Unerhörte Orte - die Stubnitz-Lichtspiele in Sassnitz
Beim Festspielherbst auf Rügen begeistert der Schlagzeuger Johannes Fischer im Stubnitz-Lichtspielhaus in der Konzertreihe "Unerhörte Orte" mit spektakulären Darbietungen.
"Ach, was wir hier getanzt haben!", "Das war unser Clubkino", "Dort stand mal ein Aquarium", "Schulspeisung für die Oberschule gab's unten auch noch" - ganz offensichtlich: Unter den Konzertbesuchern sind diesmal nicht nur Festivaltouristen und Rügen-Urlauber, sondern auch besonders viele Einheimische. Denn das Gastspiel des Perkussionisten Johannes Fischer findet in einer außergewöhnlichen Kulisse statt.
Ein Kulturzentrum für ein ehemaliges Fischerdorf
Über dreißig Jahre lang, von 1958 bis 1992, waren die Stubnitz-Lichtspiele gegenüber dem Seemannsheim - heute Kurhotel - das kulturelle Zentrum von Sassnitz. Ausgestattet mit einer großen Bühne, modernster Technik - die fahrbare Breitwand-Leinwand wurde aus Berlin bestellt - und 60 Lautsprechern an den Wänden, konnte der große Saal als Kino, Theater oder Versammlungsraum genutzt werden. Hier wurden Einschulungen ebenso wie Jugendweihen gefeiert. Im Erdgeschoss gab es eine Gaststätte und nebenan seit 1975 auch ein kleineres "Clubkino", das tatsächlich mit einem Aquarium geschmückt war. "So ein Blödsinn eigentlich", wundert sich eine Sassnitzerin, "da wusste man nie, wohin man schauen sollte!"
Verblasste Pracht unter Denkmalschutz
Nach der Wende diente das ehemalige Kulturzentrum eine Zeitlang noch als Jugendtreff, doch seit 2012 steht es leer und unter Denkmalschutz. Denn es repräsentiert nicht nur die DDR-Bauweise der 1950er-Jahre, sondern wurde seinerzeit auch von dem Rostocker Bildhauer Jo Jastram künstlerisch ausgestaltet.
Heute sind die Sgraffito-Darstellungen an den Außenwänden verblasst; innen blättert der ehemals leuchtend bunte Putz ab, den rissigen Holztüren fehlen die Glasscheiben und das Stäbchenparkett ist aufgebrochen. Aber am Kassenschalter sind noch die alten Preise zu lesen - 1,50 M für einen Sperrsitz, 80 Pfg. für den 3. Platz -, im Treppenhaus baumeln Lampen aus der Entstehungszeit und oben im großen Saal erinnern noch ein paar Klappstuhlreihen und die verschossenen Bühnenvorhänge an die großen Zeiten des Hauses.
Neuer Festspielglanz mit "Klangzauberer" Johannes Fischer
Diesen Schatz entdeckte Ursula Haselböck, die neue Intendantin der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, letztes Jahr quasi im Vorbeifahren. Und sie beschloss sofort: Dies ist ein Schauplatz für unsere Konzertreihe "Unerhörte Orte". Und für einen Künstler, der Spaß an solchen Orten hat.
Johannes Fischer ist die perfekte Besetzung - und vor allem bringt er mit seinem riesigen Set-up noch weitere optische Attraktionen mit: ein Vibrafon, Trommeln aller Art, Gongs, asiatische und afrikanische Schlaginstrumente und jede Menge Haushaltsgeräte. Beim Anblick der schmalen, lässig in Schwarz gekleideten Gestalt mit dem Wuschelkopf käme man nicht auf die Idee, einen Professor der Lübecker Musikhochschule vor sich zu haben. Aber wer den 40-jährigen auf der Bühne herumwirbeln sieht und hört, weiß sofort, warum er international als "Klangzauberer" gefeiert wird.
Originelles Instrumentarium
Neben Werken von Yannis Xenakis, Georges Apherghis, Steve Reich und John Cage spielt Fischer an diesem Nachmittag in Sassnitz auch eigene Werke. Und er erzählt, wie Schlagzeuger ständig auf der Suche nach Erweiterung für ihr Instrumentarium sind - in der Küche, im Kinderzimmer oder im Baumarkt. In seiner "Air" bearbeitet der kreative Musiker die kleine Trommel mit Bürsten, Schneebesen, Stäben aller Art und sogar einem Elektrorasierer. "Damit hat mein Vater mir früher die Haare geschnitten", grinst er und greift sich in den Schopf, "aber das ist offensichtlich vorbei."
Künstlerischer Kraftakt
Auch die menschliche Stimme eignet sich als Perkussionsinstrument. Das beweist Fischer virtuos in "Le corps à corps" des Siemens-Musikpreisträgers Georges Aperghis im Dialog mit Handtrommel: ein Schnellfeuer von Silben und französischen Wörtern, das staunende Lacher im Publikum hervorruft. Und nach eindreiviertel Stunden ohne Pause geht der künstlerische Kraftakt mit einem Klanggewitter von Yannis Xenakis zu Ende - der Komponist dürfte einfach nicht fehlen, findet der scheinbar kein bisschen erschöpfte Schlagzeuger.
Ein "Lost Place" wird wiederentdeckt
Ein in jeder Hinsicht außergewöhnliches Konzert - nicht nur für Musikfreunde, sondern auch für Fotografen, die mit Kameras und Handys entzückt jeden Winkel der "Stubnitz-Lichtspiele" erforschen. Demnächst soll das Gebäude behutsam saniert und vielleicht schon ab nächstem Jahr wieder regelmäßig für Kulturveranstaltungen genutzt werden.
