quer zu den zu erwartenden Diskussionslinien und das ist etwas, was in dieser Arbeitsgruppe sehr deutlich wird."

In Niedersachsen geht es voran

Die größte Hürde sei es, den Unterricht so auszugestalten, dass er verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Schließlich wird der Religionsunterricht künftig, laut Vertrag in spätestens fünf Jahren, auch von Muslimen oder Juden abgehalten werden. Das ist Neuland. Und da geht es auch um Geld, denn diese Lehrer müssen ausgebildet werden. Der Hamburger Senat streitet sich derzeit mit der Universität darum, wer für die notwendigen Investitionen aufzukommen hat. Diese Fragen stellen sich auch anderswo. Während allerdings in Schleswig-Holstein die Verhandlungen zwischen dem Land und den Muslimen seit zwei Jahren auf Eis liegen, geht es weiter südlich voran. Niedersachsen könnte dem Vernehmen nach demnächst das erste Flächenbundesland sein, das Hamburg und Bremen folgt und einen Vertrag mit den Muslimen abschließt.

Die Sendung zum Nachhören
Mikrofon im NDR Kultur Sendestudio © NDR Online Foto: Mathias Heller
4 Min

Arbeit an Details

2012 schloss der Stadtstaat Hamburg einen Vertrag mit den Muslimen und den Aleviten über gegenseitige Rechte und Pflichten. Wie fällt eine erste Bilanz aus? 4 Min

Weitere Informationen
Die Kuppel des Felsendoms in Jerusalem © NDR

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 05.09.2014 | 15:20 Uhr

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