Bundestagsdebatte: Regional- und Minderheitensprachen erwünscht
Anlässlich des 25. Jahrestags des Inkrafttretens der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen stand die Debatte auf der Tagesordnung. Damit sollte auch das Bewusstsein für die kleineren Sprachen gestärkt werden.
"Wenn ich das so sehe, könnte das unterhaltsam werden!" - Dass Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz eine Debatte im Parlament mit diesen Worten eröffnet, dürfte ungewöhnlich sein. Allerdings sind die folgenden 55 Minuten auch etwas ganz Besonderes: Denn erstmals ist es ausdrücklich erwünscht, dass die Abgeordneten auch Plattdeutsch, Friesisch, Dänisch oder Sorbisch sprechen.
Saathoff: Endlich darf er offiziell Platt schnacken
Johann Saathoff (SPD), Abgeordneter aus Ostfriesland, darf die Debatte eröffnen und macht das op Platt. Auf den Tag genau fünf Jahre zuvor habe er noch "up illegale Wies" Niederdeutsch in einer Rede gesprochen, als er einen Antrag der AfD in seiner Muttersprache konterte. Umso glücklicher sei er jetzt über diese Debatte: "Wat bün ik blied, dat wi vandaag rechtschapen mitnanner up Platt proten köönt - neet blot over Platt, sünnern ok up Platt."
Mit seiner Rede sorgt er tatsächlich für muntere Stimmung im Plenarsaal. Als sich Parlamentskollege Christoph Hoffmann (FDP) meldet, weil er nichts verstehen könne, ist das Gelächter groß - und Saathoff bietet an, das Protokoll hinterher gemeinsam durchzusprechen.
Bei aller Heiterkeit: Auch ernstere Töne schlägt Johann Saathoff an:
"Minderheitenspraken sünd nämlich en Deel van d’ Heimat. Un den Begriff 'Heimat' kann man ok verkehrt verstahn. Dat is uns parlamentarische Upgaav, daarför to sörgen, dat bestimmte Lüü neet daarför sörgen, dat Heimat hör Begriff is."
Aufruf zum Mut, eine Sprache zu sprechen
Was ihm zudem wichtig ist: Es gebe kein falsches Plattdeutsch, im Gegenteil: "Dat gifft dusend Arten van Platt, de man ok verstahn kann. Un deswegen denkt dran: Proot Platt, wenn Ji dat enigermaten könen."
Das setzt Linda Heitmann an diesem Tag direkt mal um: Die Grünen-Abgeordnete aus Hamburg-Altona setzt sich seit einiger Zeit fürs Plattdeutsche ein, obwohl es nicht ihre Muttersprache ist. Ihre Rede hat sie akribisch vorbereitet. Darin hinterfragt sie, ob der 25. Jahrestag tatsächlich ein Grund zum Feiern sei.
"De Charta verplicht all de Verdragsstaaten, Minnerheitenspraken düchtig to unnerstütten un to'n Gebruuk to bringen - se schüllt nich nur bi en poor Lüüd to Huus snackt warrn, sünnern düchtig ok in de Scholen, in de Administratschoon vun den Staat un in de Medien", führt die Abgeordnete aus. Beispiele aus Norwegen und Nordirland würden allerdings zeigen: Er gibt Nachholbedarf beim Plattdeutschen.
Zwar gebe es das Ohnsorg-Theater, Aktionen wie den Plattdüütsch-Dag und hin und wieder auch Platt in der Schule, meist in Form von Liedern. Die stimmt Linda Heitmann auch an, singt vom "Hamborger Veermaster" und erntet dafür Jubel und Applaus. Aber: Das reiche eben nicht aus. Die Sprache müsse wieder selbstverständlich in den Alltag integriert werden, einfach mal auch zwischendurch im Radio zu hören sein. "Dorför mööt wi noch wat doon!", lautet ihr Fazit.
Für viele Menschen immer noch Teil des Alltags
Niederdeutsch als Alltagssprache, das ist auch Thema bei Gyde Jensen (FDP), die gemeinsam mit Johann Saathoff Anfang 2022 den Parlamentskreis Plattdeutsch ins Leben gerufen hatte und somit auch den Anstoß zu dieser Debatte gab. In ihrer Heimat Schleswig-Holstein sei Plattdeutsch ein ganz natürlicher Teil des Alltags: "Wenn ik an de Westküste bi mi spazeren gah, denn draap ik Lüüd un segg 'Moin!' un wi snacken. De maken sik aver keen Gedanken doröver, dat se graad Plattdüütsch snacken; se doot dat eenfach."
Und trotzdem müsse es genau so normal werden, auch über den Schutz der Regional- und Minderheitensprachen zu sprechen:
"Dat geiht nich um Fischbrötchen un Möwengeschrei un Folklore. Wi möten an de Punkt kamen, dat dat alldägli warrt, dat Kinner seggen: 'Papa, ich möchte auch Plattdeutsch mit dir sprechen' oder 'Wo kann ich das lernen?'"
Auch Friesisch und Sorbisch erklingt im Parlament
Plattdeutsch ist bei dieser Debatte aber nicht die einzige Sprache: Simona Koß (SPD) eröffnet ihre Rede auf Niedersorbisch, den Satz hat sie extra gelernt, damit auch Sorbisch im Parlament erklingt. Petra Pau (Linke) spricht auf Hochdeutsch über weitere Sprachen, die schützenswert wären und Götz Frömming von der AfD nutzt die Diskussion, um noch einmal den Wunsch nach der Verankerung von Deutsch als einziger Landessprache zu äußern.
Astrid Damerow (CDU) feiert ihre Friesische Premiere: erstmals spricht sie in der Sprache ihrer Heimat und bittet die Nordfriesischen Muttersprachler schon vorab darum, "stark zu sein".
"Ik tånk, we koone önj Tjüschlönj ma stult aw üüs manerhäidepolitiik kiike", sagt sie - wir könnten in Deutschland stolz auf unsere Minderheitenpolitik schauen. Auch sie spricht aber die Baustellen an: Bildung, Nachwuchsarbeit und Minderheitensprachen in den Medien.
Minderheitenpolitik sei auch Friedenspolitik
Stefan Seidler, fraktionsloser Abgeordneter des SSW, löst dann auch seine Ankündigung ein, gleich auf mehreren Sprachen referieren zu wollen: Eröffnung auf Nordfriesisch, Verabschiedung auf Dänisch und mittendrin ganz viel Platt. Für ihn sei diese Debatte auch ein Zeichen an alle Menschen, dass in Deutschland jeder mit seiner regionalen Identität willkommen und Zuhause sei:
"De düütsche Geschicht hett uns lehrt, dat Hegemonie un Nationalismus en bannig Schietkraam is - un dat Minnerheitenpolitik Fredenspolitik bedüüdt."
Sprachen müssen gesprochen und weitergegeben werden
Zum Abschluss einer Debatte, die geprägt war von fraktionsübergreifendem, langanhaltendem Applaus, von Heiterkeit und fairem Austausch; aber auch von vielen Vorschlägen, Ansätzen und konstruktiver Kritik, bringt Andreas Mattfeldt (CDU) aus Niedersachsen es dann noch einmal auf den Punkt:
"Dat Allerwichtigste is aber, dat Ji, wenn Ji noch so'n ganz lütten beten Plattdüütsch snackt, dat ok mit jone Kinner, mit jone Enkelkinner. Denn bloß, wenn ene Spraak in use Familien snackt warrt, denn hett de Spraak ene reelle Chance to överleven." Und das gilt für alle Regional- und Minderheitensprachen.
