Händel-Festspiele: Über 100 Jahre bewegende Geschichte
Die Händel-Festspiele Göttingen sind eine feste Institution. Seit ihrer Gründung 1920 haben sie sich zu einem international bekannten Barockmusik-Festival entwickelt.
Jedes Jahr im Mai treffen sich in Göttingen die Liebhaber barocker Musik. Dann dreht sich in der Universitätsstadt alles um die Musik von Georg Friedrich Händel. Fans aus aller Welt pilgern dann nach Südniedersachsen. Die Händel-Festspiele Göttingen werden 1920 gegründet. Seither sind sie durch Höhen und Tiefen gegangen und entwickelten sich von einem lokalen Projekt zu einem der weltweit bekanntesten Festivals für Barockmusik.
Händels Opern zunächst kaum bekannt
Zu Händels Lebzeiten (1685 - 1759) werden seine Opern nicht oft aufgeführt. Gespielt werden hauptsächlich Händels Kirchenmusik, die Oratorien und seine bekannten Orchesterwerke wie die Feuerwerksmusik oder die Wassermusik. Nach dem Tod Händels geraten seine 42 Opern nahezu in Vergessenheit.
Händel-Opern passen in Nachkriegs-Stimmung
Dann kommt das Jahr 1920: Der Erste Weltkrieg ist überstanden, vor zwei Jahren hat der Kaiser abgedankt. Trotz großer Not herrscht auch Aufbruchstimmung. Die Kriegs-bedingte kulturelle Zwangspause ist zu Ende und Händels Opern werden aus ihrem fast 200-jährigen Dornröschenschlaf geweckt. "Man wird sagen dürfen, dass die seelische Lage in Deutschland nach dem verlorenen Weltkrieg für die Wiederentdeckung Händels einen besonders günstigen Boden abgab. Seine Einfachheit, seine Kraft und Größe hatten in dieser Zeit der Zerfahrenheit und Mutlosigkeit vielen etwas zu geben. Nach dem Verlust von äußerer Macht und Größe flüchtete man sich in die inneren seelischen Bereiche und suchte Trost und Mut in den meisterhaften Schilderungen menschlicher Affekte in Händelopern", sagt Walter Meyerhoff, langjähriger Vorsitzender der Händelgesellschaft in Göttingen.
Die Göttinger Händel-Renaissance
Ab 1918 arbeitet Oskar Hagen als Privatdozent für Kunstgeschichte in Göttingen, ein Jahr später übernimmt er den Dirigenten-Posten der Akademischen Orchestervereinigung, einem Laienorchester. Hier lernt er Alfred Bertholet kennen, den Vorsitzenden des Musikausschusses des Universitätsbundes. 1918 gegründet, übernimmt der Universitätsbund die Aufgaben eines Fördervereins. Die bürgerliche und die akademische Gesellschaft Göttingens sind versammelt.
Bertholet ist derjenige, der die Idee zu einer Händel-Opern-Aufführung hat. Oskar Hagen ist begeistert, treibt die Umsetzung dieser Idee voran. Er findet und gewinnt dafür in seinem Bekanntenkreis viele Unterstützer. Hagen bearbeitet Händels Musik und nimmt vor allem bei den Arien viele Streichungen vor, fügt aber auch Neues hinzu. Gesungen werden sie von Hagens Ehefrau Thyra Hagen-Leisner - einer Amateursopranistin.
Die erste Aufführung

Im Juni 1920 ist es dann soweit: Im Stadttheater singen, spielen und tanzen Profis und Amateure. Begleitet werden sie von der Akademischen Orchestervereinigung Göttingen. Für das Bühnenbild ist Paul Thiersch verantwortlich. Eine barocke Welt auf der Bühne zu rekonstruieren, ist nicht seine Absicht. Bühnenbild und Körpersprache der Darstellerinnen und Darsteller werden vielmehr im expressionistischen Stil gehalten. Die Oper soll für den modernen Menschen sein. Gesungen wird auf Deutsch, nicht auf Italienisch, aus Rodelinda wird Rodelinde. Die Aufführung von "Rodelinde" wird ein großer Erfolg. Die Händel-Opern sind wieder da - und werden gespielt. Bis 1927 wird die Göttinger Fassung von "Rodelinda" deutschlandweit auf 21 Bühnen 136 Mal gezeigt.
Thyra Hagen-Leisner - die Frau im Hintergrund

Welch wichtige Rolle Thyra Hagen-Leisner (1888-1938), die Ehefrau von Oskar Hagen, für die Händel-Renaissance bedeutet, bleibt lange Zeit unklar. Bis 1924 singt die Amateursängerin die weiblichen Hauptrollen in den Göttinger Händel-Opern. Im Protokoll des Universitätsbundes wird sie als Übersetzerin des Rodelinde-Librettos genannt. Nach dem Erfolg der Rodelinde-Aufführung schreibt Oskar Hagen einen ausführlichen Bericht über seine Bearbeitung der Oper. Die Arbeit seiner Frau erwähnt er mit keiner Silbe. Dass Thyra Hagen-Leisner die italienischen Texte übersetzt hat, wird auch von keinem anderen - männlichen - Zeitzeugen erwähnt.
Die Gründung der Händel-Gesellschaft
1924 wird Oskar Hagen nach Amerika berufen und folgt diesem Ruf. Ein paar Jahre später geht auch Alfred Bertholet nach Amerika, der die Festspiele bis dahin veranstaltet hat. 1931 wird die Göttinger Händel-Gesellschaft als eingetragener Verein gegründet. Treibende Kraft bei diesem Schritt ist Walter Meyerhoff. Er wird zum führenden Kopf der Händel-Gesellschaft.
Meyerhoff drängt jüdische Mitglieder aus dem Verein

Nach dem Machtantritt Adolf Hitlers im Januar 1933 droht auch der Händel-Gesellschaft die ideologische "Gleichschaltung", also die Vereinnahmung im Sinne der Nationalsozialisten. Meyerhoff wählt den Weg des vorauseilenden Gehorsams, die sogenannte "Selbstgleichschaltung". Er will damit eine gewisse Unabhängigkeit bewahren. Dafür drängt Meyerhoff Mitglieder jüdischer Abstammung aus dem Verein und besetzt die Posten gezielt mit lokalen NS-Größen.
Während des Zweiten Weltkriegs finden die Händel-Festspiele nur in einem sehr eingeschränkten Rahmen statt. Die Konzerte werden in der Universitätsaula gegeben. Auf den Programmankündigungen wird explizit darum gebeten, pünktlich zu erscheinen, damit rechtzeitig verdunkelt werden kann.
- Teil 1: Händels Opern zunächst kaum bekannt
- Teil 2: Die Händel Festspiele nach dem Zweiten Weltkrieg
