Jazz live im Jubiläumsjahr
1952: Das Jugendschutzgesetz tritt in Kraft - Jugendliche unter 18 Jahren dürfen keinen Alkohol trinken, das Land Baden-Württemberg wird gegründet, die Bundesrepublik ist jüngstes Mitglied des Internationalen Währungsfonds (IWF). Im Fernsehen erscheint die erste Ausgabe der "Tagesschau", und am Kiosk liegt die erste Auflage der "Bild"-Zeitung aus. Während Ernest Hemmingway "Der alte Mann und das Meer" vollendet, detoniert im pazifischen Ozean die erste Wasserstoffbombe.
Aufbruchstimmung
In dieser bewegten Zeit wird im Funkhaus in Hamburg (im damaligen NWDR, aus dem später NDR und WDR hervorgehen) die Jazzredaktion gegründet. Noch im selben Jahr, 1952, findet das erste Jazzkonzert im legendären "Studio 10" statt, dem heutigen "Rolf-Liebermann-Studio".

Liebermann wird 1957 Musikchef im NDR und hat maßgeblichen Anteil an der Entwicklung der Jazzredaktion. Unter seiner Regie bringt Hans Gertberg Ende der 50er-Jahre mit den NDR Jazzworkshops ein neuartiges, bahnbrechendes Konzept auf die Bühne: Musiker sehr unterschiedlicher Herkunft und Stilistik treffen aufeinander, proben einige Tage lang und stellen dem Publikum das Ergebnis in einem Radio-Konzert vor.
Neu aufgelegt - mit Lust am Experiment
In der Ära von Jazzredaktions-Chef Michael Naura und in den folgenden Jahrzehnten hinterlassen Jazz-Größen von Albert Mangelsdorff bis Keith Jarrett ihre unvergesslichen "Ton-Spuren" im NDR. 2012 gibt es ein besonderes Jubiläum zu feiern: 60 Jahre Jazz im NDR - Grund genug, die Tradition mit Lust am Experiment weiter fortzuführen und dazu gute Freunde sowie vielversprechende neue Stimmen einzuladen.
Ein frischer Weill, Kapital-Kritik und Geburtstagsgäste
2012 stellen die Brüder Joachim und Rolf Kühn im NDR eine ganz frische Version von Kurt Weills Pariser Exil-Werk "Marie Galante" vor. Ein weiteres Projekt: In Zeiten der Finanzkrise gewinnt ein Bandname wie "Das Kapital" eine durchaus aktuelle Note - vor allem wenn das Trio auch noch ebenso anarchisch wie respektvoll die politischen und sozialkritischen Klassiker von Hanns Eisler intoniert.
Einen runden Geburtstag feiert die NDR Bigband: 2012 wäre mit Gil Evans der Wegbereiter des modernen orchestralen Jazz 100 Jahre alt geworden. Im Konzert präsentiert Maria Schneider, die bedeutendste Big Band-Leiterin unserer Tage, ihre Lieblings-Arrangements aus Evans Feder.
Italo-Jazz und "unmögliche Gentlemen"
Einen Jazz-Workshop im ursprünglichen Sinne wird es auch wieder geben. Dafür treffen sich drei ungemein vielseitige italienische Künstler zum ersten Mal im NDR: Etta Scollo, sizilianische Sängerin mit Wohnsitz in Berlin, begeistert durch ihre Intensität wie ihre Bandbreite, die von Folklore über Chanson bis zum Jazz reicht. Der ebenfalls auf Sizilien geborene Giovanni Sollima liebt Bach und Jimi Hendrix. Er spielte Klassik in der Carnegie Hall und der Mailänder Scala und improvisierte auf seinem Cello (Baujahr 1679) schon in der New Yorker "Knitting Factory". Im Workshop treffen die beiden auf den Ausnahme-Pianisten Stefano Bollani, Italiens vielversprechendste Jazzgröße.
Und wer wissen möchte, was sich hinter illustren Bandnamen wie "Storms/Nocturnes", "Moonsun" oder "The Impossible Gentlemen" verbirgt, der sollte die NDR Jazzkonzerte 2012 besuchen - oder sie sich im Radio anhören.
