Eine Bibel und ein Koran liegen auf einem Baumstamm © picture alliance / Godong Foto: Fred de Noyelle

"Bibel trifft Koran": Ein christlich-muslimischer Dialog

Stand: 10.06.2022 06:00 Uhr

"Bibel trifft Koran" heißt das Buch, in dem der muslimische Religionspädagoge Mouhanad Khorchide und die katholische Moraltheologin Angelika Walser in einen christlich-muslimischen Dialog treten.

Eine Bibel und ein Koran liegen auf einem Baumstamm © picture alliance / Godong Foto: Fred de Noyelle
Beitrag anhören 5 Min

von Michael Hollenbach

Die Autoren von "Bibel trifft Koran", Mouhanad Khorchide und Angelika Walser, haben bei ihrer Arbeit viel Gemeinsames zwischen Islam und Christentum entdeckt - an Positivem wie an Herausforderungen. "Muslime wissen sehr wenig über die Bibel, und Christen wissen sehr wenig über den Koran. Wenn man sich die Bibel und den Koran ansieht, ist man schnell überrascht. Denn es sind fast dieselben Themen, die in den Heiligen Schriften behandelt werden, aber jeweils aus einer anderen Perspektive, in einem anderen historischen Kontext", sagt Mouhanad Khorchide. Er ist Leiter des Zentrums für islamische Theologie in Münster und gilt als intellektueller Kopf eines liberalen Reformislams.

Die katholische Theologin Angelika Walser gesteht, dass sie sich bislang nicht sehr intensiv mit dem Koran befasst habe. Um so überraschter war sie, dass der Islam mit dem theologischen Konzept der Barmherzigkeit ganz eng mit dem Christentum verbunden ist. "Die Rede der Gottesliebe, der Nächstenliebe, der Selbstliebe - da haben wir so ein breites Fundament, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte", gesteht Walser. "Insgesamt ist mir aufgefallen, wie viele Dinge wir gemeinsam haben, wie ähnlich wir sind."

Khorchide: Bibelforschung weiter als Koranforschung

Die Autoren des Buchs "Bibel trifft Koran", Angelika Walser und Mouhanad Khorchide © Tyrolia Verlag
Die Autoren des Buchs "Bibel trifft Koran", Angelika Walser und Mouhanad Khorchide, setzen sich für einen verstärkten christlich-muslimischen Dialog ein.

Ganz eng beieinander sind die Schriften und Traditionen aber auch, wenn es beispielsweise um die Verurteilung, teilweise Verdammung der Homosexualität geht. "Da stehen beide vor der selben Herausforderung. Ich muss selbstkritisch sagen, dass die Bibelforschung ein Stück vorangeschrittener ist als die Koranforschung. Wir hadern noch immer mit der historisch-kritischen Lesart des Korans", bemängelt Mouhanad Khorchide.

Noch immer würden viele islamische Gelehrte die Heilige Schrift nur wortwörtlich als direkte Offenbarung Gottes verstehen. Das sei dann oft die Basis für Fundamentalismus - sowohl im Islam als auch im Christentum, sagt die Salzburger Theologin Walser: "Das Problem ist, dass es in beiden religiösen Traditionen Gruppierungen gibt, die mit Hilfe der Differenzen Identitätspolitik betreiben."

Christlich-muslimischer Dialog wichtig

Damit nicht einzelne Aussagen aus dem Kontext gerissen werden, sei ein gegenseitiges Verstehen, ein fundierter, auch kontroverser christlich-muslimischer Dialog wichtig, meint Mouhanad Khorchide: "Ich erlebe viele Dialoge, die sehr stark an der Oberfläche bleiben. Aber es geht nicht nur darum, Freundlichkeiten auszutauschen. Man sollte auch darüber reden, was uns unterscheidet und mehr in die Tiefe gehen. Da sehe ich, dass das Buch einen konstruktiven Beitrag leistet."

Weitere Informationen
Maria hält Jesus in ihren Armen (Gemälde von etwa 1560) © Heritage Art/Heritage Images Foto: Giovanni Battista Moroni

Prophetin, Jungfrau, Mutter: Die Rolle der Maria im Koran

Im Christentum wird Maria verehrt und gefeiert - die Mutter Jesu spielt aber auch im Koran eine wichtige Rolle. mehr

Abgrenzung von anderen bei Gläubigen sehr verbreitet

In fünf Themenfeldern skizziert das Buch Schnittmengen und Gegensätze der Religionen - zum Beispiel bei den Themen "Mann und Frau" oder "Wir und die Andern". Das "Othering", die Abgrenzung von anderen, scheint dabei gerade unter religiösen Menschen sehr verbreitet, meint Angelika Walser. Gemeinsamkeiten mit anderen würden vielen Frommen eher Angst machen. 

"Dann verliert man sein schönes Gebäude, in dem man sich eingerichtet hat. Wir haben darüber gerätselt, warum gerade religiöse Menschen solche Angsthasen sind, dass die immer diese Sicherheiten haben wollen. Die holen sie sich durch eine göttliche Autorität, die ihre Normen von oben erlässt", stellt Walser fest.

Cover des Buchs "Bibel trifft Koran © Tyrolia Verlag
Das Buch "Bibel trifft Koran" von Angelika Walser und Mouhanad Khorchide ist für 19,95 Euro im Handel erhältlich.

In anderen Regionen wie im Mittleren Osten, in Afrika oder auch in Südamerika würden sich die immanenten Gefahren der Religionen fast täglich zeigen. Die Katholikin warnt davor, dass wir in Europa in einer säkularisierten Gesellschaft dieses Potential ignorieren: "Religion hat nach wie vor eine enorme gesellschaftliche Sprengkraft. Das wird von vielen Zeitgenossen, die sich von der Religion verabschiedet haben, völlig unterschätzt. Das kann sehr schnell explodieren."

Ein Weg zur Entschärfung dieses explosiven Stoffes ist der christlich-muslimische Dialog. Und das Buch "Bibel trifft Koran" ist mehr als ein kleiner Schritt auf diesem Weg.

Angelika Walser und Mouhanad Khorchide, Bibel trifft Koran. Eine Gegenüberstellung zu Fragen des Lebens, erschienen im Tyrolia Verlag, 143 Seiten, ISBN 978-3-7022-4022-6, 19,95 Euro.

 

Weitere Informationen
Der Felsendom in Jerusalem © picture alliance / blickwinkel/F. Neukirchen Foto: F. Neukirchen

Layla l-miraj: Mohammeds Himmelsreise

Auch im Islam ist die Himmelfahrt ein Thema - nicht die Jesu Christi, sondern die des Propheten Mohammed. mehr

Blick auf den Felsendom in Jerusalem

Abraham - Stammvater und Gottsucher

Christentum, Judentum und Islam - drei Religionen, ein gemeinsamer Stammvater: Abraham. Auch für den interreligiösen Dialog hat er eine große Bedeutung. mehr

 

Weitere Informationen
Die Kuppel des Felsendoms in Jerusalem © NDR

Freitagsforum

Reportagen aus dem Alltag von Muslimen, Berichte über innermuslimische Debatten und Beiträge von Gastautoren zu aktuellen Themen. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 10.06.2022 | 15:20 Uhr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur Livestream

ARD Nachtkonzert

00:00 - 06:00 Uhr
Live hörenTitelliste