Eine junge Hand reicht einer älteren eine Blume. © panthermedia Foto: Melpomene

"Grenzwertig": Robotik als Chance für die Pflege?

Stand: 23.07.2022 15:27 Uhr

Eine Tabelle voller Lücken: So sehen vielerorts die Dienstpläne in Altenheimen aus. Bundesweit fehlen dem Deutschen Pflegerat zufolge 200.000 Fachkräfte. Künftig könnten Roboter und Künstliche Intelligenz in der Altenpflege mithelfen.

von Burkhard Schäfers

"Hallo, ich bin hier, um deine Bestellung aufzunehmen. Heute gibt es Spaghetti, Lasagne und Schnitzel. Was kann ich dir bringen?": Garmi ist weiß, fast so groß wie ein Erwachsener, sieht einem Astronauten ähnlich, hat zwei Arme und bewegt sich auf Rollen. Der Roboter ist eine Maschine im Versuchsstadium, an der ein Forschungsteam der Technischen Universität München seit gut drei Jahren arbeitet. Bisher ist Garmi nur im Labor unterwegs. Künftig könnte er alten Menschen im Heim oder in der eigenen Wohnung helfen - etwa beim Schuheanziehen oder bei den Mahlzeiten: "Bringe mir bitte Spaghetti." "Bei mir wurde Spaghetti bestellt. Bitte tippe mich an, wenn die Bestellung bereit ist."

Skepsis gegenüber pflegenden Robotern

Marina Gläser ist skeptisch, was den Einsatz von Robotik in der Pflege angeht. Die 66-Jährige lebt im Caritas-Altenheim Sankt Vinzenz in Garmisch-Partenkirchen: "Man sollte Sie mal aufs Bett legen und Sie können sich nicht mehr bewegen. Und dann kommt ein Roboter und wischt Ihnen weiß-ich-was ab. Maschinen sind eben Maschinen, ob der lächelt oder große Augen hat."

Marina Gläser hat Multiple Sklerose, deshalb wohnt sie im Heim. Was würde ihr fehlen, wenn anstelle einer Pflegerin ein Roboter ins Zimmer käme? "Die Wärme und dass man spürt, dass die das gerne machen. Die unterhalten sich mit uns - und wenn da so ein Blechkasten ankommt? Nein, das wäre dann eher wie eine Fabrik."

Mögliche Lösung für Personalnot in der Pflege?

Marina Gläser war früher Krankenschwester. Sie weiß um die Personalnot. Mit der hadert auch Pfleger Michael Herrmann: "Man merkt schon, wenn man nur zwei, drei Leute in der Pflege für fast 40 Bewohner hat. Da bleibt einiges auf der Strecke. Da muss man Abstriche machen, wenn ein Bewohner mal ein kleines Schwätzle halten will. Wir haben nicht die Zeit dazu."

Künftig also sollen Roboter den Fachkräftemangel ausgleichen. Altenpfleger Herrmann steht dem grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber: "Unterstützende Hilfeleistungen wie Medikamente mit Sensoren verteilen oder Betten richten, Wäsche verteilen, Getränke verteilen: Das wäre eine Riesenentlastung für uns von der Pflege."

"Roboter brauchen standardisierte Zusammenhänge"

Aber wie realistisch ist es, dass menschenähnliche Roboter in absehbarer Zeit in der Pflege assistieren? Mit den Möglichkeiten und Grenzen der Technik beschäftigt sich Manfred Hülsken-Giesler, Professor für Pflegewissenschaft an der Universität Osnabrück: "Gute Pflege ist immer Arbeit in Ungewissheit. Man weiß im Grunde genommen nie, was kommt. Man kann Pflegepläne machen, aber es kommt immer anders. Das ist eine Herausforderung für Technik, weil Technik - auch Robotik - im Grunde immer standardisierte Zusammenhänge braucht."

Gleichwohl könnten Roboter die Pflegekräfte künftig bei einigen ihrer vielen Aufgaben unterstützen, sagt der Osnabrücker Pflegewissenschaftler. Aber es sind noch viele Fragen offen: Wie sicher sind robotische Systeme? Können sie das Wohlergehen alter Menschen verbessern? Haben diese die Möglichkeit, sich frei für oder gegen Technik zu entscheiden? Und wer bezahlt die teuren Geräte? Manfred Hülsken-Giesler sieht jedenfalls kein Szenario, in dem Maschinen die Menschen komplett ersetzen: "Nüchtern eingeschätzt wird die Lösung nicht allein in Technologie bestehen können, sondern in einem klugen Mix zwischen professioneller Unterstützung, ehrenamtlicher Laienunterstützung und neuen Technologien."

Der Pflegemangel ist ein wachsendes Problem. Roboter wie Garmi könnten womöglich dabei helfen, es zu lindern.

"Grenzwertig. Ethik zwischen Leben und Tod.": Ethikreihe der ARD

Weitere spannende Fragen im Spannungsfeld zwischen medizinischem Fortschritt und gesellschaftlichem Wandel thematisiert eine neue Ethikreihe der ARD-Religionsredaktionen. Zu hören sind alle fünf "Grenzwertig. Ethik zwischen Leben und Tod"-Folgen in der ARD-Audiothek. Im Radio laufen die einzelnen Folgen bis zum 21. August jeweils am Sonntag um 12.05 auf NDR Info.

Weitere Informationen
Collage von Porträts von Pfleger:innen. © NDR Foto: NDR
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Pflegenotstand: "Wir kündigen"

Die Pflege steckt nicht erst seit Corona in der Krise, doch die Pandemie hat die Situation weiter verschärft. 30 Min

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 23.07.2022 | 08:40 Uhr

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