Die Moscheegemeinden und der Machtkampf in der Türkei
Nach dem Putschversuch herrscht Ausnahmezustand in der Türkei. Doch die Unterstützung für Präsident Recep Tayyip Erdogan ist nach wie vor groß. Auch in Deutschland. Nicht nur Mitglieder der deutsch-türkischen Gemeinschaft befürchten, dass sich die Gräben zwischen Erdogan-Anhängern und -Gegnern vertiefen. Inwieweit wirkt sich bereits jetzt der Konflikt in der Türkei auf die Moscheegemeinden im Norden aus?
"Wir tauschen uns aus, aber es gibt keine Auseinandersetzungen"
Freitagmittag in der Centrum-Moschee nahe dem Steindamm in Hamburg. Hier beten Muslime aus vielen Ländern, überwiegend aber Männer mit türkischen Wurzeln. Mehmet Karaouglu, der Erste Vorsitzende des Moscheevereins, will in seiner Predigt auf die Ereignisse in der Türkei eingehen: "Es wird hauptsächlich darum gehen, die Errungenschaften des Volkes bei der Zurückdrängung des Militärputsches zu würdigen. Und dass man jetzt wieder Frieden sucht. Das heißt, dass man nicht eine ganze Gruppe von Menschen unter Generalverdacht stellt und dass man da differenzierter vorgehen muss. Auch die Rechtsstaatlichkeit muss gewahrt werden."
Die Moschee, die zur "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs" gehört, wird freitags von rund 1.500 Männern aufgesucht. Fatih Yildiz, der Zweite Vorsitzende der Moscheegemeinde, ist stolz darauf, dass hier Menschen unterschiedlichster politischer Anschauungen zusammenkommen: Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan, Mitglieder der nationalistischen MHP-Partei, Wähler der sozialdemokratischen CHP oder auch Anhänger der Bewegung des islamischen Predigers Gülen. Also von der Organisation, der Erdogan vorwirft, den Putsch angezettelt zu haben. "Wir haben zu allen Gruppierungen einen guten Kontakt", so Yildiz. "Wir tauschen uns aus und deswegen bespricht man solche Sachen, aber es gibt keine Auseinandersetzungen."
Nach dem Gebet stehen die Menschen in kleinen Gruppen vor dem Gebäude. In der Türkei müsse jetzt aufgeräumt werden. Für die Türken in Deutschland habe das aber wenig Auswirkungen, sagt ein 31-jähriger Moscheebesucher, der in der Mobilfunkbranche arbeitet. Wie die meisten anderen rechnet auch er nicht damit, dass es innerhalb der türkischen Community in Hamburg zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt: "Wir hatten schon früher mal solche Probleme, da ist auch nichts passiert. Wenn es mal ein, zwei Ausreißer gibt, was ich nicht glaube, wird sich das aber schnell wieder legen. Das wird hundertprozentig nicht passieren."
Gülens Anhänger im Visier
Dass die Säuberungsaktionen in der Türkei zehntausende tatsächliche oder vermeintliche Erdogan-Gegner treffen, wird hier kaum kritisch gesehen. Viele fragen, wie wohl Deutschland reagiert hätte, wenn ein Teil seiner Generäle geputscht und den Reichstag bombardiert hätte. Wenn der Präsident jetzt nicht durchgreife, dann hätte man morgen vielleicht wieder die gleiche Situation, ist die fast einhellige Meinung. Die meisten hier sind überzeugt davon, dass die Türkei nach wie vor ein funktionierender Rechtsstaat sei. "Es geht nicht, dass jemand das eigene Parlament bombardiert", findet ein Moscheebesucher. "Ist das demokratisch? Nein. Das geht jetzt vor Gericht, da braucht man klare und deutliche Beweise. Ich kann auch nicht sagen, dass alle Fetullah-Anhänger schlimme Leute sind. Da gibt es auch gute Leute, das muss man trennen."
Unter den Kritikern Erdogans sind zahlreiche Kurden, Aleviten und auch Vertreter linker Gruppierungen. Viele von ihnen haben Angst, offen ihre Meinung zu sagen. Ganz besonders betroffen sind die Anhänger Fethullah Gülens, die zu Tausenden von Erdogans Staatsapparat verfolgt werden. Auch ein junger Hamburger bekennt sich zu Gülen: "Man ist familiär von Ausgrenzung bedroht, denn auch in der Familie gibt es unterschiedliche politische Ansichten. Man ist wirtschaftlich sehr stark bedroht, denn viele Unternehmer müssen einen Boykott befürchten. Es gibt Moscheen in Deutschland, wo es Aushänge gibt, dass Gülen-Sympathisanten die Moscheen nicht betreten dürfen. Die Auswirkungen sind auch in Deutschland stark spürbar."
Unterdes suchen selbst die oppositionellen Parteien den Schulterschluss zu Erdogan. Ali Kurtuldu ist stellvertretender Vorsitzender der Türkischen Gemeinde Hamburg und Mitglied der CHP, der größten Oppositionspartei in der Türkei. Ein Sozialdemokrat also. "Diese Situation soll der Präsident Erdogan als Chance nutzen, gemeinsam mit der Opposition die Türkei zusammen zu führen und ein Wir-Gefühl zu entwickeln", sagt Kurtuldu.