Eine virtuose Glanzleistung: Beatrice Rana spielt Chopin
Die junge italienische Pianistin Beatrice Rana hat mit ihrem Debüt in der New Yorker Carnegie Hall vor zwei Jahren von sich reden gemacht. Chopin spielte sie damals - und dessen Werke sind auch Teil ihrer neuen CD.
Sie sind nicht dazu da, die Spielfertigkeit allein zu trainieren. Wer sich Chopins Etüden annimmt, sucht nicht bloß eine reine Fingerübung, sondern auch eine Herausforderung im musikalischen Gestalten. Denn diese Werke sind pianistisch und geistig gleichermaßen anspruchsvoll.
Farbenreiche Geschichten
Beatrice Rana begreift Chopins Op. 25 mit seinen zwölf Etüden als einen Zyklus. Wie eine von ersten Sonnenstrahlen wachgeküsste Blumenwiese beginnt sie die erste Etüde.
Die Leichtigkeit im Ton einerseits und das dichte Fortspinnen der Kantilenen in wunderbarem Legato andererseits, fallen besonders auf. Beatrice Rana erzählt farbenreiche Geschichten, denen man gebannt zuhört. Die Bilder, die dabei im Kopf entstehen, sind zahlreich. Die junge Italienerin hat klare Konturen für die Charaktere, die sie darstellt und die Szenen, die sie skizziert. Jahrmarktgetümmel, Kobolde, die immer wieder aufblitzen bis hin zu seelischen Abgründen, die sich manchmal nur noch in unbändiger Raserei ausdrücken lassen. Und sie kann blitzschnell zwischen diesen Zuständen klanglich und charakterlich wechseln.
Beatrice Ranas technische Überlegenheit
Chopins scheinbare "Einfachheit", schreibt Beatrice Rana im Booklet, sei "raffiniert und vielschichtig". Aber "die emotionalen Zustände seiner Musik" würden "nicht immer dem entsprechen, was vom Pianisten gefordert wird". Bei Chopin gäbe es "musikalisch entspannte Momente, die jedoch eine hohe Muskelspannung seitens des Interpreten erfordern", schreibt Rana.
Ohne viel pianistische Pranke und Effekthascherei zieht Beatrice Rana mit ihrer technischen Überlegenheit in den Bann. Gerade und besonders im Leisen und Gedämpften erreicht Rana eine unglaubliche Präsenz: bezwingend, tief und gleichermaßen anmutig. Dabei spielt sie mit einer selbstverständlichen Genauigkeit, die natürlich und frei klingt und die Haltetöne ebenso genau nimmt wie auch die feinen Rhythmisierungsänderungen und kleinen Charakterveränderungen.
Eine große, dramatische Steigerung gelingt ihr bis zu den letzten Etüden, die für sie ein Schlusstryptichon bilden. Beatrice Rana schreibt im Booklet, die drei letzten Etüden seien "emotional streng, als ob sie den verzweifelten Schrei von Chopin widerspiegeln". Das Fortissimo donnert sie obertonreich in die Tasten, schmerzvoll, aber ohne dass der Gesamtklang und die Balance leiden.
Wilde Charakterstücke
Die Aufnahme der Etüden entstand im Januar 2020, die Aufnahme der vier Scherzi erfolgte ein gutes Jahr später, Rana hatte sie während des ersten pandemiebedingten Lockdowns einstudiert. Es sind wilde Charakterstücke mit extremen Tempi und Klangwechseln, die auch von den Zuhörenden hohe Konzentration fordern, will man die vielen Facetten begreifen, die Rana fast ein wenig übertrieben und künstlich darstellt.
Nichtsdestotrotz ist es eine virtuose Glanzleistung. Und allein aufgrund der Etüden Op. 25 sollte man Beatrice Ranas neue Chopin-Einspielung auf keinen Fall verpassen.
Chopin: Etuden, op.25 & 4 Scherzi
- Label:
- Warner
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Klassik
