Liebesdrama im Bunker - mit Alan Gilbert an der Bratsche
Die NDR Konzertreihe "#übelst unverstärkt" geht weiter. Solist*innen des NDR Elbphilharmonie Orchesters, Simon Crawford-Phillips am Flügel und Alan Gilbert an der Bratsche zeigen im Uebel & Gefährlich mit dem Klavierquintett von César Franck, dass Klassik auch im Club begeistert.
Schon der Weg in den Club im vierten Stock des Weltkriegbunkers könnte für manche Elbphilharmonie-Abonnenten ein Kulturschock sein: Statt auf einer eleganten, Instagram-tauglichen Rolltreppe zu gleiten, rumpelt man in einem runtergerockten Lastenaufzug mit eingeschlagener Beleuchtung und Bronx-Vibes nach oben. Auf den Boden gesprühte gelbe Pfeile weisen den Weg.
Alles ist anders: T-Shirt statt Frack
Dort, wo sonst Elektro-Partys stattfinden, spielt heute ein Kammermusikensemble ein Stück aus dem 19. Jahrhundert. Und tatsächlich: Im Publikum sitzen so viele junge Leute, dass es auch Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter Tränen der Rührung in die Augen treiben müsste. Man sitzt auf Klappstühlen, an der Bar oder auf mit Sitzkissen weich gemachten Treppenstufen. Ein Liebespaar hockt auf einem an diesem Abend stillgelegten Lautsprecher. Die Musikerinnen und Musiker treten in schwarzen T-Shirts statt im Frack auf. Alles ist anders. Und das ist auch gut so.
Geheime Liebesbotschaft in den Noten
Im lockeren Interview, das so gern auch mal vor einem Elbphilharmonie-Konzert stattfinden dürfte, erfährt Amanda Kleinbart, die sonst im Orchester Horn spielt, von Alan Gilbert und den anderen Solistinnen und Solisten mehr über das Stück. César Francks Klavierquintett umweht eine leidenschaftliche Liebesgeschichte. Der Komponist war nämlich in die Studentin verliebt, in die damals praktisch alle männlichen Musiker des Konservatoriums verschossen waren: Augusta Holmès. Franck widmete das Werk seinem Komponistenkollegen Camille Saint-Säens, der bei der Uraufführung den Klavierpart übernahm, die Noten aber nach dem Konzert demonstrativ aufgeschlagen auf dem Flügel liegen ließ. Angeblich hatte er in den Noten eine geheime Liebesbotschaft an Augusta entdeckt, die Franck einkomponiert hatte. Und auch Saint-Säens war in Augusta verliebt.
Knarzende Stühle und klirrende Colaflaschen: Kein Problem
Diese Leidenschaft überträgt sich vom ersten bis zum letzten dramatischen, romantischen Ton. Hin und wieder erinnert das Klavierquintett in seinen Wechselgesängen von Klavier und Streichern an Francks Leib- und Mageninstrument: die Orgel. Hier und da knarzt ein Klappstuhl arhythmisch und es klirrt auch mal eine umkippende Colaflasche. Bei Lichte besehen ist es in der Elphi aber in einem durchschnittlichen Konzert auch nicht viel ruhiger. Riesenapplaus am Ende dieses besonderen Konzertabends. Die Reihe, die nach der Corona-Zwangspause endlich weitergeht, zeigt: Diese Musik bedarf keiner hochgeschraubten Konzertetikette. Sie kann auch in schraddeligen, kronleuchterlosen Räumen fesseln und begeistern. Das nächste Konzert der Reihe "übelst unverstärkt" findet am 29. September mit Gautier Capuçon statt.