Gedanken zur Zeit: Weltbilder erschüttern mit Schwarzenegger
Der Ukraine-Krieg wird nicht nur mit militärischen Mitteln geführt, sondern auch mit allen Mitteln von Propaganda und Desinformation. Wie kann Aufklärung funktionieren unter den Bedingungen der modernen Medienwelt?
Als die Bomben in Kiew fallen, wundert sich Misha Katsurin, Unternehmer in Kiew, Inhaber von vier Restaurants. Warum, so fragt er sich, ruft ihn sein Vater, der in der Gärtnerei eines Klosters in Russland in einem kleinen Ort unweit von Nishni Nowgorod arbeitet, nicht an? Will er nicht wissen, wie es ihm geht, gerade jetzt und in diesen Tagen der Gefahr? Nach ein paar Tagen greift er selbst zum Telefonhörer, spricht mit dem Vater. Will ihm erzählen von seinem neuen Leben im Krieg. Doch das Gespräch endet im Streit. Denn sein Vater erklärt ihm, dass es gar keinen Krieg gibt. Dass keine Bomben fallen. Und dass die Russen in die Ukraine gekommen sind, um warme Kleider und Essen zu verteilen und bei der Bekämpfung von Nazis helfen, die im Land immer mächtiger würden. Er habe das alles im Fernsehen gesehen. Misha Katsurin hat das Gefühl, mit jemandem zu sprechen, der auf seltsame Weise taub ist. Und der nicht einmal hört, dass er ihn nicht hört.
Aufgewühlt schreibt er über seine Erlebnisse auf Instagram. Zahllose Menschen greifen sein Posting auf, erzählen von eigenen Erfahrungen mit Eltern, Verwandten und Freunden in Russland, die ihnen nicht glauben. Als Reaktion auf diese Erfahrung setzt Misha Katsurin eine eigene Website auf. Sie heißt: "Papa, believe me". Hier analysiert er die Mythen, mit denen Putin diesen Krieg begründet hat. Er erklärt die Techniken der russischen Propaganda, beraten von Psychologen. Seine Website ist ein einziger Appell, die eigenen Verwandten in Russland anzurufen, das Gespräch zu suchen, die Lage zu erklären, Videos aus den bombardierten Städten zu senden. Vielleicht wird auf diese Weise, so hofft er, die Macht der Propagandabilder gebrochen.
Propagandabekämpfung durch den Schock
Die Schlüsselfrage in Zeiten global zirkulierender Desinformation lautet: Wie erreicht man diejenigen, die man nicht mehr oder kaum noch erreicht? In den letzten Wochen und Monaten hat es ganz unterschiedliche Anläufe gegeben, um die Macht der Propaganda zu brechen. Hacker etwa haben 20 Millionen Telefonnummern von Russen online gestellt und zur Kontaktaufnahme aufgerufen. Alexei Nawalny hat via Twitter eine gigantische Targeting-Ads-Kampagne vorgeschlagen. Seine Idee: Nutzung der (westlichen) Plattformen zur Desinformations-Demontage in Russland. Ukrainer haben die Gesichtserkennungs-Software von Clearview AI eingesetzt, um getötete und verwundete russische Soldaten zu identifizieren. Anschliessend kontaktierten sie die Mütter der Soldaten. Propagandabekämpfung durch den Schock, so könnte man diese Idee nennen.
Arnold Schwarzeneggers Protest gegen Putin
Besonders lehrreich ist eine Intervention des Politikers und Hollywood-Schauspielers Arnold Schwarzenegger, in Russland ein Superstar. Am 17. März stellt Schwarzenegger ein Video online, gerichtet an 144 Millionen Russinnen und Russen. Es geht sofort viral. Sein Ziel: die Weltbild-Erschütterung, die Feindbildkorrektur, der Protest gegen Putin. Schwarzenegger beginnt maximal wertschätzend, mit einer Liebeserklärung an das russische Volk. Er nutzt Emotionen zur Aufklärung, um sein Gegenüber zu erreichen. Er erzählt persönliche Geschichten, verwendet eine einfache Sprache, konzentriert sich auf wenige Propaganda-Mythen, agiert als Botschafter, mehr Freund als distanzierter Superstar. Schwarzenegger nutzt die Erkenntnisse der Kommunikationspsychologie präzise und politisch.
Denn die meisten Kommunikationspsychologen - Ausnahme: Peter Coleman oder Friedemann Schulz von Thun - betreiben Therapie und Coaching. Sie sind fokussiert auf das Individuum, nicht die Gesellschaft. Es geht ihnen um die ausgebrannte Managerin, das verbiesterte Ehepaar, das zerstrittene Team. Sie stellen sich also gerade nicht die Frage, die in Zeiten der toxischen Desinformation entscheidend wäre: Wie kann man Propagandamauern durchlässiger machen? Erkenntnisse der Kommunikationspsychologie, das ist die erste Lehre aus dem gegenwärtigen Informationskrieg, müssen viel stärker in der öffentlichen Krisenkommunikation eingesetzt werden. Es gilt, die Methoden dieser Disziplin auf die Gesellschaft zu übertragen. Dies auch, um das Gespräch mit Impfgegnern, Leugnern des menschengemachten Klimawandels und politischen Sektierern wieder in Gang zu bringen. Wie man dabei, jenseits von Abgrenzung und Konfrontation (die auch ihre Berechtigung haben kann), vorgehen könnte, macht Arnold Schwarzenegger meisterhaft deutlich.
- Teil 1: Propagandabekämpfung durch den Schock
- Teil 2: Präventive Desinformationsbekämpfung gegen Fake-News